II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 48

17 1. Der Pupnenspieler
Teuilleton.
Berliner Theaker.
Arthur Schnitzler: „Der Puppenspieler.“ Georges Rodenhach:
„Trugbild.“
Berlin, 13. September.
Schnitzlers neuer Einalter „Der Puppenspieler“
führt in die Gedankenwelt der „Lebendigen Stunden“
zurück. Wir sehen den Künstler die Wirklichkeit an sich reißen,
das Erlebnis wurde ihm zum Stoff für seine Kunst, er war der
Vampir, der das Blut derer sangte, die seinem Herzen am nächsten
standen. Dieser Gedanke heischte Ergänzung, er hat sie im
„Puppenspieler“ gefunden. Du glaubst mit dem Leben zu spielen,
und es spielt mit dir. Einer jeuer verkommenen Künstler, mit
wenigen Strichen in wundersamer Eigenart gezeichnet, steht vor
uns. Ein ganz gewöhnliches kleines Mädchen, mit dem er ge¬
liebelt, das er dann geheiratet und das sich bald von ihm losge¬
sagt, hat ihn zu Grunde gerichtet. In allerlei Zerstreuungen ist
die Feder seiner matten Hand entsunken. Gelegentlich schreibt er
noch einen anonymen Artikel für irgend ein ybskures Winkelblatt
— wenn er gerade Geld braucht. Abwärts stes mit ihm ge¬
gangen, aber die Illusion hat ihm die Augen über sein eigenes
Schicksal verschlossen. Was soll alles papierene Künstlertum?
Das Leben selbst gestalten, mit wirklichen Menschen schaffend
spielen, das ist es. Und so wird er zweien gegenübergestellt, mit
denen er einst gespielt hat. Es beliebte ihm, ihre Bekanntschaft zu
vermitteln; sein junger Freund sollte sein Liebesabenteuer haben.
Und nun findet er die beiden wiede# perheiratet, in geordneten¬
Verhältnissen lebend, Eltern eines giebenswürdigen Knaben,
Aber die Illusion zieht ihm auch jetzt moch nicht die wohltätige
Binde von den Augen; er verlacht ihr Phildrtum; er, der Ver¬
kommene, geht wieder hin, mit Menschen zu s##l#n, und ist doch
selbst nur ein armer, verworfener Spielball des Schcksals. In
einer kurzen Szene rollt sich das alles vor dem Zuschauekgb., Nur
ein Gespräch bildet diese „dramatische Studie". Aber mithoßer
Feinheit hat es Schnitzler verstanden, hinter betörten und be¬
törenden Worten das wahre Sein feiner Menschen ahnen zu lassen,
Schicksalsfügungen zu deuten. An eigentlicher dramatischer Hand¬
lung fehlt es ganz; umso stärker ist die innere Spannung. Man
tut — denkt man an die „lebendigen Stunden“ zurück — einen
Einblick in Schnitzlers künstlerische Schaffensart, man sieht, wie er
seine Stoffe und an ihnen sich selbst entwickelt. Und man sagt
sich: diese Entwicklung führt aufwärts zu vollerem Menschentum;
jebe neue Arbeit scheint diesen Künstler zu bereichern. Vortrefflich
war auch die Aufführung, die dem kleinen Einakter im
Deutschen Theater zu teil wurde. Herr Bassermann
gestaltete den Puppenspieler packend und überzeugend. Frl.
Triesch stattete ein winziges Röllchen mit all ihrer natürlichen
Anmut aus; auch Herr Iwald machte seine Sache brav.
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G

Zeigte Schnitzlers Einakter von neuem, daß echte Stimmung¬
gebung nur aus innerem Gehalt erwächst, so führte Georges
Rodenbachs Schauspiel „Trugbild in alle Schrecknisse
modern sein wollender Stimmungsmacherei. Es ist ein böses, blut¬
loses Konglomerat; Nachempfindung in fünftem Aufguß; Litera¬
tur aus vorhandener Literatur herausdestilliert. Das toter
Brügge, das in seiner Vergangenheit lebt, sich augenblicksweise
fiebrisch an die Gegenwart klammert, weil es in ihr seine Ver¬
gangenheit wiederzufinden wähnt, das dann die trügerische Gegen¬
wart dennoch der hohen Vergangenheit zuliebe morden muß —
dies tote Brügge sieht Rodenbach im Symbol eines trauernden?
Gatten, den das Schicksal in die Arme einer Dirne treibt, die seiner
verstorbenen Frau, der einzig Geliebten, wundersam ähnelt. Auf
den ersten Anblick hat diese Symbolik etwas Bestechendes; man
denke sie nach, und man wird auch darin schon die blasse Ver¬
standeskonstruktion, etwas von Baedekers Romantik spüren. Und
ohne alle Gestaltungskraft, ohne jeden Zug zu wahrhafter Inner¬
lichkeit hat Rodenbach diese Symbolik kühl, ästhetenhaft vier Akte
hindurch ausgeführt. Buchsprache wird gesprochen, mit seelischen
Mysterien wird — geklingelt. Recht dilettantenhaft spielt Roden¬
k bach mit geheimnisvoll warnenden Stimmen aus dem Jenseits,
mit spukhaften Zufälligkeiten. Zufällig ist bei ihm überhaupt
alles: auch daß der Gatte nachher die Dirne mordet
S
symbolisch
mordet mit dem Haarstrang der Verstorbenen auch daß er dann
in Wahnsinn versällt und ophelienhaft Blumen auf „seine“ Tote
streut; zufällig das alles und dilettantisch. Denn immer greifen
Dilettanten nach dem Himmel, wenn sie ein Gänseblümchen pflücken
wollen. Alle Mittel sind in Bewegung gesetzt, alle feelischen Ge¬
heimnisse entschleiert, und doch hat man nicht den leifesten seelischen
Zug verspürt. Symbole sind zu Gestalten und diese Gestalten
wieder zu Schatten geworden, und nichts ist von der Stimmungs¬
welt des toten Brügge aufgegangen — es sei denn, daß Epigonen
durch die stillen Straßen spukten.
Dem blassen Literaturdrama vermochte auch die Auffüh¬
rung kein Leben zu leihen. Selbst Frl. Triesch, in der Rolle
der Dirne, wiederholte nur, was sie früher in ähnlichen Rollen
gegeben. Herr Sauer wußte den trauernden Gatten nicht
glaubhaft zu machen. Frl. Pauly und Frau v. Poellnitz
fanden sich noch am ersten in diese symbolische Welt. Herr Hof¬
meister aber verdarb mit gänzlich unzureichendem Spiel, was
noch zu verderben war. Doch hatte er in dieser Richtung wirklich
nicht mehr viel zu tun.
E. H.
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