II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 26

16.1. Lebendige Stunden zyklus
ar Goldsch
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Bureau für 4
%
Or.
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III, No. 3051.

Ausschnitt
Teieranm Aäreser
1 GO0L0SCHMIDT. Auguststr. 87.
aus
Volkszeitung, Berlin
—5. 1. Co
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Deutsches Theater.
Der Wiener Bühnendichter Arthur Schnitzler, dessen
Dramen „Liebelei" und „Freiwald“ in Berlin starke, nach¬
haltige Eindrücke hervorriefen, bot uns gestern einen Einakter¬
Zyklus dar. Den Abend eröffnete „Lebendige Stunden“,
ein Dramolet, in welchem der glühende Verehrer einer ver¬
storbenen Hofräthin, dem Sohne der Hingeschiedenen er¬
öffnet, seine Mutter habe sich vergiftet, damit sie durch
ihre Leiden sein dichterisches Schaffen nicht störe.
Weil er die lebendigen Stunden beklagt, die er noch mit der
Geliebten hätte verleben können, läßt sich der alte Graukopf
zu dieser brutalen Enthüllung hinreißen, der junge Dichter
aber tröstet sich mit dem Gedanken, daß er diese lebendi
Stunden in der Poesie festhalten könne. Da wir die heroische
Hofräthin nicht kannten, so hatten die langen Gespräche, welche
Herr Reinhardt als Hausdörfer und Herr Rittner als
Heinrich über die vortreffliche Frau führten, für die Zuschauer
gar kein Interesse.
Es folgte „Die Frau mit dem Dolche“, der ein
bizarrer Einfall zu Grunde liegt. Eine junge und anscheinend
recht exzentrische Frau läßt sich von ihrem Liebhaber in der
Bildergolerie treffen, um ihn zu verabschieden. Dieser macht
sie auf ein Gemälde aufmerksam, das ein Florentiner Künstler
vor drei Jahrhunderten gemalt hat. Es stellt eine den Dolch
zückende Dame dar, die der Galeriebesucherin Frau Pauline
ähulico sieht. Pauline erinnert sich, daß ihre Familie
aus Florenz stammt, sie glaubt schon einmal gelebt zu
haben und es kommt ihr eine Vision. Diese wird auf der
Bühne dargestellt und enthüllt uns die Katastrophe einer
Liebestragödie. Die Frau eines Malers betrügt diesen in einer
schwachen Stunde mit dessen Schüler und als dieser den Gatten
zu tödten droht, erdolcht ihn die Sünderin unter den Augen des
Meisters, der, ohne den Ermordeten zu beachten, seine Frau mit dem
Dolche malt. Als die Vision geschwunden, bewilligt Frau
Pauline ihrem Galan ein Schäferstündchen. Aus welchem
Grunde? Das vermag wohl niemand zu sagen. Den tieferen
Sinn der Vision vermochte auch memand zu ergründen.
Vielleicht wollte Schnitzler uns belehren, daß das Mensch¬
lichkeitsgefühl eines echten Künstlers vor dem entflammien ;
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Berufseifer zurücktritt. Das seltsame kleine Drama gab
Fräulein Irene Triesch Gelegenheit, zu zeigen, wie sicher
sie in der Doppelrolle zwei Stilarten beherrscht.
„Die letzten Masken“ der dritte Einakter, spielt im
Hospital und ein sterbender Kritiker will die letzten Augenblicke
seines Daseins benützen, um einem glücklichen Rivalen lang¬
aufgespeicherten Haß, Hohn und Verachtung ins Gesicht zu
speien. Ein kranker Komödiant überredet ihn, die Rachescene
vorher einzuüben, damit er den Verhaßten auch ganz zerschmettere.
Der Sterbende geht darauf ein. Als aber der Feind erscheint und sich
theilnehmend nach seinem Befinden erkundigt, verstummt die Rach¬
sucht vor den vorausfallenden Schatten der ewigen Nacht.
Obgleich es nicht sehr wahrscheinlich ist, daß die Rachbegierde
in einem Sterbenden heiß aufflammt und daß er die Zer¬
schmetterung gar einstudirt, so wirkte der tragische Vorgang
doch mächtig, Dank der ausgezeichneten Darstellung des ver¬
bitterien Sterbenden durch Herrn Reinhardt.
Der letzte Einakter erschien dem Pubikum als die dankens¬
wertheste Gabe des Abends. Er heißt „Literatur“ und ist
ein übermüthiger Schwank, in dessen Mittelpunkte eine ge¬
schiedene Frau mit literarischen Neigungen steht; sie wurde
aus der Münchener Bohème durch einen reichen Baron ent¬
führt, der sie heirathen wollte. Nun schrieb sie zu guterletzt
noch einen Roman, in den sie die mit einem Münchener Lieb¬
haber gewechselten Liebesbriefe eingeschaltet hat. Der ver¬
bummelte Liebhaber aber that in seinem Roman ein Gleiches und
Frau Margarethe wird nur dadurch vor einer unauslöschlichen
Blamzge gerettet, daß der gute Baron ihre Bücher ein¬
stampfen=läßt. „Litteratur“ ist auf den gleichen frivolen Ton
gestimmt, wie Schnitzlers „Abschiedssouper“, allein die kleine
Handlung wurde sehr gut erfunden und der Dialog brachte
viele witzige Einfälle. Fräulein Triesch spielte die Marga¬
rethe mit vielem Humor und Herr Rittner gah dem
Gilbert eine recht komische Haltung. Nach den ersten drei
Einaktern applaudirte und jubelte ein Theil des Publikums
und der andere wunderte sich darüber. Zum Schluß aber
R. E.
wurde der Dichter einmüthig hervorgerufen.
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