II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 92

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16.1. Lebendige Stunden zyklus
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Nr. 80
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Ausschnitt aus:
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Frelunge uluig, Ke.1

da das Leben ihm doch nichts mehr wert sei. Der Uebermensch
„Lebendige Stunden“.
lacht des Rasenden. Aber die Frau ergreift den Dolch und stößt
den nieder, den sie genossen. Wie sie so dasteht, eine Furie, mit
Deutsches Theater. Sonnabend, zum ersten Male:
Vier Einakter von Arthur Schnitzler. „Lebendige
hochgezückter Waffe, spricht der Mann kaltlächelnd etwa so zu ihr:
Verharre so! Endlich habe ich die wahre Idee meines Bildes.
Stunden“. „Die Frau mit dem Dolche". „Die letzten Masken“.
Dank den Göttern, daß sie mir diese Stunde der Erleuchtung
„Litteratur“. — Regie: Emil Lessing.
geschenkt! ... Dieser Vorgang im phantasiethätigen Gehirn der
Der Eindruck der einzelnen Alte war verschieden, doch der
Frau, die das Bild betrachtet, spielt sich auf der Bühne wirklich
Gesamteindruck stark und tief; dementsprechend waren Wirkung und
ab. Es dunkelt, und man ist wieder im Museum. Das Weid
Erfolg nach Außen groß.
fühlt sich nun selbst als die Frau mit dem Dolch: eine lebendige
Die Stimmung kam zunächst nicht leicht zu stande; und doch
Stunde der Liebe — was verschlägt's? Aus der Verfehlung wird
sind die „Lebendigen Stunden“ im Cyklus das tonangebende (oder:
sicher ein Kunstwerk, vielleicht auch ein blutiges Stück Wirklichkeit.
das grundtongehende) Stück; es ist auch psychologisch das feinste
Die beiden letzten Akte sind im engeren Sinne Tragi¬
und gelungenste, wie denn auf gleicher künstlerischer Höhe nur der
komödien. Das Leben selbst spielt sich Theater vor, im unbewußten
letzte Akt steht durch die Anmut seines Geistes. In den mittleren
Wechsel tragischer und komischer Stimmungen. Von Litteratur ist
Akten ist das stärker, was man „Theater“ nennt. Natürlich noch
hier nicht minder die Rede; aber das Leben kommt gewissermaßen
immer Schnitzlerisch, nicht grob von Kunstwegen oder unverfroren
der Litteratur zuvor. Es hängt sich Masken um. Manchmal noch
in der Gesinnung. Im ersten Akt enthüllen sich Charaktere, Ge¬
fühle, Menschenschicksale in klug gleitendem Dialoge. Nur im
in der letzten Stunde, da die große Abrechnung mit der Welt statts
finden soll. Im Spital liegt ein alter, herabgekommener Journalist.
Dialoge. Unser Publikum im Wesentlichen kann nicht zuhören;
Er fühlt seinen Tod und will den Mann noch einmal sprechen, den
es will gepackt sein; im Gegensatz etwa zu einem französischen
er am meisten haßt. Durch geistige Plattheit und Reklame ist
Publikum, das Spielen des Geistes, im Gespräch entwickelt, sich so
dieser Mann nach oben gekommen, sein Jugendfreund. Ein kranker
gern hingiebt. Ein Alltagsmensch und ein Künstler stehen sich
Schauspieler, der sein Zimmer teilt, Todeskandidat, wie er, ein
gegenüber. Jener, gerade empfindend, zu klarer Güte gereift in
melancholisch=lustiger Geselle, rät ihm, ehe der Gehaßte kommt, die
der Schule des Lebens; dieser von naiver Selbstsucht, nur auf die
Ruhe seiner Seele bedacht um seiner Kunst willen. Ein Kunst¬
Szene zu studiren, damit auch jeder Vorwurf, jedes Wort wirksam
mensch eben, der sein Empfinden nicht für sein ausschließliches Eigentum
herauskäme. Das geschieht. Der Journalist redet sich die Seele
hält: höhere Gestaltungen haben ein Mitrecht auf diese Gefühle.
frei; aus dem Heloten wird ein anklagender Gebieter. Doch es
Er hatte eine Mutter, die lange siech war und merkte, daß ihre
bleibt bei der Komödie. Wie der Mann erscheint, an den die
Krankheit dem Schaffen des Sohnes im Wege sei. Darum ging
— erscheint und sich giebt in seiney
flammende Rede gerichtet war, —
sie freiwillig aus dem Leben. Die Thatsache des Selbstmordes
ganzen Kleinlichkeit, Aufgeblasenheit, Verlogenheit, da schweigt der
erfährt der Sohn aus dem Munde des Alten, der seiner Mutter
Journalist: er fühlt, der Geselle steht so tief unter ihm, daß jede
ein zärtlich liebender Freund gewesen ist. Der junge Dichter ist
Abrechnung ein Zuviel wäre. Mit der Maske der Freundschaft
dem Alten zu rasch mit seinem Schmerze fertig, und er muß aus
sinkt er sterbend in den Sessel zurück, wie jener mit der Maske der#
seinem Munde das Wort hören: Eine lebendige Stunde der
Freundschaft das Zimmer verläßt.
Mutter ist vielleicht mehr wert als Dein ganzes Künstlerwirken.
Der Schlußakt löst die immerhin schwülen Stimmungen in
Das heilige Gefühl vom Leben und das Dichten vom Leben
Lachen auf. Es ist ein Capriccio, ein flottes und espritvolles, und
werden einander gegenübergestellt. Der Autor ergreist nicht gerade
zugleich eine runde satirische Komödie. Kleine Cabotins und Selbst¬
Partei, aber man hört doch heraus, daß seine Sympathie mit der
betrüger der Literatur treten auf. Nicht von ringenden oder müden
naiven menschlichen Empfindung ist.
Seelen und von rücksichtslosen Gestaltern ist die Rede, vielmehr
Auch das zweite Stück ist sozusagen ein Litteraten= und
von den unfreiwillig belustigenden Handwerkern der Schreiberei oder
den Dilettanten, die snovhaft mit ihren „lebendigen Stunden“, d. h.
Künstlerstück, in das der Gegensatz vom warm gelebten und über¬
mit ihrem bischen Liebesabenteuertum hausiren gehen. Ihnen wird
legen gestalteten Leben hineinspielt. Renaissance=Empfindungen
mit guter Laune ein Lebemann, ein Held der Ställe, entgegen¬
werden wach. Eine Frau ist auf dem Wege, ihren Gaiten zu be¬
trügen, dem sie nicht Gegenstand zärtlicher Neigung, vielmehr bloß
gesetzt, ein Zeitgenosse, der so gar kein Künstler und in so hohem
Opfer künstlerischer Darstellung gewesen. Sie trifft den Jüngling,
Grade ein Verächter aller Federn ist, daß seine Geliebte die
der zum Abenteuer ausersehen, im Museum — vor der „Frau mit
Legitimität mit der Einstellung des Litteraturbetriebs erkaufen
dem Dolch“, dem Bilde eines unbekannten, altitalischen Meisters.
muß — was ihr nicht schwer wird.
Sie ist unentschlossen; da bringt die Betrachtung des Bildes den
In der Darstellung sind zwei Gruppen zu scheiden: die Naturen
Entschluß. Sie erlebt blitzschnell in ohnmachtähnlichem Zustande
und die guten Schauspieler. Die einen schufen den Lebens= und
eine Art Geschichte des Bildes —: Das Modell, die Frau eines
Geistesgehalt, die Zeitempfindung der Stücke frei aus sich heraus
berühmten Malers, hat einen schönen, treuherzigen Jüngling ver¬
charalteristisch wieder — und das waren Frl. Triesch die
lockt. Sie hat die Liebe nicht, sie will nur den Genuß einer
Herren Rittner und Reinhardt. Die anderen aber erfüllten
Sommernacht. Doch der Jüngling beharrt auf dem Recht seines
mit mehr oder weniger Kunst, doch alle mit Takt und Geschmack
tieferen Gefühls. Da kommt der Gatte zurück; er trifft sie beide;
die Aufgaben ihres Faches — und das waren die Herren Basser¬
die Frau hat den Mut der Wahrheit. Er weist dem Liebhaber Imann, Sommerstorff, Hanns Fischer, Hofmeister
—glu—
verächtlich die Thür. Der aber verlangt, daß der Mann ihn töte, und Hahn.—