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16. 1. Lebendige Stunden zyklus
Theater=Korrespondenz.
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im dritten „Künstler und Erfolg“ und im zweiten „Künstler und
Weib". Der Künstler ist dabei allgemein begriffen worden, das Weib,
soviel ich weiß, nirgends.
Gestatten Sie daher eine kurze Darstellung von dem Standpunkte
der Frau aus.
Die Frau eines berühmten Künstlers schwankt, ob sie einem jungen
Verehrer, dem sie in einer Bildergallerie vor dem Bilde, „die Frau mit
dem Dolche“ ein Rendezvons gegeben hat, sich hingeben soll oder nicht.
Sie liebt ihren Gatten, ihre Seele gehört dem herrlichen Künstler un¬
eingeschränkt, aber der junge Verehrer, dessen Huldigungen ihrer Eitelkeit
schmeicheln, gefällt ihr trotzdem recht gut. Natürlich die „deutsche Frau“,
treu, solide, psychologisch einfach, würde garnicht auf den Gedanken kommen,
zu schwanken, aber diese Pauline, schillernd, kapriziös, ein wenig komplizirt
und ein wenig mehr buhlerisch, wie Schnitzler das Weib eben sieht, ver¬
steht man wohl, wenn sie schwankt.
Doch dazu kommt noch ein Anderes. Es ist ein Instinkt in der
jungen Frau, der sich von dem künstlerischen Egoismus des Gatten mi߬
handelt fühlt. — Was ist sie ihm? — Das Weib, das ihn trunken macht,
dessen Zauber er sich blind, sich restlos hingiebt? — Nein. Sie ist ein
Inhalt, ein Gegenstand für seine Kunst.
Er beobachtet mit spähenden Augen ihre geheimsten Extasen, ihre und
die, welche sie ihm einflößt, er schöpft sie aus, und nicht geung: er stellt
sie aus vor den Augen der Fremden. Ein jeder kann dieses Weibes
geheimsten Seligkeiten zuschauen. Und dann, wenn er fertig ist mit ihr,
wirft er sie vielleicht fort wie eine leere Schale.
Dagegen lehnen sich in ihr Stolz und Scham des Weibes oder auch,
da sie mehr Katze als Löwin ist, Trotz und gekränkte Eitelkeit auf.
Der Instinkt in ihr ruft: „Betrüg' ihn, räche dich". Liebe, Be¬
wunderung und Sitte rufen: „Bleib ihm treu.“ — Dies ist das unklare
Wogen in ihr am Anfang des Stückes.
Da hat sie eine Vision. Sie fühlt sich in das alte Bild hineinversetzt
und lebt die Situation desselben durch. Die psychologische Entwickelung
setzt nun in der Traumhandlung genau dort ein, wo diejenige der wirklichen
Handlung aufgehört hat. Sie hat ihn beirogen. Sie ist die Gattin eines
großen Malers. Ihre Liebe gehört dem Gatten, aber sie hat, während
dieser abwesend ist, einem jungen hübschen Burschen eine Nacht gewährt,
weil sie die Liebe des Gatten schwinden fühlte. Der Bursche wähnt, sie
liebe ihn und gehöre ihm nun mit Leib und Seele an. Sie aber liefert
ihn, empört über diesen Dünkel, dem heimkehrenden Gatten aus und ge¬
steht diesem ihre Schuld. Was will sie? — Verzeihung? — Nein. —
Sie macht eine furchtbare Probe. Sie will wissen, ob seine Leidenschaft
zu ihr größer ist oder sein künstlerischer Egoismus, ob er den Künstler
oder den Mann in einem solchen Augenblicke vergessen wird. Sie ge¬
braucht dieses furchtbare Mittel, um dadurch seine schwindende Leidenschaft
16. 1. Lebendige Stunden zyklus
Theater=Korrespondenz.
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im dritten „Künstler und Erfolg“ und im zweiten „Künstler und
Weib". Der Künstler ist dabei allgemein begriffen worden, das Weib,
soviel ich weiß, nirgends.
Gestatten Sie daher eine kurze Darstellung von dem Standpunkte
der Frau aus.
Die Frau eines berühmten Künstlers schwankt, ob sie einem jungen
Verehrer, dem sie in einer Bildergallerie vor dem Bilde, „die Frau mit
dem Dolche“ ein Rendezvons gegeben hat, sich hingeben soll oder nicht.
Sie liebt ihren Gatten, ihre Seele gehört dem herrlichen Künstler un¬
eingeschränkt, aber der junge Verehrer, dessen Huldigungen ihrer Eitelkeit
schmeicheln, gefällt ihr trotzdem recht gut. Natürlich die „deutsche Frau“,
treu, solide, psychologisch einfach, würde garnicht auf den Gedanken kommen,
zu schwanken, aber diese Pauline, schillernd, kapriziös, ein wenig komplizirt
und ein wenig mehr buhlerisch, wie Schnitzler das Weib eben sieht, ver¬
steht man wohl, wenn sie schwankt.
Doch dazu kommt noch ein Anderes. Es ist ein Instinkt in der
jungen Frau, der sich von dem künstlerischen Egoismus des Gatten mi߬
handelt fühlt. — Was ist sie ihm? — Das Weib, das ihn trunken macht,
dessen Zauber er sich blind, sich restlos hingiebt? — Nein. Sie ist ein
Inhalt, ein Gegenstand für seine Kunst.
Er beobachtet mit spähenden Augen ihre geheimsten Extasen, ihre und
die, welche sie ihm einflößt, er schöpft sie aus, und nicht geung: er stellt
sie aus vor den Augen der Fremden. Ein jeder kann dieses Weibes
geheimsten Seligkeiten zuschauen. Und dann, wenn er fertig ist mit ihr,
wirft er sie vielleicht fort wie eine leere Schale.
Dagegen lehnen sich in ihr Stolz und Scham des Weibes oder auch,
da sie mehr Katze als Löwin ist, Trotz und gekränkte Eitelkeit auf.
Der Instinkt in ihr ruft: „Betrüg' ihn, räche dich". Liebe, Be¬
wunderung und Sitte rufen: „Bleib ihm treu.“ — Dies ist das unklare
Wogen in ihr am Anfang des Stückes.
Da hat sie eine Vision. Sie fühlt sich in das alte Bild hineinversetzt
und lebt die Situation desselben durch. Die psychologische Entwickelung
setzt nun in der Traumhandlung genau dort ein, wo diejenige der wirklichen
Handlung aufgehört hat. Sie hat ihn beirogen. Sie ist die Gattin eines
großen Malers. Ihre Liebe gehört dem Gatten, aber sie hat, während
dieser abwesend ist, einem jungen hübschen Burschen eine Nacht gewährt,
weil sie die Liebe des Gatten schwinden fühlte. Der Bursche wähnt, sie
liebe ihn und gehöre ihm nun mit Leib und Seele an. Sie aber liefert
ihn, empört über diesen Dünkel, dem heimkehrenden Gatten aus und ge¬
steht diesem ihre Schuld. Was will sie? — Verzeihung? — Nein. —
Sie macht eine furchtbare Probe. Sie will wissen, ob seine Leidenschaft
zu ihr größer ist oder sein künstlerischer Egoismus, ob er den Künstler
oder den Mann in einem solchen Augenblicke vergessen wird. Sie ge¬
braucht dieses furchtbare Mittel, um dadurch seine schwindende Leidenschaft