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box 21/3
16.1. Lebendige Stunden Zuklus
—WIeII, IX1
- Filiale in Budapest.
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Nev.
is Wage, Wien
Ausschnitt aus:
vom: / 70 2
Krankenhause spielt. Aber zum Nachtheil des Verständ¬
nisses stehendie Pointen dieser Stücke zwischen den
Zeilen und solche Interlinear-Gedanken taugen für die
Bühne wenig. Dabei wird wie in der „Frau mit dem
Dolche“ein großer Apparat aufgewendet, der in keinem
Es gibt einen Mann, der Dank der Beschränkt¬
Verhältnis zum Gerüst des kleinen Dramas steht. Gerade
Theit und Kleinlichkeit der Wiener Theaterdirectoren
der Stoff' dieses Stückehens aber ist von allen vieren der
sich alljährlich Geld und Ehren aus Wien holt. Dieser
interessanteste. Die Frau, die ihren Mann betrügt im
Mann ist der kluge Theaterdirector Brahms in Berlin.
Rausche einer lebendigen Stunde, dabei doch die Liebe
Er wartet ruhig ab, welche Stücke von den Wiener
zum Mann im Herzen, die deun erst recht und stärker
Bühnenlenkern zurückgewiesen werden, kommt dann
denn je aufflammt. Und da der Mann den Liebhaber
im Frühjahr mit diesen Stücken nach Wien und macht
verachtet, und ihn nicht tödten will, tödtet sie ihn.
Für
50 Zé sein Geschäft damit. Das geht nun schon einige Jahre
100
Die Geste aber, mit der sie dies thut, ergreift den
so fort, und da die Wiener Bühnenleiter nicht klüger
200
Gatten künstlerisch und er eilt, sie rasch in einem
500
werden, so wird es wohl noch einige Jahre so weiter
„
Bilde zu verewigen. Dieser Stoff ist in solcher Ver¬
" 1000
gehen. Dazu kommt noch, dass Brahms alter Freund
kürzung gesehen, dass er sich seelisch und künst¬
Im
und College Schlenther Ibsen so gut wie gar nicht
#lerisch vor uns und in uns nicht ausleben kann. Statt
Abonnemen
spielt, und wenn man also Stücke von Ibsen sehen
Abonnenter
einer lebendigen Stunde gab uns der Dichter bloß
will. man warten muss. bis das Deutsche Theater er¬
einige lebendige Minuten.
Der
scheint, um sie den Wienern in würdiger Form vor¬
Gerade in diesen Stückchen ließ die Regie des
Inhaltsang zuführen. Man muss aber nicht gerade lbsen heißien
Detitschen Theaters alles zu wünschen übrig. Man
blätter
um in Wien nicht aufgeführt zu werden. Das passiert
wodurch &
kann nicht stimmungsloser, langweiliger ein Stück
auch schon Arthur Schnitzler, Ich möchte wissen,
Leben de
ausstatten, als es hier geschehen. Wieder wurde ein¬
welchen Spektakel es in Berlin gäbe, und wie man
theilunger
mal der Beweis erbracht, dass die Schauspieler des
dort lachen und höhnen würde, wenn ein Berliner
Deutschen Theaters, so vortrefflich und interessant
Dichter ersten Ranges in Berlin keine Unterkunft
sie modernes Leben darzustellen vermögen, sofort ver¬
fände und warten müsste, bis etwa ein Wiener
sagen, sobald sie Versen und stilisiertem Leben gegen¬
Ensemble nach Berlin geht und ihn dort aufführt.
überstenen. Die Einzeldarstellungen in den übrigen
Aber es scheint, dass man in Wien das Tragikomische
Stücken, besomdlers durch dlie Herren Bassermann und
dieses literarischen Schildaerstückchens gar nicht fühlt.
Reinhardt waren sehr gut, aber es gab doch kein
Dass die vier Einakter Schnitzlers, die hier in
Stück des ganzen Cyklus, das an einer Wiener Bühne“,
Betracht kommen, und die das Deutsche Theater als
nicht besser gespielt worden wäre.
Eröffnungsvorstellung brachte, nicht zu Schnitzlers
besten Werken zählen, verringert die Unterlassungs¬
sünde, die von den Wiener Theaterdirectoren anihnen
begangen wurde, durchaus nicht. Ein rauschender
Erfolg mit sehr viel Cassa war gewiss nicht mit ihnen
zu holen. Aber Ehre und literarischer Gewinn. Von¬
den vier Stückehen, die unter dem gemeinsamen
Titel: „Lebendige Stunden“ in die Welt gehen, ist
eigentlich nur das letzte „Literatur“ ein rechtes Theater¬
stück, ein Akt voll Witz und Humor, anmuthig ge¬
führt, voll drolliger Menschenbeobachtung, geschickt
exponiert, spannend entwickelt, drastisch geschlossen.
Die anderen drei Einakter sind eigentlich mehr
scenische Feuilletons als kleine Dramen. Ihr gemein¬
sämer Vorzug ist der ausgezeichnete Dialog, ihr
gemeinsamer Nachtheil die Unklarheit des Grund¬
gedankens. Es hat ganz den Anschein, als ob — viel¬
leicht, ja sogar, wahrscheinlicherweise unbewusst
Ibsens Epilog Wenn wir Todten erwachen“ den Keim
zu diesem Gedanken in des Dichters Seele gelegt;
hätte. Der Fluch, der auf Bildhauer Rubek lastet,
ist der, dass er im lebendigen Leben nichts sah, als
Stott für seine Kunst. Er hat das Leben mißbraucht,
um seine Werke daraus zu formen. Was aber wiegt
alle Kunst neben der lebendigen That? Und so
zeigt nun Schnitzler im ersten Einakter einen
egoistischen Dichter, im zweiten einen Maler, für
dlie das Leben nur Anlass und Gelegenheit zür
Dichtung und zur Kunst ist. Aber es ist zweifellos,
dass der Dichter diesen Menschen nicht Recht gibt,
dass auch er sich und uns sagt: „was wiegt eure
Schreiberei gegen eine lebendige Stunde?“ Das Leben
wird gegen die Kunst ausgespielt
auch in der
tragischen Groteske „Die letzten Masken“ die im
—
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16.1. Lebendige Stunden Zuklus
—WIeII, IX1
- Filiale in Budapest.
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Nev.
is Wage, Wien
Ausschnitt aus:
vom: / 70 2
Krankenhause spielt. Aber zum Nachtheil des Verständ¬
nisses stehendie Pointen dieser Stücke zwischen den
Zeilen und solche Interlinear-Gedanken taugen für die
Bühne wenig. Dabei wird wie in der „Frau mit dem
Dolche“ein großer Apparat aufgewendet, der in keinem
Es gibt einen Mann, der Dank der Beschränkt¬
Verhältnis zum Gerüst des kleinen Dramas steht. Gerade
Theit und Kleinlichkeit der Wiener Theaterdirectoren
der Stoff' dieses Stückehens aber ist von allen vieren der
sich alljährlich Geld und Ehren aus Wien holt. Dieser
interessanteste. Die Frau, die ihren Mann betrügt im
Mann ist der kluge Theaterdirector Brahms in Berlin.
Rausche einer lebendigen Stunde, dabei doch die Liebe
Er wartet ruhig ab, welche Stücke von den Wiener
zum Mann im Herzen, die deun erst recht und stärker
Bühnenlenkern zurückgewiesen werden, kommt dann
denn je aufflammt. Und da der Mann den Liebhaber
im Frühjahr mit diesen Stücken nach Wien und macht
verachtet, und ihn nicht tödten will, tödtet sie ihn.
Für
50 Zé sein Geschäft damit. Das geht nun schon einige Jahre
100
Die Geste aber, mit der sie dies thut, ergreift den
so fort, und da die Wiener Bühnenleiter nicht klüger
200
Gatten künstlerisch und er eilt, sie rasch in einem
500
werden, so wird es wohl noch einige Jahre so weiter
„
Bilde zu verewigen. Dieser Stoff ist in solcher Ver¬
" 1000
gehen. Dazu kommt noch, dass Brahms alter Freund
kürzung gesehen, dass er sich seelisch und künst¬
Im
und College Schlenther Ibsen so gut wie gar nicht
#lerisch vor uns und in uns nicht ausleben kann. Statt
Abonnemen
spielt, und wenn man also Stücke von Ibsen sehen
Abonnenter
einer lebendigen Stunde gab uns der Dichter bloß
will. man warten muss. bis das Deutsche Theater er¬
einige lebendige Minuten.
Der
scheint, um sie den Wienern in würdiger Form vor¬
Gerade in diesen Stückchen ließ die Regie des
Inhaltsang zuführen. Man muss aber nicht gerade lbsen heißien
Detitschen Theaters alles zu wünschen übrig. Man
blätter
um in Wien nicht aufgeführt zu werden. Das passiert
wodurch &
kann nicht stimmungsloser, langweiliger ein Stück
auch schon Arthur Schnitzler, Ich möchte wissen,
Leben de
ausstatten, als es hier geschehen. Wieder wurde ein¬
welchen Spektakel es in Berlin gäbe, und wie man
theilunger
mal der Beweis erbracht, dass die Schauspieler des
dort lachen und höhnen würde, wenn ein Berliner
Deutschen Theaters, so vortrefflich und interessant
Dichter ersten Ranges in Berlin keine Unterkunft
sie modernes Leben darzustellen vermögen, sofort ver¬
fände und warten müsste, bis etwa ein Wiener
sagen, sobald sie Versen und stilisiertem Leben gegen¬
Ensemble nach Berlin geht und ihn dort aufführt.
überstenen. Die Einzeldarstellungen in den übrigen
Aber es scheint, dass man in Wien das Tragikomische
Stücken, besomdlers durch dlie Herren Bassermann und
dieses literarischen Schildaerstückchens gar nicht fühlt.
Reinhardt waren sehr gut, aber es gab doch kein
Dass die vier Einakter Schnitzlers, die hier in
Stück des ganzen Cyklus, das an einer Wiener Bühne“,
Betracht kommen, und die das Deutsche Theater als
nicht besser gespielt worden wäre.
Eröffnungsvorstellung brachte, nicht zu Schnitzlers
besten Werken zählen, verringert die Unterlassungs¬
sünde, die von den Wiener Theaterdirectoren anihnen
begangen wurde, durchaus nicht. Ein rauschender
Erfolg mit sehr viel Cassa war gewiss nicht mit ihnen
zu holen. Aber Ehre und literarischer Gewinn. Von¬
den vier Stückehen, die unter dem gemeinsamen
Titel: „Lebendige Stunden“ in die Welt gehen, ist
eigentlich nur das letzte „Literatur“ ein rechtes Theater¬
stück, ein Akt voll Witz und Humor, anmuthig ge¬
führt, voll drolliger Menschenbeobachtung, geschickt
exponiert, spannend entwickelt, drastisch geschlossen.
Die anderen drei Einakter sind eigentlich mehr
scenische Feuilletons als kleine Dramen. Ihr gemein¬
sämer Vorzug ist der ausgezeichnete Dialog, ihr
gemeinsamer Nachtheil die Unklarheit des Grund¬
gedankens. Es hat ganz den Anschein, als ob — viel¬
leicht, ja sogar, wahrscheinlicherweise unbewusst
Ibsens Epilog Wenn wir Todten erwachen“ den Keim
zu diesem Gedanken in des Dichters Seele gelegt;
hätte. Der Fluch, der auf Bildhauer Rubek lastet,
ist der, dass er im lebendigen Leben nichts sah, als
Stott für seine Kunst. Er hat das Leben mißbraucht,
um seine Werke daraus zu formen. Was aber wiegt
alle Kunst neben der lebendigen That? Und so
zeigt nun Schnitzler im ersten Einakter einen
egoistischen Dichter, im zweiten einen Maler, für
dlie das Leben nur Anlass und Gelegenheit zür
Dichtung und zur Kunst ist. Aber es ist zweifellos,
dass der Dichter diesen Menschen nicht Recht gibt,
dass auch er sich und uns sagt: „was wiegt eure
Schreiberei gegen eine lebendige Stunde?“ Das Leben
wird gegen die Kunst ausgespielt
auch in der
tragischen Groteske „Die letzten Masken“ die im
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