II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 478

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16.1. Lebendige Stunden zuklus
Telephon 12801.
Alex. Welgl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
10
„OBSERYER“
Nr. 9
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
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Ausschnitt aus:
Pester Lloye
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„ustspieltheater. Zweiter Abend des Berliner Deutschen
Theäker=Ensembles: „Lebendige Stunden“ von Arthur
Schnitzler. Wieder ein Erfolg, der die richtige Progression
zeigte. Es wäre förmlich von schlimmer Vorbedeutung gewesen, hätte
der Beifall nach dem ersten Stücke der kleinen Tetralogie zu hoch
eingesetzt. Einen starken ersten Akt schreiben und dann sachte abfallen.
das treffen auch unsere Antoren. Schnitzler macht das praktischer. Er
war nicht vergeblich Arzt und verabreicht die starken und stärkeren¬
Dosen versichtig. Die eigentlichen „Lebendigen Stunden“ sind nicht
mehr als eine treffende Diagnose. Ruhige, beinahe kühle Feststellung
Für
des Seelenzustandes, den ein und dasselbe Unglück bei verschiedenartig wv#

veranlagten Naturen bewirkt. Der Normalmensch und die Künstler .
n
natur schöpfen aus einem und demselben Vorgange ganz in
heterogene Eindrücke. Der Dichter, dem die Mutter gestorben ist,
röstet sich, wenn er in freiem Schaffen Vergessen finden darf, das
den
Abon eichter, als der alte Freund, dessen Herzen die Verblichene
Abon
gahe gestanden und der für sein Weh kein anderes Ausdrucksmittel
als die Todtenklage findet. Den Normalmenschen dünkt der anders s die
Inha besaitete Künstler unmenschlich, empörend; er versteht ihn einfach gen¬
blätzicht, kann und wird ihn auch kaum je verstehen. Dieser Gegensatz ung")
tliche
wodurst in dem ersten Stücke des Cyklus sehr geistreich aufgestellt, ist auch Ait¬
Leben“
theilussychisch unbestreitbar, aber im Publikum, dessen überwiegende
Mehrheit aus Normalmenschen besteht, darf die These auf allzu
träftigen Widerhall nicht zählen. Die Schaffenden im Zuschauer¬
caume fühlen, wissen, daß der Dichter eine unumstößliche Wahrheit
vor uns hinstellt, die Form, in der er es thut, ist untadelig, nobel,
oielleicht gar zu gut gekleidet; aber die Meisten im Saale
glauben nicht recht an sie, denn moderne Wahrheiten erscheinen
sonst nackt und handgreiflich auf dem Theater. Die Schnitzler'sche ist
nicht zum Greisen. Ludwig Hevesi hat in diesen Blättern vor genau
oier Wochen in einem Feuilleton — auch eine lebendige halbe
Stunde — über die Wiener Novität der Berliner Künstler ein¬
gehend gesprochen und uns nur karge Nachlese übrig gelassen. Das
erste Stück konnte auch hier keine andere Wirkung haben als in
Wien, aber es wäre Unrecht, zu behaupten, daß die erste der
„Lebendigen Stunden“ auf die Fortsetzung nicht neugierig gemacht
habe. Und die Fortsetzung war gut, besser, am besten. „Die Frau
mit dem Dolche“ erschien dem Publikum wie ein Capriccio, das es
ja auch ist; ein bischen verschwommen, ein bischen gesucht, aber
fein gezeichnet, die Schöpfung einer Künsilerlaune, die vom
Landläusigen um keinen Preis der Welt etwas wissen,
mag. Das Spiel mit Wirklichkeit und Vision ist exzentrisch, verstiegenf
aber der Geist eines Dichters schwebt darüber und verweist uns an¬
die unerforschlichen Geheimnisse der Frauenseele. Wer dem Psychot¬
logen, der die Lösung eines solchen Geheimnisses versucht, glaubt, hat
den Genuß davon; wer ihm nicht folgen kann, dem bleibt immerhin
noch die Frende an szenischen Bildern und reizvollen Bersen.
Das Publikum fand an dem originellen Blendwerk
Gefallen und rief den anwesenden Dichter ein halb
Dutzend Male, mit ihm Frl. Irene Triesch; auch eine
Neue, deren Bekanntschaft als angenehm und werthvoll gelten durfte.
Sie war die visionäre Dame, die in zehn Minuten ein halbes Jahr¬
taufend wegzueslamotiren hat und sie machte dieses Hexenstück —
parat —.
LIf