II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 512

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Es ist leichter, die Renschen
Diese ewig tadelnde Stimme, diese unaufhörlichen Klagen
und Vorwürfe über jede Kleinigkeit nicht hören zu müssen!“
Lange durchstreifte sie den großen Garten, aber die
Einsamkeit war doch gar zu drückend. Frau von Walden
empfand das Bedürfnis mit jemand zu sprechen, wenn auch
nur einige gleichgültige Worte. In nicht allzu großer Ent¬
fernung vernahm man Stimmen. Max gab dem Gärtner
Befehle. Seine Augen leuchteten, als er die langsam und
zögernd Herankommende ehrfurchtsvoll begrüßte. Sie blieb
stehen und sagte lächelnd:
„Ich muß mich erst an die Stille hier gewöhnen und
weiß nicht was mit den langen Abendstunden anfangen.
Leider vergaß ich auch mir die Bücher mitzubringen.“
„Frau von Gertrungen besitzt eine reichhaltige Bibliothek.
Wenn ich Sie hinführen dürfte, gnädige Frau?“
gewiß! Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.“
An seiner Seite schritt sie die teppichbelegte Treppe
empor und folgte ihm durch eine Reihe pompös ausgestatteter
Zimmer.
„Wozu diese Pracht, wenn niemand sie sehen soll,“ klang
es unwillkürlich von ihren Lippen.
„Nur zu wahr. Die Villa gleicht einem verzauberten
Schlosse,“ erwiderte er. „Aber vielleicht wird Ihre Anwesen¬
heit erwünschte Aenderung bringen.“
„O nein! Davon überzeugte ich mich schon in der ersten
Stunde. Vielleicht hätte ich überhaupt erst Erlaubnis er¬
bitten müssen, hier eintreten zu dürfen.“
„Keineswegs! Die Gnädige beauftragte mich, alle diese
literarischen Schätze zu Ihrer Verfügung zu stellen.“
Frau von Walden wählte hastig, eilte in ihr luxuriöses
Boudoir und begann eifrig zu lesen, legte das Buch doch
bald wieder aus den Händen. Um des Bruder willen war
sie hier her gekommen und er wartete auf Nachricht.
Aber was nach diesem ersten Zusammentreffen mit der
alten Dame schreiben? — Nie in ihrem Leben hatte sie sich
so trostlos und entmutigt, so ratlos gefühlt. — Und doch
drängte die Zeit, stieg die Gefahr mit jeder Minute. Ein
halbunterdrücktes Schluchzen rang sich aus der beklommenen
Brust Nataliens. Die weißen Hände falteten sich zum
Gebet. Doch Sammlung und inbrünstige Andacht fehlten.
Was tun? Die Macht der Beredsamkeit versuchen.
Himmel! Konnte man nicht eben so gut einen Stein an¬
flehen, wie dieses kalte, stolze, unzugängliche Weib?
Die Schwüle des beengten Zimmers drohte die Ge¬
ängstigte zu ersticken, so daß sie beide Fensterflügel aufriß.
Feuchte Nachtluft wehte aus dem von Mondenschein über¬
glänzten Garten herein.
Halb verborgen hinter dem Stamm einer mächtigen
Linde, blickte Max Werner zu der reizenden Frauengestalt
empor die vom rosigen Schimmer der verschleierten Lampe
umflossen, dort oben stand. In starres, entzückendes Schauen
verloren, vermochte er sich von dem bestrickenden Bilde nicht
abzuwenden.
Plötzlich legte sich eine Hand schwer auf seine Schulter.
„Komm weg von hier,“ flüsterte Barbara, die ihn im
Lebendige Stunden.
Einakter=Cyclus. Von Arthur Schnitzler.
Wieder ein Einakter=Cyclus, den uns das Leipziger Schauspielhaus
bescherte. Erinnerungen sind es, die lebendig werden, Erinnerungen
in manigfacher Gestalt. Längst vergessene Stunden erstehen wieder, hier
dämmern sie in der Todesstunde herauf, dort brechen sie hart in das
blühende Leben hinein und werfen ihre Schatten.
Artbur Schnitzler, der uns den Einakter=Abend jüngst im Leipziger
Schauspielhause bot, hat ein ungemein seines Gesühl für Stimmungen.
In dem ersten Stück „Lebendige Stunden“ hat er nur
Simmungen“ geboten, nichts weiter. Das war in so fern schon be¬
denklich, als die darstellenden Schauspieler absolut nicht in die not¬
wendige Stimmung kamen und das Publikum in Folge dessen auch
vollständig „stimmungslos“ blieb, so daß man für den Erfolg schon
zu käuschen, alg zu amüsieren.
ganzen Hause vergebens gesucht hatte. „Jene dort wird mir
und dir
das ahne ich — Unheil bringen. Du versündigst
dich, indem du deine Augen zu ihr erhebst.“

„Warum?“
„Weil sie das Weib eines andern ist.“
„Mutter! Welcher Gedanken hältst du mich für fähig?
Welche Gedanken weckst du in mir?“
„Die Versuchung schleicht durch den engsten Spalt in
das
Herz des Menschen.“
„Du bist eine fromme Frau, aber hüte dich —
„Vor was?“
„Vor religiösem Fanatismus, der dir auch das Reinste
und Unschuld ste in dem trüben Licht der Sünde zeigt.“
„Mein Sohn soll mich nicht meistern. Die Mutter ge¬
bietet
— das Kind gehorcht. Ich dulde nicht, daß du noch
länger hier stehst und zu dieser Frau empor blickst, wie zu
einer Heiligen, die man auf den Knieen verehrt. Komm'.

Ich befehle es!“
Schweigend folgte er ihr.
Tage und Wochen vergingen, aber Natalie kam dem
Herzen ihrer Verwandten nicht näher, obgleich sie auf jede
Weise und unermüdlich um deren Gunst warb. Frau von
Gertrungen's Haß war eben so beständig wie ihre Liebe.
Sie konnte weder vergessen noch verzeihen und denen kein
Wohlwollen entgegen bringen, die der Familie ihres Gatten an¬
gehörten. Die junge Frau zu sich berufend, hatte sie nur
ihr Harden gegebenes Versprechen erfüllt wußte aber von
Versöhnung und verwandtschaftlicher Zuneigung auch heute
noch nichts. Es gab nun einmal einen Punkt in ihrer Seele,
der tot und unempfindlich blieb.
Frau von Walden wurde ihres schweren Kummers nicht
ledig und dabei begann sie sich nach Zerstreuung zu sehnen,
nach einem „Etwas“ worauf sie ihre gepeinigten Gedanken
konzentrieren konnte. Die Villa war ja ein Wunderwerk,
aber wer wollte von früh bis spät die tote Pracht anstaunen?
— Und die Personen, denen man in diesem Feenpalast be¬
Frau von Gertrungen, die früh
gegnete?
Gealterte, mit dem versteinerten Herzen und den Augen
eines jungen, glühenden Weibes — — Barbara, die fromme
Fanatikerin, deren finsteres Gesicht immer einen so strafenden
Ausdruck zeigte — Pfarrer Harden, in dessen Gegenwart
man überhaupt nicht von weltlichen Dingen zu sprechen wagte
und Max, der — ja, Max. —
Frau von Walden lachte halb spöttisch, halb belustigt
und befestigte einen Fliederzweig in ihrem lichtbraunen Haar.
Ja Max, der unter ihrem Fenster schwärmte, wie ein
Mädchen errötete, wenn sie ihn ansah und jede Blume auf¬
hob, die sie fort warf — das war ein Zeitvertreib und dazu
ein ganz ungefährlicher. — Die bleierne Langeweile mußte
doch verscheucht werden. Es handelte sich ja auch um keine
wildauflodernde Leidenschaft, sondern nur um ein bescheidenes
Flämmchen, dem man wohl etwas nahe kommen konnte, ohne.
Furcht, sich daran die Flügel zu versengen.
(Fortsetzung folgt.)
bangen konnte. Aber der weitere Verlauf des Abends nahm eine
günstigere Wendung.
Im ersten Einakter „Lebendige Stunden“ feiert die Mutterliebe
ihre Triumphe. Die Frau Hofrätin ist gestorben, ihr alter Hausfreund,
der die Frau Hofrätin, nachdem ihr Gatte sie und ihren Sohn ver¬
lassen, getröstet hat, erzählt es dem alten Gärtner. Dazu fällt das
falbe Herbstlaub von den Bäumen und Ecinnerungen werden lebendig,
gute und böse. Der einzige Sohn der Toten kehrt zurück und Haus¬
dorfer, der Mann, der die Frau Hofrätin mehr wie sein Leben geliebt
haben will, eröffnet mit einer geradezu cynischen Grausamkeit dem
Sohn, daß die Mutter seinetwegen gestorben ist. Der Sohn, der durch
die Leiden der Mutter und seine ängstliche. Sorge um sie seine Schaffens¬
kraft eingebüßt, sollte wieder frei aimen können, der Arbeit zurück¬
gegeben werden. Die Mutter vertraut dem geliebten Freunde an,
iß sie aus Mutterliebe das Opfer gebracht und der Freund hat nichts