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16.4. Literatur
Klose & Seidel
Burenu für Zeitungsausschmius
Berlin N0. 43, Georgentäitchpiat 2
Zeitung:
Ort:
Datum: —
Theater und Musik.
Hoftheater.
Zum ersten Male: Varieté. Ein Akt von Heinrich Mann. —
Der Kammersänger. Drei Szenen von Frank Wedekind. —
Literatur. Einakter von Artur Schnitzler.
Wäre nicht die unter der Leitn# stehende Auf¬
führung eine ganz exzellente gewesen, so müßte ich diesen Abend als
einen verlorenen in mein Register eintragen. Das letzte der Stücke
trägt den Titel „Literatur“, aber man kann nicht sagen, daß dieser
Titel dem Abende die Signatur gegeben hätte, in diesem Falle war
„nomen non omen“. Halte ich unsere ganze zeilgenössische Literatur
von einzelnen rühmlichen Ausnahmen abgesehen — für einen
kranken Auswuchs am Stamme unserer Literatur, so rubriziere ich
die ganze „Literatur"=Gattung, der diese Stücke angehören, unter
„Kitsch“. Ich weiß sehr wohl, daß mir entgegengehalten wird, daß
doch aber Mann. Wedekind und Schnitzler zum mindesten vortreffliche
Beobachter sind, die das Leben zu schauen und in ihren „Dichtungen“
getreulich zu konterseien wissen, wie es wirklich ist. Aber erstens be¬
streite ich, daß es der Zweck der Kunst ist, die Wirklichkeit, das
Leben, die Natur zu kopieren, denen gegenüber sie doch stets als
Stümperei erscheinen müßte, bin vielmehr der Meinung, daß die
Kunst uns, wenn auch nur für Stunden und Augenblicken, über die
meist traurige — Wirklichkeit hinausheben soll. Zweitens halte
ich was die drei Autoren in ihren Stücken bringen, nicht für Natur.
sondern im Gegenteil für höchste Unnatur. Wäre mir die Aufgabe
gestellt, den Abend unter ein gemeinsames Zeichen zu stellen, so
würde ich „Karikierende Groteske“ vorschlagen.
Am oben besagten kranken Auswuchse betrachte ich Heinrich
Mann als einen kümmerlichen Zweig. Seine Nomane sind
stilistisch und inhaltlich wirres, groteskes Zeug, und dieser Einakter
ist es nicht minder. Ich kann darin weder etwas Parodistisches noch
Ironisches sehensondern sehe darin nichts als eine freche Besudelung
eines Standes, der ebenso viele ehrenwerte Elemente birgt wie der
bürgerliche. Es mag sein, daß in der Artistenwelt irgendwo einmal
ein solches Milieu sich findet, wie das hier gezeichnete, aber darum
braucht es doch noch nicht auf die Bühne geschleift zu werden. Frei¬
lich sind ja die Modernen älterer und jüngerer Observanz stets bei der
Hand, wenn es gilt, Nachtseiten an ihrem eigenen Volke aufzuspüren,
und zwar nicht, um zu bessern, sondern um recht tief im Sumpfe zu
wühlen und Nerven und Sinnlichkeit ihres Publikums aufzupeitschen.
Irgend ein künstlerischer Grund, das Stück im Hoftheater aufzu¬
führen, bestand jedenfalls nicht. Gerade Friedel Mumme hat
uns durch ihre entzückende Minna gezeigt, daß man für sie, um uns
von ihrer eminenten Begabung zu überzeugen, wahrhaftig nicht
Rollen auszugraben braucht, wie diese Leda, die allerdings mit
glänzender Virtnosität von der jungen Schauspielerin gespielt wurde,
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die ungemein pikant und doch ohne zu straucheln auf der schmalen
Grenze einherzutänzeln wußte, die Wohlanständigkeit und Unan¬
ständigkeit scheidet. Eine ganz köstlche Type, die wirklich aus dem
Leben gegriffen war, war Eberts Direktor Fein. Herrgott, wo
hast du ihn doch zuletzt getrossen?“, fragte man sich fast bei jeder Be¬
wegung, bei jedem Worte dieses Geschäftsmanurs der Kunst.
Hagemann hatte als Fred eigentlich mehr Gelegenheit, mit seinen
eminenten pianistischen als schauspielerischen Fähigkeiten zu glänzen.“
Emmy Kroeck, Rudolph und Reichert machten aus ihren
Rollen, was daraus zu machen war.
Wedekinds „Kammersänger“ ist für Hannover ein zu
alter und abgespielter Bekannter, als daß die Bedürfnisfrage nach
seiner Auferstehung im Hoftheater bejahlt werden könnte. Auch
wenn man in diesem Stücke mehr sehen will als einen „grotesken
Ulk“, auch wenn man den Professor Dühring als eine rührende, ja
tragische Figur nehmen will, so kann man doch an einem solchen
Moralprediger wie diesem Kammersänger keinen Gefallen finden, auch
wenn man den ganz ausgezeichneten Leistungen Rudolohs,
Friede! Mummes, Eberts und Herta Windschilds
gern uneingeschränktes Lob spendet, wobei ausdrücklich hervor¬
gehoben werden soll, daß auch die Beipersonen gute Vertretung
hatten.
Auch die Aufführung des Schnitzlerschen Einakters „Literatur“
ließ sich sehr gut an, indem besonders Friedel Mumme eine¬
scharmante Margarethe war, wie sich überhaupt der ganze Abend
recht eigentlich zu einem Friedel Mumme=Abende gestaltete. Auch
Grüters fand sich mit dem Clemens recht geschickt ab. so weit ich
der Aufführung beiwohnte. Das Auftreten Rudolphs habe ich
nicht mehr miterlebt, da der geistreichelnde Schmarren des Reigen
mannes es mir nicht wert war, die letzte Straßenbahn dieses Abends
zu versäumen, die mich den heimatlichen Penaten zuführen konnte.
Müssen denn solche Abende durchaus bis gegen 11 Uhr ausgedehnt
werden? Warum war der Anfang nicht auf 7 Uhr angesetzt?
Grotesk wie die Stücke selbst waren auch Poreps szenische Eni¬
würse, die geradezu symbolisch waren und sehr stilecht anmuteten,
was in diesem Falle ein besonderes Loh für den Künstler ist. E. R.
16.4. Literatur
Klose & Seidel
Burenu für Zeitungsausschmius
Berlin N0. 43, Georgentäitchpiat 2
Zeitung:
Ort:
Datum: —
Theater und Musik.
Hoftheater.
Zum ersten Male: Varieté. Ein Akt von Heinrich Mann. —
Der Kammersänger. Drei Szenen von Frank Wedekind. —
Literatur. Einakter von Artur Schnitzler.
Wäre nicht die unter der Leitn# stehende Auf¬
führung eine ganz exzellente gewesen, so müßte ich diesen Abend als
einen verlorenen in mein Register eintragen. Das letzte der Stücke
trägt den Titel „Literatur“, aber man kann nicht sagen, daß dieser
Titel dem Abende die Signatur gegeben hätte, in diesem Falle war
„nomen non omen“. Halte ich unsere ganze zeilgenössische Literatur
von einzelnen rühmlichen Ausnahmen abgesehen — für einen
kranken Auswuchs am Stamme unserer Literatur, so rubriziere ich
die ganze „Literatur"=Gattung, der diese Stücke angehören, unter
„Kitsch“. Ich weiß sehr wohl, daß mir entgegengehalten wird, daß
doch aber Mann. Wedekind und Schnitzler zum mindesten vortreffliche
Beobachter sind, die das Leben zu schauen und in ihren „Dichtungen“
getreulich zu konterseien wissen, wie es wirklich ist. Aber erstens be¬
streite ich, daß es der Zweck der Kunst ist, die Wirklichkeit, das
Leben, die Natur zu kopieren, denen gegenüber sie doch stets als
Stümperei erscheinen müßte, bin vielmehr der Meinung, daß die
Kunst uns, wenn auch nur für Stunden und Augenblicken, über die
meist traurige — Wirklichkeit hinausheben soll. Zweitens halte
ich was die drei Autoren in ihren Stücken bringen, nicht für Natur.
sondern im Gegenteil für höchste Unnatur. Wäre mir die Aufgabe
gestellt, den Abend unter ein gemeinsames Zeichen zu stellen, so
würde ich „Karikierende Groteske“ vorschlagen.
Am oben besagten kranken Auswuchse betrachte ich Heinrich
Mann als einen kümmerlichen Zweig. Seine Nomane sind
stilistisch und inhaltlich wirres, groteskes Zeug, und dieser Einakter
ist es nicht minder. Ich kann darin weder etwas Parodistisches noch
Ironisches sehensondern sehe darin nichts als eine freche Besudelung
eines Standes, der ebenso viele ehrenwerte Elemente birgt wie der
bürgerliche. Es mag sein, daß in der Artistenwelt irgendwo einmal
ein solches Milieu sich findet, wie das hier gezeichnete, aber darum
braucht es doch noch nicht auf die Bühne geschleift zu werden. Frei¬
lich sind ja die Modernen älterer und jüngerer Observanz stets bei der
Hand, wenn es gilt, Nachtseiten an ihrem eigenen Volke aufzuspüren,
und zwar nicht, um zu bessern, sondern um recht tief im Sumpfe zu
wühlen und Nerven und Sinnlichkeit ihres Publikums aufzupeitschen.
Irgend ein künstlerischer Grund, das Stück im Hoftheater aufzu¬
führen, bestand jedenfalls nicht. Gerade Friedel Mumme hat
uns durch ihre entzückende Minna gezeigt, daß man für sie, um uns
von ihrer eminenten Begabung zu überzeugen, wahrhaftig nicht
Rollen auszugraben braucht, wie diese Leda, die allerdings mit
glänzender Virtnosität von der jungen Schauspielerin gespielt wurde,
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die ungemein pikant und doch ohne zu straucheln auf der schmalen
Grenze einherzutänzeln wußte, die Wohlanständigkeit und Unan¬
ständigkeit scheidet. Eine ganz köstlche Type, die wirklich aus dem
Leben gegriffen war, war Eberts Direktor Fein. Herrgott, wo
hast du ihn doch zuletzt getrossen?“, fragte man sich fast bei jeder Be¬
wegung, bei jedem Worte dieses Geschäftsmanurs der Kunst.
Hagemann hatte als Fred eigentlich mehr Gelegenheit, mit seinen
eminenten pianistischen als schauspielerischen Fähigkeiten zu glänzen.“
Emmy Kroeck, Rudolph und Reichert machten aus ihren
Rollen, was daraus zu machen war.
Wedekinds „Kammersänger“ ist für Hannover ein zu
alter und abgespielter Bekannter, als daß die Bedürfnisfrage nach
seiner Auferstehung im Hoftheater bejahlt werden könnte. Auch
wenn man in diesem Stücke mehr sehen will als einen „grotesken
Ulk“, auch wenn man den Professor Dühring als eine rührende, ja
tragische Figur nehmen will, so kann man doch an einem solchen
Moralprediger wie diesem Kammersänger keinen Gefallen finden, auch
wenn man den ganz ausgezeichneten Leistungen Rudolohs,
Friede! Mummes, Eberts und Herta Windschilds
gern uneingeschränktes Lob spendet, wobei ausdrücklich hervor¬
gehoben werden soll, daß auch die Beipersonen gute Vertretung
hatten.
Auch die Aufführung des Schnitzlerschen Einakters „Literatur“
ließ sich sehr gut an, indem besonders Friedel Mumme eine¬
scharmante Margarethe war, wie sich überhaupt der ganze Abend
recht eigentlich zu einem Friedel Mumme=Abende gestaltete. Auch
Grüters fand sich mit dem Clemens recht geschickt ab. so weit ich
der Aufführung beiwohnte. Das Auftreten Rudolphs habe ich
nicht mehr miterlebt, da der geistreichelnde Schmarren des Reigen
mannes es mir nicht wert war, die letzte Straßenbahn dieses Abends
zu versäumen, die mich den heimatlichen Penaten zuführen konnte.
Müssen denn solche Abende durchaus bis gegen 11 Uhr ausgedehnt
werden? Warum war der Anfang nicht auf 7 Uhr angesetzt?
Grotesk wie die Stücke selbst waren auch Poreps szenische Eni¬
würse, die geradezu symbolisch waren und sehr stilecht anmuteten,
was in diesem Falle ein besonderes Loh für den Künstler ist. E. R.