II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Die letzten Masken (Der sterbende Journalist), Seite 43

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16.3. Die
Mnt Proerrete Hige
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Dichterabend im Raimund¬
Theater.
Gedenkfeier für Hofmannsthal, Schnitzler und
Wildgans.
Die Direktion beehrt sich, am ersten Novemberabend bei echtem
Nebelreißen auf der Straße, nassem Pflaster und verschleierten
Laternen pietätvoll darzubieten: erlauchte Gedanken aus Hugo
v. Hofmannsthals „Tor und Tod“. Man kann die heute nach¬
drücklichste Empfehlung durch Aktualität nicht mit größerem
Zartsinn wahrnehmen, als indem man das Publikum angesichts
brennender Grablichter zum Trost zu diesem wundervollen,
sordinierten Saitenspiel über das Dunkle, das unwiderruflich
Verlorene einlädt. Hier sehen Sie, zur Andacht gestimmt, keinen
Knochenmann von Gevatter Tod mit Hippe und Vernichtungs¬
fratze, an seiner Statt lächelt ein Jüngling griechisch aus Erhaben¬
heiten der Ewigkeit herunter. Hofmannsthal lächelt, noch jung
und auf der Schönheitssuche aus diesem herrlichen dichterischen
Requiem für alle, von denen wir glauben, daß sie unvollendet ge¬
storben sind. Merkwürdig übrigens, daß der Oesterreicher mit der
hellenischen Seele gerade in diesen Szenen sein Vollendetes gab.
Und auch zwei andere Oesterreicher, die auf dem Allerseelen¬
programm stehen, verkünden an diesem Abend Versöhnung:
Arthur Schnitzler mit seinem Einakter „Die letzten
Mashen“,Gespräche aus dem Vorhofe des Todes, und Anton
Wildgans mit „In Ewigkeit Amen“. Da wird zum
Schluß doch wieder vom Leben gesprochen. Man hört den Dichter
Wildgans von seinem Menschenglauben sprechen, indem er die
kleine dramatische Anekdote erzählt, mit der er die Herzen packt.
Die Wahl war gut, riß Theater und Publikum für zwei Stunden
aus dem trüben und trivialen Alltag hoch. Warum so selten?
Die Aufführung hatte manche voll geglückte Einzelheiten,
die angesichts der verdienstlichen Veranstaltung in den Vorder¬
grund gestellt werden sollen. In den „Letzten Masken“ chargierte
Hans Frank die Hohlheit eines hochgekommenen, un¬
beveutenden Schriftstellers auf preziöse Art ausezeichnet und
Theodor Danegger mit seinem ungewöhnlichen Kopier¬
talent gab dem sterbenskranken Schauspieler sehr ergötzliche Züge.
Warum aber diese Figur alt und der Journalist Rademacher
verhältnismäßig jung gespielt wurde? Dem Tragischen in der
Komödie kam so ein gutes Stück abhanden. Das Gespenstige an
der Gestalt des durch Tuberkulose ausgemergelten jungen Mimen,
der aus einem dämonischen Darstellungstrieb heraus die ihn um¬
gebenden Menschen kopiert, fiel weg. Danegger war doch mehr:
ein jovialer, behaglicher Todeskandidat, der wirksame Späße
machte. Und auch der begabte Manfred Inger erschien viel zu
lebfrisch, erinnerte sich spät an seine vorgeschriebene Gebrechlich¬
keit. Man wollte bis zum Schluß nicht an die bösen Diagnosen
glauben. Ganz echt der Assistenzarzt von Egon Friedell. Er
war ernst und verhaltenen Gemütes voll. Das Publikum freut
sich gleich, wenn er auf der Bühne erscheint. Im Gerichts¬
stück „In Ewigkeit Amen“ bewies Direktor Barnay, daß er
nötigenfalls an sich selbst einen sehr brauchbaren Charakterspieler
hat. Walter Firner, der in letzter Zeit wiederholt als Dar¬
steller und Regisseur durch interessante Leistungen auffiel, gab im
Einakter Hofmannsthals den Tod. Er bot milde Rhetorik,
sprachlich sauber, die sich aber vom Predigerton nicht freihielt,
irdisch im viel zu hellen Raum. Auch dieser Tod braucht das
Mystische. Hans Frank als Claudio sprach und spielte sich erst
allmählich frei. Es gäbe noch künstlerische Einwände, die dem
Anlaß und der Gesamtleistung zuliebe fortbleiben sollen, für die
e. kl.
das Publikum herzlich dankbar war.
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„OBSERVER'
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777
uener Pechlat, Wien
„Neuf
vom:
„. HOV. 1939
Raimundtheater. Am Allerheiligenabend wurde eine
würdige Gedenkfeier veranstaltet für die drei österreichischen
Dichter Hofmannsthal, Schnitzler und Wildgans.
Drei wohlbekannte einaktige Stücke gingen, mit aller schuldigen
Sorgfalt neu eingeübt, über die Bretter. „Der Tor und
der Tod“ von Hofmannsthal war das den Trauer¬
reigen eröffnende. Des Dichters edle Wortmusik erklang in
allen weichen Mollklängen der deutschen Sprache, und seine an
Goethe gebildete, hohe Verskultur entzückte Ohr und Sinn.
Der Tor Claudio wurde von Hans Frank mit gutem Anstand
veranschaulicht und aus dem Abstrakten und Begrifflichen ins
leidvoll Menschliche transponiert. Der übrigen Darstellung
fehlte das vergeistigt Visionäre, das Uebersinnliche und Jen¬
seitige völlig, doch brachte sie im Realen und Positiven manches
Anzuerkennende wohl zustande. Schnitzlers „Die letzten
Masken“, diese geistreiche Spitalsgroteske, ist noch erstaunlich
frisch und ungealtert. Man kann über das bißchen Sterben nicht
leichter und freier hinwegspotten, als es hier geschieht. Man¬
fred Inger war ein ergreifender Rabemacher, Hans Frank
ein die Charakterlosigkeit zutreffend charakterisierender Weih¬
gast. Den Hospitalsbajazzo Jackwerth mimte Theodor
Danegger höchst ergötzlich, und seine drei eingelegten,
virtuos gebrachten Stimmporträte (Bassermann, Moissi,
Friedell) fanden verständnisvollen Beifall. Egon Friedell
selbst zeigte als Arzt Dr. Hahnschläger, daß er sich zu einem
wirklich gestaltenden Darsteller entwickelt hat. In der Gerichts¬
saalepisode „In Ewigkeit Amen“ wirkte Ludwig
Stössel durch die schlichte Wahrheit und Einfachheit seiner
so kunstlos erscheinenden, ganz großen Kunst ungemein tief und
stark. Paul Barnay, der Direktor, ist einer seiner besten Dar¬
steller. Lotte Lang und Manfred Inger waren schau¬
spielerisch sehr hohe Klasse. Starker Beifall lohnte die künst¬
A. Fr.
lerische Bemühung.