II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 31

ersten Privattheaters nicht gewachsen schien, und verstehe darunter
die ungewöhnlich mühsame, kostspielige und zeitraubende Vor¬
bereitung zur Aufführung gerade dieses Stückes. Alle Bedenken
steigerten sich; als ich nach einer zweckmäßigen Pause im
April nochmals an das Studium des Werkes ging. Und sie
steigerten sich bei einer dritten Durchsicht im Juni
erst recht. Darauf schrieb ich am 17. Juni an Arthur
Schnitzler, der bis dahin nicht den geringsten Grund hatte, die
Annahme des Stückes für gesichert zu halten. So gern ich dem
Beispiel der sechs protestirenden Herren Collegen folgen und die
Qualitäten des neuen Schnitzler'schen Werkes außer Discussion
stellen möchte, so bin ich zur Begründung meines Zögerns doch
genöthigt, hierauf einzugehen. Dem Urtheil einer Bühnen=Direction
bieten sich wie dem Urtheil der Kritik drei Kategorien von
Stücken dar: Bei den einen steht die Unannehmbarkeit von vorn¬
herein fest; es sind weitaus die meisten. Bei den anderen steht die An¬
nehmbarkeit von vornherein fest; es sind die wenigsten. Bei der dritten
Kategorie kann man zweifeln, und das Urtheil kann und wird nicht nur
bei der Gesammtheit der Leser, sondern auch beim Einzelnen
schwanken. Man hat Beispiele, daß die Autoren selbst, im Laufe
der Wochen und Monate, über ihre eigenen Stücke zu einer anderen
Meinung gelangten und die Stücke zurückzogen oder umarbeiteten.
Man hat Beispiele, daß auch Kritiker nach der ersten Bühnen¬
anfführung ein Stück verdammten, dessen Vorzüge sie einige Zeit
später anerkannten. Die Theater=Directoren sind einem solchen
Schwanken umsomehr ausgesetzt, je weniger sie über die speci¬
fische Bühnenwirksamkeit des einzelnen Stückes eine praktische
Beobachtung machen konnten. Zu dieser dritten Kategorie
scheint mir „Der Schleier der Beatrice“ zu gehören. Was mich
an dem Stück immer stärker zweifeln läßt, geht aus meinem
Briefe vom 17. Juni klar hervor. Dort heißt es unter Anderem:
„Ich habe mich dieser Tage noch einmal sehr genau mit dem
Stücke, seiner Personenfülle und seinen scenischen Schwierigkeiten,
sseinen feinen poetischen Reizen und seinen herben Zumuthungen
an die Folgsamkeit des Zuschauers beschäftigt und mir das
Bühnenbild, das im Burgtheater geboten werden könnte, möglichst
klar vor Augen gestellt. Und ich bin Ihnen nun das ehrliche
Geständniß schuldig, daß meine Hoffnungen auf einen Bühnen¬
erfolg mit jedem neuen Studium immer mehr sinken. Nur weil
mir diese Ueberzeugung sehr gegen das Herz geht, habe ich nicht
das Herz gehabt, sie Ihnen früher offen auszusprechen; nur
darum habe ich von Zeit zu Zeit mich immer wieder Ihrer
ernsten und sozusagen feierlichen Arbeit genähert, stets mit dem
besten Willen, mich nicht in meinen Zweifeln, sondern in meinen
Hoffnungen zu stärken. Leider aber ist das genaue Gegentheil der
Fall. Das Stück und seine dramatische Wirkung rückt mir ferner,
und ich möchte fast prophezeien, daß Sie nach Jahren, wenn Sie
von jüngeren Werken wieder darauf zurückkommen, dieselbe Er¬
fahrung machen werden.... Im „Schleier“ zersplittert und zer¬
Streut sich das Interesse an dem Dualismus der beiden Contrast¬
figuren, Dichter und Fürst, weil diese beiden zu wenig lebendig
werden. Sie sind Begriffe, aus dem theoretischen Contraft geboren.
Damit aber ist dem Drama das Rückgrat gebrochen, und das,
wovon ein Bühnenerfolg leben könnte, liegt im Reiz der Details.
Sie wissen, daß dies auf dem Theater eher schädigend als för¬
derlich ist. Die Details waren es, die mich anfangs beim Lesen
fesselten. Je öster ich aber diesen Schleier lüftete, destomehr mußte
ich an den Hauptpunkt gelangen. Und hier wuchsen denn die
Zweifel und Bedenken bis zu einer festen Ueberzeugung.“ Hieraus
geht wie aus allen anderen Briefen, die zwischen Arthur Schnitzler
und mir gewechselt worden sind, hervor, daß die Annahme des
Stückes nicht erfolgt war und der Aufschub sich lediglich aus
dem leider vergeblichen Bemühen erklärt, durch wiederholtes
Studium des Stückes zureichende Gründe für seine Annahm
zu finden.
Ich äußere mich nun zur nothgedrungenen „Ablehnung“ de¬
Stückes. In seinem Brief vom 1. September schreibt mir Arthu
Schnitzler: „. . . Nehmen Sie, verehrtester Herr Director, diese
Stück an oder weisen Sie es zurück? Ich bitte um ein Ja ode
Nein. Unter Ja verstehe ich die bindende Zusicherung eine¬
Termines im Verlaufe der soeben beginnenden Saison mi¬
der Bedeutung eines Wortes von Mann zu Mann. Alles Ander¬
gilt mir als Nein..“ Hierauf konnte ich, wie die „Con¬
stellation“ des Burgtheaters dem Schnitzter'schen Stücke gegenüber
lag, meinem Antwortschreiben vom 2. September nur folgender
Schluß geben: „Wenn Sie mich nun vor ein kategorisches „Ja“
oder „Nein“ stellen, so bin ich in der Consequenz meines letzter
Briefes (vom 17. Juni) genöthigt, „Nein“ zu sagen, denn die
von Ihnen gewünschte bindende Zusicherung eines Termines im
Verlaufe der soeben beginnenden Saison zu geben, bin ich außer
Stande.“
Was die von mir ursprünglich gestellte Grundbedingung der
allerersten Aufführung betrifft, so hat Arthur Schnitzler im
Schreiben vom 13. Februar daran seinerseits die Bedingung ge¬
knüpft, daß der Aufführungstermin in irgend einer Weise fest¬
gestellt werde. Das konnte und wollte ich diesem Stück gegenüber
nicht zusichern. So blieb die Unterhandlung, wie beiden Theilen
jederzeit bewußt sein mußte, in der Schwebe, bis das Schreiben,
womit Arthur Schnitzler am 1. September auf meinen Brief
vom 17. Juni antwortete, die Entscheidung gebracht hat.
Wien, 14. September 1000 Mauf Schleutl.e