II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 104

und seine Anhänger vor drei Jahren im Krakauer
Sommeriheater gegen die Aufführung eines Stückes
lärmend demonstrierten, das ein Staatsanwalt verfasst
hatte und in dem ein Socialdemokrat, der die Bauern
zum Diebstahl aufreizt, in der Maske des Abgeordneten
der Stadt dargestellt wurde. Die Demonstration
war überflüssig. War das staatsanwaltliche Dichter¬
werk missrathen, so war es auch ungefährlich. Aber
selbst wenn’s ein Kunstwerk gewesen wäre, hätte
Herr Daszynski von den zweiundzwanzigtausend
Krakauer Wählern, die ihm drei Monate vorher ihre
Stimmen gegeben hatten, nicht so gering denken sollen,
als könnte der Hohn des dichtenden Staatsanwaltes
sie ihm abspenstig machen; er hätte übrigens den
Schauspieler durch eine Ehrenbeleidigungsklage ver¬
hindern können, sich seiner Maske zu. bedienen. Niemand
weiß, wie eine freie Bühne auf die unfreien Geister in
unseren Tagen wirken würde. Aber die Athenienser
haben die Verhöhnung des Kleon durch Aristophanes
mit einem Preise belohnt und sind doch Kleons
Führung in der Politik und im Felde gefolgt und sie
haben die-Wolken- durchfallen lassen und doch
später den Sokrates zum Tode verurtheilt..
Die Krakauer Polizei, von einem Dichter, der
zugleich Staatsanwalt ist, gegen Socialdemokraten zu
Hilfe gerufen, zeigte einen Eifer, als hätte es sich nicht
darum gehandelt, die Freiheit der Bühnensatire zu
schützen, sondern den Staat zu retten. Dem Ab¬
geordneten Daszynski wurden nicht weniger als 14 Tage
Arrestes zuerkannt. Doch nun gliff der von der Polizei
bereits hinlänglich gerächte Autor auch noch zur
Selbsthilfe. Er schritt als Staatsanwalt gegen die
Demonstranten wegen -Auflaufse ein, und sechs
von ihnen wurden verurtheilt. An Daszynski selbst
traute man sich damals nicht heran, das Verfahren
gegen ihn wurde eingestellt. Jetzt ist es wieder auf¬
genommen worden, und Mitte October 1900 — vierzig
Monate nach der Demonstration im Krakauer Sommer¬
theater — ist Herr Daszynski zu zehn Wochen
strengen Arrestes verurtheilt worden.
Die führenden Wiener Blätter haben das Urtheil
gemeldet, ohne auch nur ein Wort darüber zu ver¬
lieren. Gegen Herrn Daszynski lag nichts Schlimmeres
vor, als dass er sich die Belehrung eines Polizei¬
Commissärs über tactvolles Benehmen verbeten hatte,
wodurch er, falls er sich etwa dabei kräftiger Worte
bediente, eine Wachebeleidigung verübt haben kann;
und dass er, als ein Theaterbesucher verhaftet wurde,
gerufen haben soll: er wird hier bleiben! er hat das
Recht dazu!

was ein Uebelwollender als Ein¬
mengung in eine Amtshandlung deuten könnte, wie¬
wohl durch den Ausruf die Amtshandlung nicht
gestört wurde. Aber Auflauf! Zehn Wochen strengen
Arrests! Einem Autor fällt rechtzeitig ein, dass er
eigentlich Staatsanwalt ist, und er bringt die Anklage
ein. Die Richter erinnern sich, was sie dem Collegen
von der Staatsanwaltschaft schuldig sind, erwägen,
dass der collegiale Richterspruch zugleich für die
Schlachta, deren gefährlichster Gegner der Angeklagte
ist, eine Genugthuung zu bilden habe, und erklären
einen Fehler gegen den guten Geschmack für ein
schweres Vergehen, einen Theaterscandal für einen
Auflauf. Und die Verweser der öffentlichen Meinung
in der Centrale des Reiches, wo man doch die Rache
der galizischen Justiz nicht zu fürchten hat, schweigen
tbei diesem Urtheil. Für sie gibt’s keinen anderen
Theaterscandal, als dass ein Stück der Herrn Herzl
oder Schnitzler vom Burgtheater- abgelehnt wird, und
Fauf Jahrzehnte hinaus kein anderes Fehlurtheil als das
von Rennes oder Kuttenberg.
Telefon 12801.
Alex. Weigl's Unternehmen für Zeitung i-Ausschnitte
Ausschaltt
„OBSEHVEK Nr. 12
I. österr. behördl. cone. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX1, Türkenstrasse 17.
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Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Fackel, Wien
Ausschnitt aus:
vom# S 5
ANTWORTEN DES HERAUSGEBERS.
Herrn Director Schleuther. Sie haben in der Angelegenheit
des abgelehnten Schnitzler’schen Stückes zweifellos Recht behalten.
Nun sind Sie von dem allen Kennern der Sachlage verständlichen
Wunsch beseelt, die Concordia-Mächte zu versöhnen. Sie halten einen
Vortrag über die antike Tragödie, dessen Reinerträgnis der Concordia
zufließt, und sitzen an einem Premièrenabende des Burgtheaters

man gab Renaissances — mit Herrn Siegfried Löwy in der
Directionsloge. Eines oder das andere, Herr Schlenther! Sie werden
sich entscheiden müssen. Entweder Sie beschäftigen sich mit der Antike
oder mit einem der übelsten Börsenreporter, die je im Vorzimmer
eines Bankinstitutes aufgewachsen sind. Aischylos oder Siegfried Löwy.
Beides geht nicht. Sie werden mir sagen, dass Sie den einen nicht
gut abschaffen können, weil er als Correspondent ces „Börsencourier“ lusive
den Anschluss an Berlin besorgt. Das macht nichtt; versuchen Sie es orto.
doch. Zur Zeit, da Baron Bezecny, der Gouverneur der Bodencredit- hlbar
anstalt, noch Intendant der Hostheater war, musste sich Herr Löwy Toraus.
auch für Theaterangelegenheiten interessieren. Jetzt brauchte man ihm nicht
mehr behilflich zu sein, wenn er den Abhub des Coulissenklatsches nach
ist das
es den
Berlin befördern will. Wenn Sie schon den Muth hatten, ein Stück wie
A die „Renaissances von Koppel-Elfeld & Comp. im Burgtheater
A aufzuführen, so hätten Sie sich bei der Première doch nicht dem
Publicum zeigen sollen. Am allerwenigsten aber neben Ilerrn Siegfried stend die
Löwy, den selbst Ihr Vorgänger Burckhard in die Directionsloge ein orgen¬
zulassen nicht gewagt hätte. Oder wollten Sie bloß Ihrem Gegner Hermann Zeitung“
Bahr, der seit langem um die Gunst des Siegfried Löwy buhlt, einen he Leben
Schabernack spielen? Ich halte Sie so arger List nicht für fähig. Ein heilunger
Freund, der Sie oft im Löwenbräu bewundert hat, sagt mir, Sie seien
im Grunde eine Siegfriednatur, deren gerader Tumbheit selbst die
Gesellschaft einiger Redacteure der „Neuen Freien Presse“, die sich
allabendlich zum Stammtisch des Burgtheaters drängen, nichts anhaben
kann Siegtriednatur — meinetwegen. Abel Siegfried Löwy-Natur?