II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 122

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14. Der Schleien der Beatrice
+ „Der Schleier der Beatrice.“ Wir erhalten über die
Angelegenheit Schlenther=Schnitzler einen Brief unseres Wiener
+=Korrespondenten, der unsere im gestrigen Abendblatt gemachten
Bemerkungen in der Hauptfache bestätigt. Die Zuschrift lautet:
Herr Dr. Schlenther mag wohl die beste Absicht gehabt
haben, das Stück aufzuführen, aber — seit dem „Grünen Kakadu“
sind die bekannten „maßgebenden Kreise“ dem Dichter nicht besonders
gewogen. Das erklärt wohl Alles, was an der Sache seltsam und
dunkel erscheinen mag. Im Uebrigen sind die alten Gebräuche“ des
Burgtheaters den Antoren gegenüber schon oft unliebsam empfunden
worden. Wird an unserer Hofbühne ein Stück angenommen, so er¬
hält der Verfasser einen Brief, der diese Verpflichtung ausspricht und
für ihre Nichteinhaltung nur einen Strafbetrag von fünfhundert
Gulden festsetzt. Ein Termin zur Aufführung wird nicht zugestanden,
und es ist wiederholt vorgekommen, daß angesehene Schriftsteller
Jahre lang ohne Aufführung hingezogen und schließlich mit der
lächerlichen Abfindungssumme abgethan wurden. Herr Ludwig
Fulda beispielsweise könnte manches Interessante über seine Er¬
fahrungen mit dem Burgtheater erzählen. Diese „unliebsamen
Gebräuche“, wie wir sagen wollen, um der Sache keine unhöfliche
Bezeichnung zu geben, herrschen indessen nur deutschen Autoren
gegenüber. Den Franzosen gegenüber verpflichtet man sich nicht blos
zu Aufführungsfristen, man zahlt ihnen auch ganz stattliche Ein¬
reichungshonorare. Es ist aber schon der Mühe werth!
= [Der Fall Schlenther.] In den Wiener Blättern
liegt jetzt der Wortlaut der bereits telegraphisch angekündigten
Erklärung vor, mit der sich die Wiener Kritiker Hermann
Bahr, Julius Bauer, J. J. David, Dr. Robert Hirsch¬
feld, Felix Salten und Ludwig Speidel gegen den Direktor
des Burgtheaters Herrn Dr. Schlenther wenden, weil dieser #####
ein neues Drama von Arthur Schnitzler: „Der Schleier der
Beatrice“ erst zur Aufführung angenommen und nach Monaten

unter Ausfluchten abgelehnt hat. Ohne uns in eine Diskussion
nta
über das Verhalten des Herrn Schlenther einzulassen, müssen wir
bekennen, daß wir das Vorgehen der sechs Wiener Herren für ganz
verfehlt halten. In die geschäftlichen Erörterungen zwischen
z
Autoren und Theaterleitern haben sich Kritiker nicht hineinzu¬
mischen. Das sind Privatsachen; der Nachweis, daß sie ein öffent¬
liches Interesse berühren, läßt sich schwer führen; Differenzen
solcher Art gehören vor die Civil= oder die Schiedsgerichte. Der
Schriftsteller, der ein Stück im Burgtheater einreicht, unter¬
wirft sich von selbst den amtlichen Bestimmungen, die hier gelien
und von denen die Wiener Erklärung selbst sagt, daß die drama¬
tischen Autoren ihnen wehrlos gegenüberstehen. Die Art,
wie man ihn im Burgtheater behandelt, ist für Arthur Schnitzler
gewiß nicht angenehm, aber schließlich ist gerade er auf Herrn
Schlenther nicht angewiesen und es wird genug andere gute Bühnen
geben, die nach seinen Stücken greisen. Wenn aber die Erklärung
der Wiener Herren insgeheim Einiges von der vielverbreiteten
Ansicht wiederspiegeln wollte, wonach die Berufung des Herrn
Schlenther nach Wien das größte Mißgeschick war, das die alte
berühmte Hofbühne treffen konnte, so wird dieses Vorgehen erst
recht keine Wirkung erzielen. Um einen unfähigen Funktionär,
den man aus einem Amt beseitigen möchte, für unabsehbare Zeiten
darin zu befestigen, gibt es in Oesterreich kein besseres Mittel als:
Angriffe in den Zeitungen. Herr Dr. Schlenther, der gerade jetzt in
dem Fall Schratt eine wahrscheinlich erfolgreiche Kraftprobe
abzulegen sich anschickt, wird aller Voraussicht nach noch lange
in der Lage sein, Autoren, Kritiker und Publikum zu ärgern.
[Von der Dominikaner=Lehranstalt in Freibura
(Schweiz).! Die kathaltsch-