II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 164

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14: Der Schleier der Beatrice
Wien 1
— Filiale in Budapest: „Figyel““ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
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Su Lc.
7.
vom
711.
rüsteten Theaterbesuchern den Vorwurf gegen den in Breslau an= Herzog e
Lobetheater.
wesenden Dichter aussprechen, er hätte doch eher sein Stück zurück= wird es,
„Der Schleier der Beatrice.“
demselben
ziehen als eine solche Aufführung dulden sollen. Und it der
*
Den Schmerz, daß den Kindern ihrer Muse der Zutritt zur
That, je mehr man die Größe und Schönheit des Werkes dank
einem Ki
der Leiftungen von Herrn Jessen, Herrn Lettinger und Fräulein
Bühne verwehrt bleibt, tragen im schreibseligen Deutschland gar
viele Menschen heimlich im Busen verschlossen oder äußern ihn
Nolewska empfand, um so empörter mußte man über die
auch, theilweise in harmlosen Klagen, theilweise in weniger harm¬
unentschuldbaren Mängel der Aufführung sein.
loser Bekrittelung der zur Aufführung gelangenden Stücke ihrer
Vom Heere des fürchterlichen, für unwiderstehlich geltenden
Der
glücklicheren Mitbewerber. Allein bitterer vielleicht mag die
Cesare Borgia, dessen treulos unternommener Versuch, sich Bolognas!
dieser Sch
Empfindung eines Dichters sein, dessen Erstlingswerken Bühnen¬
zu bemächtigen, in Wirklichkeit im Jahre 1501 sehlschlug, schildert
ihren ehr
der Dichter uns Bologna eingeschlossen. Ein Weltuntergang
For 50 erfolge beschieden waren, und dem sich die Theaterpforten gerade
damit den
scheint seinen Bewohnern durch den mitleidlosen Feind bevorzu¬
100 in dem Augenblicke verschließen, da sein Schaffen zu höherem
kindlich
stehen, und um so voller, zügelloser entflammen in der einen
200 Fluge gekräftigt ist, da er zu einem wirklich großen Werke fort¬
Herzog d
Nacht — Schnitzler hat seine reiche Handlung mit meisterhaftem
500 geschritten ist. Wir kennen aus der Theatergeschichte des 19. Jahr¬
„ 1000 hunderts ein derartiges Beispiel von tragischer Schäffe, als der
Geschick in strengster Zeiteinheit zusammengedrängt — die Leiden¬
glaubt, u
wird wer
schaften. Leidenschaftliche Kraftnaturen, wie die italienische
Im Schöpfer des „Tannhäuser“ und des „Lohengrin“ umsonst von
Abonneme Deutschlands Bühnen die Aufführung seines musikalisch gewaltigsten
Renaissance sie erzeugte, sind sie fast alle, die in Bolognas
Aber ihr
Abonnente Werkes erbat und forderte, als Richard Wagner's „Tristan und
Straßen wie am Hofe des Herzogs uns entgegentreten, vom Herzog¬
stellerin.
ist es doch
Isolde“ in Wien zu Gunften einer Offenbach'schen Oper abgesetzt wurde.
Lionardo Bentivoglio (Herr Jessen) und dem Dichter Filippo
DerArthur Schnitzler, der erfolggekrönte Dichter von „Liebelei und
Kinderge
Loschi (Herr Lettinger) bis zu dem Hauptmann Ribaldi, dessen
Inhaltsan“
Gespräch mit dem Herzog an Götz von Berlichingen's Anwerbung
blütte[Freiwild“ war zu dem Glauben berechtigt, die Bühnen würden
der Darf
wodurch eein Schauspiel, in dem er sein Bestes gegeben, nicht zurückweisen,
der Roll
des kampflustigen Lerse erinnert. Die ungezügeltste Lebens= und
des In- rnachdem sie selbst ein so verfehltes Machwerk wie sein Ver¬
denken.
Sinnenlust, ein Drang nach Schönheit und Genießen eint sich
werden in mächtniß“ unbedenklich gespielt hatten. In den Versen seines
mit Geringschätzung des eigenen und des fremden Lebens. Wie
unser S
spielzeit
Schnitzler ohne jede archäologische Aufdringlichkeit das Zeitcolorik
„Paracelsus“, dem packenden Stimmungsbilde aus der französischen
Revolution im „Grünen Kakadu“ hatte er ja bereits den Beweis
in glühenden Farben zu entwerfen vermag, das allein wäre schon
wir keine
eine große dichterische Leistung. Verbietet ihm die dramatische
unter dem
geliefert, daß es ihm nicht an allen nöthigen Eigenschaften
Rücksicht auch die breite Ausmalung von Einzelzügen, wie Graf
Stück zu
fehle, um aus dem Kreise des modernen bürgerlichen Prosa¬
Gobineau sie in den historischen Dialogscenen seiner wunder¬
Regisseur
dramas sich zur geschichtlichen Tragödie, zum freien Fluge
vollen „Renaissance" (Paris 1877) als feiner Geschichts= und
romantischen Phantasiedramas zu erheben. Schnitzler's „Schleier
gegen die
Seelenkundigen so geistvoll und wirklichkeitsgetreu dargestellt hat,
nehmen.
der Beatrice" ist, um dies gleich zu sagen, das bedeutendste
so lebt doch auch in Schnitzler's Schauspiel die ganze, von Kunst¬
dient per
Drama, das im letzten Jahrzehnt oder vielleicht länger hinaus in
unbegreif
sinn und Gewaltthätigkeit, überschäumender Kraft und Kühnheit
Deutschland veröffentlicht worden ist. Ein Werk voll echter
dem die
einzige Zeit vor uns auf. In der Schilderung, die Benvenuto
Dichterkraft mit lebensvollen Charakteren von Fleisch und Blut,
hätte ben
Cellini von seinem eigenen Leben uns hinterlassen, Goethe uns
durchaus glaubhaft und doch so eigenartig, daß man nicht müde
des Orga
verdeutscht hat, lesen wir fast auf jeder Seite von der uns kaum
wird, die Räthsel dieser Seelen zu ergründen, tief und wahr in
voll von
mehr faßbaren, blinden Macht der Leidenschaft, der sich jene
der Leidenschaft, voll mächtiger, fesselnder Gedanken, die in wunder¬
Beatrice
italienischen Künstler und Tyrannen des 15. und 16. Jahrhunderts
bar poesievoller Sprache vorgetragen werden. Die Handlung selbst
Sie wür
in allem hinzugeben pflegten, der sie wahllos folgen mußten.
bewegt sich in großen, klaren Linien, und mit meisterhafter
Solche dämonische Macht hat den Dichter Filippo Loschi beim
wenn es
dramatischer Technik ist der freierfundene gewaltige Stoff be¬
Neuschaff
Anblick der jugendlichen Beatrice Nardi ergriffen. Die Ehren¬
meistert. Und dieses herrliche Drama, das ebenso die Forderungen
An
pflicht gegen seine Braut, die Schwester seines edelsten Freundes
der Poesie wie des Theaters, die, wie schon Schiller meinte, so
1 Graf Andrea Fantuzzi, Freundschaft und Vaterlandsliebe, selbst
Regie ge
oft widerstreitenden, in gleich vollkommener Weise erfüllt, ist vom
seine eigene Kunst, alles will er verrathen und mit Füßen treten,
„Ueber u
wiener Burgtheater wie vom Deutschen Theater zu Berlin zurück¬
dem treff
um mit jenem Kinde, dem schönsten Mädchen des auf seine
gewiesen worden. Allein diese Zurückweisung hätte dem Dichter
Theater
schönen Töchter stolzen Bologna, zu entfliehen. Filippo ist der
und seinem Werke jedenfalls weniger zu schaden vermocht als die
ohne Vor
Phantasiemensch, der Dichter, der nicht das Vorhandene sieht,
unverzeihliche Verfündigung, welche unsere breslauer Theaterleitung
mit Erfo
sondern je nach Stimmung die Wirklichkeit nach seinen Phantasie¬
durch die Verstümmelung beging, in welcher das Werk im Lobe¬
und vier
vorstellungen umdichtet. Ebenso sieghaft unwiderstehlich wirkt der
theater entstellt wurde. Es ist schade, daß die dramaturgischen
Unser M
die Wirklichkeit der Dinge in den Goldglanz der Poesie tauchende
eiter unseres Theatermonopols nicht die wenig schmeichelhaften
Filippo auf Weib und Mann, wie es die Kraftnatur des im
Rollen
rtheile vernehmen konnten, welche beim Verlassen des Theaters
Runge i
Irdischen wurzelnden Herzogs in ihrem Kreise thut. Der Phan¬
n allen Seiten im Publikum über die wunderbare Besetzung
Hauptrolle ertönten. Ja wiederholt hörte man von den ent= tasiemensch und der Thatenmensch stehen in Filippo und dem selbst m