II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 196

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14: Der Schleier-deratrice
haben. Des Opfers Mühe war umsonst. Auch der
Torso forderte noch mehr, als unser Schauspiel leisten
konnte. Nuc der Herzog, Loschi und die Vertreter einiger
Nebenrollen waren gute Helfer Schnitzlers; die meisten
Aufgaben zweiten Ranges, darunter solche, die für die
rechte Wirkung des Dramas von vornehmer Bedeutung
###, wurden teils unzureichend, teils mit unfreiwillig
###nischem Effekte dargestellt. Die Dekoration und
Kostüm=Ausstattung befriedigte kaum bescheidene An¬
sprüche, und zu allem Unglück war die Beatrice in die
Hand einer Schauspielerin geraten, die weder als Per¬
sönlichkeit, noch als Künstlerin den Anforderungen des
Dichtwerks irgendwie Genüge leisten konnte.
Erich Freund.
Dresden. Zwei Neuheiten hat das königliche Schau¬
spielhaus in den letzten Wochen herausgebracht. Der
lauteste Erfolg war dem Lustspiel „Flachsmann als
Erzieher“ von Otto Ernst beschieden. Wie in der
„Jugend von heute“ so hat Otto Ernst auch dieses
Mal in der Wahl des Stoffes einen sehr glücklichen
Griff gethan.. Das Leben in der Volksschule ist nicht
nur ihm vertraut, sondern mit dem täglichen Leben
einem jeden durch Erinnerung und Gegenwart so eng
verknüpft, daß zwischen dem Geschehen auf der Bühne
und dem Zuschauer alsbald der innigste Zusammenhang
hergestellt ist. Zur Schule kommende Buben, eine arme
Mutter, die den vierten Knaben anmeldet, Eltern, die
klagen und danken, Entschuldigungszettel Ausgebliebener
von der bekannten drolligen Art, alles das versetzt den
Zuschauer in behagliche und heitere Stimmung. Typen
verschiedener Lehrer, der trockene luftscheue Pultmensch,
der versimpelte Skatbruder, der jugendliche Draufgänger,
der behäbige Durchschnittslehrer, die bärbeißige ledige
Lehrerin, die die männlichen Kollegen verachtet, die aus
Versehen in die Schule gekommene tanzlustige junge
Dame, der gestrenge, mit der Elle und dem Richtmaß
herrschende Schulmonarch, sein Faktotum, der Schul¬
diener mit den Unteroffiziersallüren, wer kennt sie
nicht, wer hätte nicht Muster aus der eigenen Erfahrung
zur Hand! Auch der jugendfrische Lehrer, der beneidete
Kollege, der umschwärmte Liebling der Schüler, der
Lehrer Flemming, ist jedem bekannt. Alles das schildert
Otto Ernst mit liebenswürdiger Behäbigkeit und Breite,
man fühlt geradezu, wie der Dichter sich selbst in alle¬
dem heimisch fühlt, und fühlt sich daher selbst bald zu
Hause. Leider mischt der Dichter in das treue Lokal¬
kolorit auch Farben der Satire und des Possenhaften.
Er stellt sich allzu sehr auf den Standpunkt des leicht
begeisterten und leicht ungerechten Schülers, der nur
weiß und nur schwarz sieht. So wird ihm Flemming
zur Idealfigur, er hat die große pestalozzische Kindes¬
liebe oder doch die Sehnsucht nach ihr, er will Menschen
nicht erzieher sondern bilden, er schwärmt für indi¬
vidualisierende Erziehung, für die innigere Ausgestaltung
der Beziehungen zwischen Schule und Haus, für Kunst
und Poesie in der Schule. Allen diesen Versprechungen
und Idealen hat die Gegenfigur, der Schultyrann, nichts
entgegenzusetzen als sein starres „sic volo sie jubeo“,
seine banausische Engherzigkeit, seinen Formelkram, seine
Uniform und Pedanterie, sowie seinen Haß gegen den
Besserwisser und den Umstürzler seiner grauen Theorieen.
Immer aufs neue gereizt wird dieser Haß durch die
Zuträgereien eines Lehrer Dierks, der auf ihn einen nicht
ganz begreiflichen Druck ausübt, ja ihn zur stillschweigen¬
den Duldung arger Pflichtversäumnisse veranlaßt. Von
diesen seltsamen Beziehungen weiß der arglose Flemming
nichts. Er hat den Mut des Mannes, der sich seines
Rechts bewußt ist Jenseits dieses Mutes liegt die
übermütige, herausfordernde Art, mit der er seinem
Vorgesetzten begegnet, dem er seine ganze Nichtigkeit
keck ins Gesicht sagt, und in dem natürlich vom Publikum
laut beklatschten Trumpf „Bildungsschuster!“ zusammen¬
faßt. Von diesem Disziplinen=Konslikt geht die eigent¬
liche Handlung des Stückes aus. Der Oberschulrat
kommt, er inspiziert Flemmings Klasse, und man meint,
er werde nun ein arges Strafgericht halten, aber kes
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kommt anders. Der Zuträger Dierks fliegt, er ist einer
von den ganz schwarzen Sündern; leider geht diese
Entdeckung hinter der Szene vor sich. Der Lehrer
Flemming aber findet vor den Augen des Gestrengen
hohe Gnade, er hat ihn mit seinen pädagogischen Gaben
in helles Entzücken versetzt und ist drauf und dran,
ihm als der „beste Lehrer des Staates“ zu gelten,
dem gegenüber man schon einmal ein Auge zudrücken
kann. Eine Rüge und eine Abbitte und der Bildungs¬
schuster ist vergessen. Aber Flemming versteht sich hierzu
nicht. Den guten Rat, der dem Dichter nun wirklich
teuer wird, bringt ein Schreiben von Dierks. Darin
steht: Flachsmann ist gar kein Schulleiter, er hat sich
die Stelle mit den Papieren seines früh verstorbenen
Bruders erschlichen, und nun folgert Otto Ernst: Dis¬
ciplinarvergehen gegen Beamte, die keine sind, giebt es
nicht. Die Rüge, die Abbitte wird überflüssig, Flachs¬
mann fliegt, und Flemming wird Direktor. So mischen
sich in der Handlung lebensvolle Züge mit unwahren,
echt lustspielmäßige mit possenhaften, komische mit tragi¬
komischen. Zu satirisch, um lustspielmäßig zu sein, zu
wirklichkeitsgetreu, um possenhaft zu wirken, entbehrt das
Stück der künstlerischen Einheit. Der Disciplinarkonflikt
ist zu knapp, um eine Handlung daraus zu entwickeln
und außerdem nicht überzeugend gelöst; die Ver¬
lobung Flemmings mit der tanzlustigen Lehrerin, zu
der aus der benachbarten Mädchenschule Aennchen von
Tharau erklingt, bleibt lediglich Episode, wie denn das
ganze Werk sich mehr von Episoden ernährt als von
Handlung. Die Wirkung wartrotzdem außergewöhnlich stark.
Bescheidener war der Erfolg der Künstlertragödie
„Die Giganten“, mit der ein vollkommener homonovus,
Otto Erler, zum ersten Male auf die weltbedeutenden
Bretter trat. Das Werk, dessen Handlung der Dichter
in das 7. Jahrhundert vor Christus nach Milet verlegt
hat, interessiert, obwohl niemand verstand, was der
Dichter mit ihm sagen wollte. Thrasybul, der Tyrann
von Milet, fühlt sich als schöpferischer Künstler den
Göttern verwandt und verlangt von ihnen das reine
Weib in Fleisch und Blut, das er in leblosem Marmor
zu bilden vermag. Er glaubt es in Dhana zu finden,
der Tochter des Fischers Patur, die als antikes Rautende¬
lein in romantischer Wildheit herangewachsen ist. Patur
selbst soll wohl ein Gegenbild Thrasybuls sein, auch er
hadert mit den Göttern, die ihm sein Weib genommen,
und lebt in dem Wahne, Herr der Natur zu sein. Dhana
erfüllt die Hoffnungen des schwärmenden Künstlers nicht,
auch sie ist Weib, auch sie wird Mutter, Grund genug
für den Schwärmer, sie zu verstoßen, und Grund genug
für Patur, ihn dafür zu töten. Daß nun auch Dhana
sterben muß, versteht sich von selbst. Interessante, aber
unverstandene Probleme, neben kraftvollen Bildern arge
Verzerrungen einer zügellosen Phantasie, schlichte und
gerade Empfindung neben Ergrübeltem und Verstiegenem
kennzeichnen Otto Erlers Dichtung als das Werk eines
gährenden, mit sich selbst und seinen Vorbildern, Hebbel,
Grillparzer, Ibsen und Hauptmann noch nicht ins Reine
gekommenen Talentes, das die Ehre, die ihm die Hof¬
bühne erwiesen hat, durch reife Thaten erst recht ver¬
dienen soll.
#conhard Lier.
Graz. Auf unserer „intimeren" Bühne, im Theater
am Franzensplatze fand am 7. Dezember die Erstauf¬
führung des dreiaktigen Schauspieles „Charakterlos!“
von Paul Busson statt. Der junge Autor, der damit
zum ersten Male an die Oeffentlichkeit getreten ist, ver¬
fügt über ein nicht gewöhnliches Talent, weiß Charaktere
und Stimmungen zu schaffen und verdient trotz der
natürlich auch seinem wie jedem Erstlingswerke anhaf¬
tenden Mängel das Interesse durchaus, das ihm das
Publikum entgegenbrachte. Der Lebemann Wolf von
Perchtau, der sich durch sein leichtsinniges Leben in un¬
geheure Schulden gestürzt und auch die Enterbung von
seiten eines reichen Onkels zugezogen hat, so daß ihm
nur noch der Tod durch eine Kugel, wie er meint, übrig
bleibt, wird durch seinen wohlmeinenden und edel¬