II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 218

Nachdruck verbo en.
derne Litteratur.
XVIII.
s neue Drama.“
n sich Anzeichen, daß die Talentvollen
ation das Bedürfnis einer höheren Ent¬
ers empfinden, der auch mancherlei
sollen. Man besinnt sich wieder auf
rythmischen Form, die Stoffe werden
in den niederen Kreisen und auf der
Fesucht, der Begriff der Schönheit wagt
genüber der platten Wirklichkeit, die eine
schien, kommt sogar eine Märchen¬
die noch vor einem Jahrzehnt mit
begrüßt worden wäre. Auch die Sehn¬
t will sich wieder regen, und so viel
In einer vermeintlichen zweiten Sturm= und
mag, die Hoffnung besteht, daß es dies¬
te, von der eine Erhebung des Volkes
und Weltanschauung ausgehen werde,
er dem Angesicht der Zeit den Spiegel,
k Kulturstimmung seiner Epoche Form
Flegte.“
längst in seinen „Jugenderinnerungen“
febt ihm die Entwickelung des deutschen
#turalismus ist heute nicht nur „über¬
Heradezu fremdartig an. Wir meinen
eund, was kann denn dieser Misere
nn Großes denn durch sie geschehen?“
Größe hat dann einerseits zu erneuter
n Tragiker vergangener Zeiten geführt.
Ausgrabungen veranstaltet, Aeschylus,
Lyan aufgeführt, freilich nur mit einem
d begreiflichem Teilerfolge, denn diese
Zeit Buchdramen geworden und keine
und Darstellung kann den Umstand be¬
nzigsten Jahrhundert leben, daß unser
sere Interessen und Anschauungen neue
Wir sind andere Menschen und finden
kur zu einem kleinen Bruchteile winden.
eginnt die dramatische Produktion der
er Romantik zu liebäugeln. Und ihr im
k und Mystik. Die großen Fragen des
es Zwiespalts zwischen Natur und Kultur,
Siduum und Allgemeinheit werden wach,
en mit Recht nach dem farbenprächtigen
der Verssprache, nach einem erhabenen
d weitschichtiger Probleme umrahmt. Die
sehr ferne, da wir wieder Könige und
sehen, da uns wieder der starke Atem
d Laster anweht, die eine zeitlang allzu
drig gefaßt wurden. Das letzte Wort in
Kramas wie in der Fortpflanzung jeder
ildeten — dieses Wort im strengsten
prechen. Weder der Künstler noch das
se Entscheidung. Wenn die Minderheit
em Künstler ihr Interesse verweigert,
prochen. Wohl ihm, wenn er sich in
für ein verkanntes Genie hält. Ver¬
ie das Gleiche thun, werden ihm nicht
In er die Massen begeistert, sein Lob auf
8 Geld in allen Kasten springen hört.
an seiner eigenen Unfruchtbarkeit, durch
gn und Ritung zu grunde gehen.
s sichtbare Streben nach einem neuen
das Publikum und — die Dichter?
Backfischen und liebenswürdigen Jüng¬
Penserfahrung überlassen das Theater heute
halten. Es ist Geschäft, nichts weiter.
dem Publikum litterarisch zu kommen so
für eine Weile verschwinden, wirkliche
igwohnten Räume. Ob Naturalisten,
listen, das hängt von der jeweiligen Mode
mustergültigen Betrieb wenig einzuwenden.
er in erster Linie ein Geschäft bleiben,
Eilluren annimmt oder nicht. Allein die
brauchten nicht in erster Linie von dem
u sein, sie könnten ihr vornehmstes Augen¬
11111
Der iibbergenetung
Fehlt leider nur des Bild, das in diesen Rahmen paßt. Ver= mit ihm zu sterlen. Doch im letzten Augenblicke schreckt pie der
käßlich bittere Tod, den sie lebendig auf dem Antlitz des Ge¬
gessen wir nicht, es sind ganz dieselben Leute, die gestern noch auf das
liebten sieht, sie flieht zurück ins Leben. Ein kostbarer Schleier,
Detail eingeschworen waren und heute eine großzügige Freskokunst an¬
den sie in seinem Hause gelassen hat, wird ihr verderblich. Der
streben. Die Naturalisten von gestern sind über Nacht Märchen.
eigene Bruder, der ihre sündelose Schuld nicht faßt, giebt ihr den
hantasten und Traumdenter geworden. Alle Freude an den
Tod, als ihr der Herzeg selbst schon mitleidig das Leben ge¬
girklichen Blättern und Blüten ist ihnen eegällt. Nur die
schenkt hat.
zie Blume kann ihnn den Sinn des Lebens erschließen.
Nicht nur die Zeichnung Beatrices und Filippos ist wunder¬
un vorher nur die brutale Wirklichkeit des Lebens sprach,
voll geglückt, zugleich ist das Kolorit der Zeit glänzend getroffen,
n alles erdenfeste Sinnlichkeit war, so wird nun die Erde auf
und eine feelisch reiche Handlung mit vielen, oft verwirrend
###l unseren Blicken entrückt. Wir schweben zwischen Himmel
vielen Nebengängen in einen großen Rahmen eingespannt.
#o Erde und vernehmen eine seltsam tönende Seelensprach:, der
Leider stört in der Führung ein Mangel an Energie, an einem
alles Leben fremd geworden ist und das Erdleben allein
zouhaften Hin und Her zwischen Leben und Streben. König
wichtig erscheint. Dort ein Leben ohne Seele, ohne jenes Geid#ee¬
Zufall und König Laune spielen in diesem romantischen Reiche
element, das jeden Stoff adelt und alles Stoffliche vergessen läßt.
eine allzu große Rolle. Immerhin sind der Schönheiten über¬
Hier eine Stele ohne intensives Leben, ohne jenen Erdgeruch, der
genug in diesem Werke, um einen neuen großen Schritt in der
uns an das Wesenhafte dieser Dinge glauben läßt. Eine neue
hoffnungsreichen Entwickelung Schnitzleis erkennen zu lassen, der
Richtung, die beides zu verbinden sucht, kann dem deutschen Drama
sich aus der engen Spläre der Lebewelt und des Grisettentums,
wenig heifen. „Richtungen“ und „Schulen“ sind immer ein Aus¬
aus liebenswürdigem Tändeln und süßer Melancholie, in be¬
druck der Schwäche, der geringen Eigenart. Das neue Drama
deutende Probleme hineinwuchs.
I wird weder die „Heimatskunft“ schaffen noch irgend eine andere
Ein Romanliker ist auch Kittner in seinem „Wieder¬
Gruppe von Schriftstellern, die ihre Werke mit einem Schlagwort
finden“. Er hat den Ton oft etwos zu süß und weichlich ge¬
etikettieren. Wohl aber ein Künstler, der das, was den geistigen
nommen, das ist aber nicht Affektation und noch weniger schau¬
Adel seiner Zeit beschäftigt, an einem bedeutenden Thema darstellt,
spielerische Sentimentalität. Der Dichter läßt hier so gar nicht
eine Persönlichkeitt, die eine eigene Welt besitzt, ein eigenes
den Schauspieler erkennen, daß er sich gerade technisch oft recht
Herz und eine eigne Sprache.
ungeschickt austellt und auf alle litterarischen Reminiszenzen ver¬
zichtet. Die eben besagte Weichheit liegt in seiner Natur, in
seinem durch und durch musikalischen Empfinden. Wenn wir in
Ich behandle:
den Liebesscenen der beiden Jugendgespielen manches herber und
Ernst Rosmer „Mutter Maria“. Berlin S.
entschiedener wünschten, so entspräche diese Festigkeit nicht der
Natur des Dichters, der doch ein Recht sich selbst zu geben.
Fischer.
Und dafür, daß er ein Erlebnis, das ihm zum Gebicht wurde,
E. v. Keyserling „Der dumme Hans“.
ohne jedes Raffinement, das doch dem Schauspieler gefährlich
Berlin 8. Fischer.
nahe liegt, dargestellt hat in schlichter künstlerischer Reinheit,
Rudolf Rittner „Wiederfinden.“ Berlin.
dafür werden wir ihm dankbar sein.
1901. Bruno und Paul Cassirer.
Von der eigentlichen Fabel abgesehen, die zwei Menschen, die
Arthur Schnitzler „Der Schleier der
sich einst lieb hatten, in der Fremde wieder zusammenführt —
Beatrice.“ Berlin 8. Fischer.
sie als Chansonette ihn als berühmten Komponisten —, ist das
Georg Hirschfeld „Der junge Goldner.“
Grundthema des Dramas die Roheit des Lebens, das nicht nur
Berlin S. Fischer.
die Schwachen schändet sondern auch den Starken, Selbsteigenen
ihr Bestes raubt, die Ideale ihrer Jugend. Unser Träumen und
Alfied W. Heymel „Der Tod des Narcissus.“
Hoffen wird vom L.ben genarrt, wir waren Kinder, das ist auch
Insel=Verlag.
ewig dahin, wir werden Menschen („Da sind wir was rechis“
Alle dramatischen Novitäten des letzten Jahres, die einen
meint einmal Herder) und spüren das Weh der Welt so tausendfach.
lüterarischen Wert besaßen, hat die Bühne abgelehnt. Kittners
Das ist auch die Tragödie des Künstlers, an der Erfüllung
„Wiederfinden“, Rosmers „Mutter Maria“, Keyserlings
seines Strebens leidet und zurückbegehrt in die Zeiten der
dummen aus". Ich fürchte, Schnitzlers „Schleier der
Kindheit und Sehnsucht.
des nicht anders gehen. Das giebt zu denken.
Beatrice
Wenn hier diese Kindheitsträume in einer frisch und flott
Zweierlei ist möglich. Entweder sind diese Dramen nicht
gezeichneten Komödiantenwelt angesiedelt werden, so begegnen wir
bühnenfähig, oder die heutige Bühne im weitesten Sinne
einer stärkeren und zugleich stillosen Mischung von Lebens=“
Künstler und Publikum einbegriffen, ist nicht fähig sie
wahrheit, moderner Satire und Märchenphantastik in Keyserlings/
aufzunehmen. Dies ist das wahrscheinlichere. Ein Buchdrama
„Dummem Hans“.
ist ein toter ästhelischer Begriff. Buchdramen hat es nie
Der Held ist eine echte und rechte Märchenfigur, eine jene
gegeben. Jedes echte Drama ist auf die Aufführung hin ge¬
stillleuchtenden Künstlernaturen, die in der Wilt für Dummköpie
schaffen. Der Dichter sieht seine Menschen agieren, im fort¬
gelten, weil sie die harte Not des Lebens mit Traum und
währenden Gegenspiel der Interessen und Gefühle. Oder er ist
Sonne übergolden. Einer von den Einfältigen, die doch
kein Dramatiker. Das Gefühl für das eigentlich dramatische ist
schließlich klüger sind als alle Neuumalweisen, weil ihnen ihr
freilich unter den gegenwärtigen deutschen Dichtern nur partiell
Herz die Rätsel der Welt besser erschließt als alle Politik der
vorhanden, es lebt nur in der Einzelseene. Um den großen
schlauen Leute. Und so führt auch hier der dumme Hans die
hinreißenden Zug, den willensgewaltigen Strom des Ganzen zu
Braut heim, das Fräulein vom Schlosse. Es schiert ihn wenig,
finden, muß man freilich zu Ibsen und Björnson hinüberblicken.
daß bei seinem Verlöbnis die Totenglocken klingen, daß er unter
Oder man muß zurückgehen auf Kleist, Grabbe, Hebbel,
dem falschen Verdachte, den Gutsherrn erschossen zu haben, zum
Ludwig als die Ahnherren des modernen deutschen Dramas.
Tode geführt wird. Er hat das Leben genossen und der Wald,
Den Neueren fehlt die rechte Continnität der Handlung, sie
der liebe, märchenreiche Wald ist gerettet.
geben nur Einzelscenen, die durch lose Gedankenfäden und
Diese Märchenstimmung hat der Dichter leider nicht durchweg
Personen verkrüpft sind. Sie erheben sich zu wenig über ihrem
festgehalten, er zerstört sie zeitweilig durch naturalistisch gezeichnete
Stoffe, sie stecken zu tief darin, leiden zu sehr unter dem Drang
Bauermisere durch feudale Satire à k Simplicissimus, durch
ihrer Gefühle und Offenbarungen. Es fehlt die rechte Freiheit,
cynisch=realistische Kerkerseenen im Operettenstil.
die rechte Roheit mit der ein Künstler sein Gebilde schlägt und
Nach dem mythologisch=lyrischen Singsang des Inseldichters
meißelt. Wo der Wille triumphieren soll, herrscht noch dasselbe
Alfred Walter Heymel („Der Tod des Nareissus“)
Gefühl, das unsere Lyrik so reich ausgebaut hat. Noch einmal,
über dem ich neues nicht zu sagen weiß, zu Georg Hirschfeld.
die Ideen sind da, und auch eine gewisse Größe der Anschauung.
Dichter erhalten rasch genug ihr Sigualement. Hirschfeld gilt
Es mangelt nur die Concentration und das echte compositorische
als „fein und still“. Pamdex möchte man ähnlich wie bei dem
Talent. Wir haben gelernt, Farben und Töne, Stimmungen
stumimen Spiel von Schauspielern sagen, er ist am besten da, mo
und Reflexe wiederzugeben, nun heißt es die große Linie
er nichts sagt. Wo die Herzen so gestimmt sind, daß sie unter
wiederzufinden.
der leisesten Berührung wie von selbst erschauern. Diese leise
ge¬
Erust Rosmer hat ein Drama „Mutter Maria“
Note hat er auch diesmal beibehalten. Das Thema des „jungen
schrieben. Es erscheint notwendig den Inhalt kurz anzugeben.
ist ein Märchendramg die Dichterin selbst nennt es einhGoldner“? Ein nicht aufgeführtes Drama. Der Direktor
FTotengedicht. Ein trotzig=kühner Bergjäger steigt in bie des neubegründeten Nationaltheaters einer „großen mitteldeutschen
I Universitätsstadt“ sieht seine Absicht mit dem dramatischen Erst¬
Einfamkeit des Hochgebirges auf, von Begierde getrieben, ins
ling seines Freundes Goldner zu eröffnen durch den Widerspruch
„Jnnerste der Natur zu dringen, die Bergschwester wiederzusehen,
des kunstgewaltigen Stadttyrannen, der in seinen Mußestunden
die er schon einmal zwischen Schnee und Sonne auf hohen
auch Verse macht, gekreuzt. Er beginnt also mit dem „Hamlet“
Firnen geschaut hat. Vergebens sucht ihn der Einsiedler zurück¬
und der unaufgeführte Autor der „Nachtfalter“ hält beim
zuhalten, der ihm zu Häupten den schwarzen Tod erblickt. Der
Fröffnungssouper eine volks= und philisterfeindliche Rede. Darum
Njäger erreicht die Geliebte und fällt und stürzt. Im selben
ein Drama?
Augenblicke scheint sich das starre, tote Marienbild, das der
Rückblickend auf die einleitenden Ausführungen mag man dort
Einsiedlers in den Fels gehauen, zu beleben. Die Bergschwester
mehrfach die Ergänzung und die Verallgemeinerung der hier be¬
wird durch das Mitleid über den Tod des Jägers Mensch.
sprochenen Einzelwerke finden. Die Moral von der Fabel. Di
Durch seine Umarmung ward sie Mutter, Mutter Maria.
deutsche Bihne geht sichtbar bedeutenden Wandlungen entgegen
HHungernd und frierend eilt sie durch die Lande für ihr Kind
Möge sie Dichtung, Darstellung und Publikum bereit finden. H.L
Obdach und Nahrung zu erbetteln, nachdem sie sein Leben dem
Tode abgetrotzt hat, der es schon in seinen Knochenarmen wiegte.
1 Einmal aber kommt ihr die Stunde des Vergessens. Von dem