II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 220

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Der Schleier der Beatrige
Nachdrug ihre Wiedergabe dem Berichtenden fast unmöglich bekannten Dame einen Ausflug nach Wier rotz¬
Der neue Schnitzler, vrdeen wird, Aber es sind Thatsachen der Seelle. Der
dem von diesen Ausflügen der Frau Rupius selt¬
sanie Gerüchte durch die klatschsüchtige Stadt
Romancier der alten Zeit, die hierin unserem Em¬
Wien, 15. Juni.
pfinden nach gewiß nicht die gute war, brauchte fliegen. Das großstädtische Leben weckt die in ihr
* Wollte man die Stimmen zählen und nicht
anonyme Briefe, lange Reden, Duelle Wunden.keimenden Wünsche und Hofftungen, die sie längst
Hier sehen wir den Kampf einer Frau um die Liebe
wägen, so wäre Arthur Schnitzlers „Oeupre“ ohne
verdorrk glaubte. Auchlockt der Freundin gefähr¬
der Novellenbände
eines Mannes, der sich ganz ohne Nebenbuhlerin¬
Bedeutung. Noch hat keinen#
liches Beispiel. Sie schreibt, ohne an alle mög¬
erklommen; in
nen, Verrath und Selbstmord ereignet. Ein Dichter,
die steile Höhe der dritten A#
lichen Folgen denken zu wollen, dem Jugendfreunde
dreißigsten
der zugleich Arzt ist, beschreibt uns die Krankheits¬
einen Gratulationsbrief; Emil Lindbach antwortet
Frankreich beginnt man ja e#
Tausend von einem Autor zu rede ber in Sachen
geschichte einer Seele. Die örtlichen Voraussetz¬
freundschaftlich und sofort. Sie kommt nach Wien,
der Kultur entscheidet keine mmenmehr¬
ungen der Krankheit, ihr Ausbruch, die Krisis und
in dem Museum treffen sie sich, sie verbringen den
die Heilung werden uns mit einer genauen Ge¬
heit, vox populi ist auch hier nicht vox dei. Es
Abend zusammen und der sieggewohnte Künstler
gibt eine kleine und feine Gemeinde, die heute weiß,
wissenhaftigkeit geschildert, die in ihrer Ausführ¬
führt die arme Frau, in der alle verpaßten Be¬
daß dieser stille und weltfremde Dichter nicht nur
lichkeit manchmal beinahe mehr wissenschaftlich wie
gierden, alle ungewährte Liebe ihres Lebens plötz¬
ein Versprecher, sondern auch ein Erfüller ist, daß
lich ausbrechen, mit sich. Ihre bisherige Tugend
ihm eine Schärfe und Sicherheit der Beobachtung
Frau Bertha Garlan lebt mit ihrem kleinen
scheint der von ihrer Liebe ganz Berauschten träge
eigen ist, die jetzt in deutschen Landen von keinem
Buben in einer niederösterreichischen Provinzstadt.
und feige; versunken ist ihre Wohlanständigkeit;
Anderen erreicht wird, daß er unter den verschiede¬
Sie ist wenig über dreißig Jahre alt und Wittwe.
seine Gattin, oder, geht es nicht anders, seine Ge¬
pboven ent¬
den Talenten, die¬
liebte will sie sein. Aber der genußsüchtige Lebens¬
Ihr Mann war ein stiller, bescheidener und guter
d#s einzige ist, das seinen Platz in der
spre
Mensch, der sie heiratete da mit dem Tode ihrer lüstling denkt nicht daran, sich mit solcher Bürde zu
Literaturgeschichte nicht nur vorgemerkt hat son¬
Eltern die Noth an sie heranzutreten drohte. Erbeladen; sie war ihm Genußobjekt, eine vorüber¬
dern auch bereits besetzt hält. Für diesen Kreis,
war nicht jung, schien ihr auch nie jung und Liebe
gehende, angenehme Zerstreuung, weiter nichts.
der sich langsam und sicher erweitert, sind neue
für ihn war nie in ihr aufgeblüht. Sie hatte sich
Sie muß das erkennen im selben Augenblick, da
Werke Schnitzlers das, was Künstlerwerke jedem
Leuchtenderes erhofft; als Klaviervirtuosin — viel¬
Frau Rupius an dem Versuche stirbt, der Welt die
leicht auch als Gattin eines großen Künstlers
Erzogenen zu sein haben: Erlebnisse, nach denen
Folgen ihres verbotenen Glückes zu verdecken, und
man sich bereichert fühlt. Der fleißige Dichter hat
durch die Welt zu ziehen. Die Gelegenheit schien auch in ihr die furchtbare Angst vor solcher Strafe,
seinen Getreuen in den letzten Monaten zweimal
da; ein junger Geiger, Emil Lindbach, liebte sie und solchem Kinderfluche, erwacht ist. „Plötzlich flim¬
so starke Freude bereitet. Dem italienischen Re¬
sie ihn. Nur einen einzigen Kuß hatte sie dem Be¬
mert es ihr vor den Augen, eine wohlbekannte,
naissancedrama „Der Schleier der Beatrice" folgte
gehrlichen gewährt; zu fest lebte in ihr die bürger¬
plötzliche Schwäche kam über sie, ein Schwindel,
liche Sittenstrenge. Aber die Noth hatte alle ihre
eine größere Novelle, die Schnitzler als Roman
der sich gleich verlor. Zuerst bebte sie leise, dann
Hoffnungen zerstört und heute scheint ihr der
falsch meldet, die Seelenphotographie der Frau
aber athmete sie tief und wie erlöst auf, denn mit
Bertha Garlan.
Jugendgeliebte, der als berühmter Virtuose alle
dem Hereinbrechen dieset Ermattung fühlte sie ja
Es geht scheinbar sehr wenig vor auf diesen 256
Länder durchfliegt, in einer anderen Welt zu weilen.
auch, daß in diesem Augenblick nicht nur ihre Be¬
Seiten. Die „Handlung“ hätte sich mühelos in eine
Die fristet von ihrem Wittwengute und Klavier=fürchtungen von frühers sondern der ganze Wahn:
kurze Skizze fassen lassen. Weng man unter einem
stunden bei verwandten und befreundeten Familien dieser wirren Tage, dielletzten Schauer einer ver¬
„guten Erzähler" Den versteht, der äußere Gescheh¬
sich und ihrem Söhnchen das bescheidene Leben.
langenden Weiblichkeit, Alles, was sie für Liebe ge¬
nisse geschickt zu gruppiren weiß und ein Menschen¬
Aber eine leise Unzufriedenheit zernagt ihre Ruhe. halten, in nichts zu verströmen begannen. Und an
schickjal wie eine Schachpartie betrachtet, die durch
„Seit Beginn dieses Frühlings fühlte sie sichdiesem Todtenbette kniend wußte sie, daß sie nicht
verblüffende und geistreiche Züge immer zu einem
weniger behaglich als bisher sie schlief nicht mehr so
von Denen war, die, mit leichtem Sinne beschenkt,
anderen und stets überraschenden Ende gebracht
ruhig und traumlos als früher, sie hatte zuweilen
die Freuden des Lebens ohne Zagen trinken lönnen.
eine Empfindung der Langeweile, die sie nie ge¬
werden kann, dann ist Schnitzler kein Erzähler.
— Und während sie die blasse Stirn der
Aber dieses Buch bietet Besseres als das mathemat¬
kannt, und das Sonderbarste war eine plötzliche
Todten betrachtete, mußte sie an den Unbekannten
Ermattung, die sie manchmal bei helllichtem Tage
ische Spiel mit Figuren, gerlide weil Entwicklung
denken, für den sie hatte sterben müssen, und der #
überkam, in der sie das Kreisen des Blutes in ihrem
und Ausgang den Eindruck Vener strengen Noth¬
straflos und wohl auch reuelos draußen in der
wendigkeit machen, den man in Leben immer suchen ganzen Körper zu verspüren meinte, und die sie an
großen Stadt herumgehen und weiterleben durfte,
muß, wenn es überhaupt einen Sinn haben soll. eine ganz frühe Epoche ihrer Mädchenzeit er¬
wie ein Anderer auch .. nein, wie tausend und
Ja, äußerlich ereignet sich in dem Roman fast nichts. innerte.“ So macht sie, nach neuen und lebhaften tausend Andere, die neulich ihr Kleid gestreift und
Und dennoch ist er so voll von Geschehnissen, daß Eindrücken lüsterner, als sie es selbst weiß, mit einer sie begehrlich angestarrt hatten. Und sie ahnte das