II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 222

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14: Der Schleier der Beatrice

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#s angenommen. Die Hofbühnen für Bismar
nußsucht gemischte Stimmung ist ein wirkungs= S
werker geht, der mit ihr dem Verderben zu entfliehen
# istenz das Drama hohen Stils eine Lebens=fahren u
voller Hintergrund des Gemäldes. Das Unwahr¬
hofft. Der Bentivoglio,
frägeist, rühren sich nicht. Anstatt ihre beste Kraft igsten A
scheinliche wird nicht nur begreiflich, sondern
Der an jedem Tag
daran zu setzen durch solche Dramen, die in Stil klagte #
Sein Leben trinkt aus tausend klaren Quellen
schließlich selbstverständlich. Wir sehen außer¬
Cocain
und ihren künstlerischen und finanziellen Anfor¬bei Tisch
Und jede weckt den Durst und jede löscht ihn,
ordentliche Menschen in außerordentlichen Verhält¬
derungen den Privattheatern unmöglich sind. Bgas
nissen, die in Ueberlebensgröße vor uns empor¬
bietet der schönen Frau viel für ihre Gunst. Lange
sich wieder ein Publikum zu erobern, begnugen frischen
ragen, und ihre Schicksale werden bestimmt durch
schweigt Beatrice und schließlich nennt sie in kind¬
sie sich mit Fulda und Koppel=Ellfeld. Ehrgeiz
er bei 2
ein sechzehnjähriges Kind. Für sie stirbt der Dich¬
licher Einfachheit den hohen Preis: sie will Herzogin
ist nicht das Laster der Herren Intendanten ...
ter, den sie dem Herzog verräth, wie sie später den
sein. Von Gefahr und Begierde trunken, willigt
Ein erfolgreicher Dichter findet für sein bedeutend= den Kr
der Fürst ein. Während ein greller Hochzeitsjubel, Herzog dem Dichter verräth. In dieses Frauen¬
stes Werk, das wie ein einsamer Berg über marck de
räthsel leuchten des Lebensmeisters Bentivoglio
der sich durch seinen Lärm selbst betäuben will,
das Flachland der dramatischen Gegenwartproduk= innerlich
verstehende und daher auch verzeihende Worte hin¬
durch Bologna fliegt, hört der Dichter durch die ein¬
tion ragt, keine Stätte. Und Herr Schlenther, der führte, d
ein:
same Nacht eine Stimme. Seine Beatrice ruft ihn,
vom Paulus der „Moderne“ zum Saulus des Hof=merkte d#
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
holt ihn zum Tode. Freilich erkennt Filippo bald,
mir
theaters ward, begnügt sich mit der unechten „Re¬
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
daß ihr der Tod nur eine Ausrede ist, um zu leben,
setzen
naissance“ von Koppel=Ellfeld und läßt die echte in [Krücke
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel, —
daß sie, als Fürstin und im Brautkleid, zu ihm
Stich. Hater sich nur aus Zagheit des „oben“ nicht Zeitunge
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
kam, weil sie eine sehnsüchtige Laune trieb und nach
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
beliebten Dichters nicht angenommen? Im Inter=ten. Bei
Frauenart Gefühle in ihr mehr vermögen als der
Und leiden's nicht, und Jeder von uns wollte
esse seines literarischen Urtheils möchte man es bei= er sei im
Verstand. Kaum hat er ihr vorgegaukelt, daß sie
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
nahe wünschen. Aber wie sich diese arge und für und könn
Gift getrunken hat, so flucht sie ihm und jammert
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
unsere Hofbühne so schimpfliche Sache auch immer hir“ be¬
nach dem Leben, das ihre Sinne allein zu fassen
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!
verhalten möge: den Purpurschleier, den der Dichter wendet:
vermögen. Angewidert, ganz erfüllt von dem Ge¬
aus schönen Versen und hohen Gedanken um sein derselbee
Der Kampf zwischen Todesangst und Liebe ist
fühle der furchtbaren Vereinsamung, das zarte und
warz und
eines der Grundmotive aller Schnitzler'schen Werke;
Beatricendrama wob, kann weder Schwäche noch
tiefe Menschen so oft fühlen müssen, leert er nun
Abschied
Unverständniß eines Theaterdirektors zerreißen.
das andere ist der Gegensatz zwischen Liebe und
wirklich den Giftbecher. Allein mit dem Todten,
ihm für
Ludwig Bauer.
Liebelei, die Erkenntniß, daß, was das Leben der
D
stürzt die entsetzte Beatrice
Frau ausfüllt, dem Manne nur eine Episode ist.
Zurück in's Leben, fort von dem Geliebten,
1e
Wir haben gesehen, wie diese herbe Wahrheit auch in
Indeß er dalag wie ein todter Hund!
Buntes Feuikkekon.
Reic
Im Schlosse tobt eine wilde Orgie, die sich in Frau Bertha Garlans Kopf eindrang. Das erste
m. Fürst Bismarck und Reinhold Begas.
Motiv, das er in seinen Novellen so häufig und oft
Entsetzen auflöst, da der Herzog Beatricens Flucht
mit beinahe allzu großer Virtuosität varüirt hat, Heinrich v. Poschinger schildert in der Wiener „N. Fr.
[Peters
bemerkt. Endlich kommt sie; in einer prachtvollen
Pr.“ in einem Feuilleton die Begegnungen des großen
füllt auch sein großes geschichtliches Drama aus; so
zeiger“
Szene, die mit allen tragischen Gewalten angefüllt
Kanzlers mit dem Schöpfer des in Berlin enthüllten
mächtig es auch wirkt, muß man doch wünschen, daß
durch
ist, wird die vor Todesangst und Angst vor dem
Nationaldenkmals. Lenbach hatte die erste Begegnung
sich der Schnitzler'sche Prohlemenkreis erweitert.
leichte
Todten fast sinnberaubte Beatrice gezwungen, den
vermittelt, bei welcher Gelegenheit Begas im Flüsterton
Freilich ist diese Erscheinung, die Armuth an poet¬
russischen
Herzog dorthin zu führen, wo sie ihr Brautgeschenk,
zu Lenbach über das Auge des Fürsten die Bemerkung
ischen Motiven, ein für die ganze deutsch=österreich¬
welche ih
ihren kostbaren Schleier, ließ. Sie kommen in des
fallen ließ: „Nein, dieses Auge — und wie es über Alles 1
ische Produktion charakteristisches Merkmal, über
hinwegsieht!“ „Sie machen da,“ bemerkte Bis=und har#
todten Dichters leeres Haus. Hinter den schweren
das bei einer kritischen Betrachtung der modernen
marck, dem die Bemerkung nicht entgangen war, ein solche an
Vorhängen, wo der Herzog sein Brautlager halten
heimischen Literatur vielleicht noch Einiges zu sagen
für einen Diplomaten wenig schmeichel¬
des Gese
will, sieht er Filippos Leiche. Nun dämmert mit der
wäre.
shaftes Kompliment.“ Der Fürst saß hier¬
Zeitung
letzten Sonne, die sie Alle sehen werden, auch die
auf dem Künstler über eine Stunde. Das Ergebniß war
Aber weit über das mächtige Drama Schnitzlers
schwebte
Wahrheit auf. Und während draußen der Kampf
eine Büste, die jetzt Eigenthum der Berliner National¬
klesschwe
hinaus trägt uns die Frage nach seinem Schicksale.
beginnt, stößt Beatricen ihr ehrbar=strenger Bruder
galerie ist. Als vor vier Jahren die Ausführung des
des gerin
Denn sie beleuchtet mit schmerzhaft greller Deutlich¬
den Dolch in's Herz. Sie ist nur vorausgegangen;
Nationaldenkmals einstimmig Begas übertragen wurde,
Regierun
keit den Verfall der deutschen Bühne. Ein aner¬
die Andern werden folgen. Der Morgen ist da und
reiste der Künstler am 17. Mai.1898, also sechs Wochen
geschaffen
kannter Dichter schafft ein Werk von einer Bedeut¬
mit ihm werden Cesare Borgia und der Tod über die
vor dem Hinscheiden des großen Kanzlers, nach Fried¬
schlossen
ung, über die Freund und Feind einig sein müssen,
richsruh. Poschinger berichtet über diese Begegnung mit
Stadt kommen.
ungen au
Von der fast unheimlich=wilden Kraft, die durch und nach mehr als Jahresfrist hat sich — einen mi߬
folgenden Worten: „Begas traf in Friedrichsruh zum
Zeitunge
glückten Versuch in dem literarisch recht rückständ¬
Frühstück ein und fand dort den Professor Schweninger,
das Gedicht tobt, kann eine Erzählung kaum ein
abgeblaßtes Bild geben. Die aus Angst und Ge¬igen Breslau ausgenommen — kein Theater des den Grafen Rantzau und Gemahlin und Dr. Chrysander. troffen