II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 237

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14
Der Schleien der eatrice
Stichwahl
Erster Wahlgang
105
Im Jahr: 1000 108 Im Jahr: 100
Stimmen Stimmen Stimuen
Stimmen
2569
2382
1556
1962
[Volkspaxtei
2052
1637
1663
1192
Centrum
1 Zauernbund und
1443
1191
deutsche Partei
Im ersten Wahlgang verlor die Volkspartei über 400
Stimmen, während Centrum und Bauernbund einen be¬
deutenden Zuwachs erhielten. Für die Stichwahl war von
den Führern des Bauernbundes die Parole ausgegeben
worden, für den Centrumskandidaten zu stimmen.
Das war von den evangelischen Bauern denn doch zu
viel verlangt, und alle Ueberredungskünste halfen da nichts
mehr. Der alte Ruf: „Hie Welf, hie Waiblingen“ erscholl
unter den aufgeregten Landleuten, die durch die Demagogie
der Bauernbundesführer nun einmal aus ihrem Gleichgewicht
gebracht worden sind. Die „Magenfrage“ wurde fallen ge¬
lassen, und die konfessionelle Frage entschied den Kampf. In
hellen Haufen, mit fliegenden Hähnlein gingen die Bauern¬
bündler ins volksparteiliche Lager über — dort das „kleinere
Uebel“ erblickend. Jedenfalls haben sich die Bauern als
politisch weiter blickend erwiesen als ihre blinden Führer, deren
Autorität jetzt einen argen Stoß bekommen hat. Anderseits
wird das Centrum für die Folge sein Verlrauen auf die
Wahlbündnisse mit dem Bauernbund auf ein sehr bescheidenes
Maß herunterschrauben müssen.
von Toledo, als das schuldlos schuldige, instinktmäßig ver¬
als iwechselungsreiche Handlung, shakespearifierend mit vielfach
buhlte, ewig wetterwendische, immer nach neuen Ekstafen dür¬
er der Beatrice
prächtigem Vers und würzloser Prosa in Volksszenen, Staats¬
stende junge Weib, eine weiche weiße Teufelin, die auf die
szenen und Liebesszenen geteilt. Shakespearisierend! So etwa,
swertesten Einer unter unse¬
Erde gesandt ist, um Helden zu verderben. Er gibt ihr be¬
wie der Mond sein Licht von der Sonne nimmt.
akter geschrieben: „Die letzten
sonders deutlich den Zug, daß sie sogar mit Leben und Tod
Das Stück spielt am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.
in der Schlinge des sicheren
kokettiere, daß sie sich mit perversem Gelüst in die Wonne des
Italien ist ein großes Schlachtfeld. Die Städte befehden ein¬
hen ihre Seelen. Kulturlüge
Sterbens einbohre, um dann erschreckt ins Leben zurückzu¬
ander und liegen vor allem im Kampf mit Rom, wo
ab. In erschreckender und
jagen.
Alexander VI. der Papstgewalt immer größere Macht zu
Da armselig in ihrem kleinen
Philippo Loschi also scheucht Beatrice von sich, um sich bald
Ein unendlicher Betätigungsdrang
erringez trachtet.
ihrer Wahrhaftigkeit. Neben
wieder nach ihr zu sehnen. Wir sehen sie schnell getröstet.
beherrscht die Menschen, und das Dasein bewegt sich in den
k hat Schnitzler einen anderen
Die eben einen Dichter küßte und von einer Herzogskrone
größten Formen. Man ist Krieger, Priester und zugleich der
us unbedentenden: „Die Frau
träumte, denkt jetzt nur an eine gute Versorgung. Sie will
liebevollste Pfleger der schönen Künste. Man mordet, aber
den Sieg weiblicher Begierde
den Vertrauten ihres Bruders, den Gehilfen ihres Vaters,
man weint auch beim girrenden Liede der Poeten. „Man
dnislosen Mann in einer ge¬
den jungen Vittorino noch heute heiraten. Und wiederum
lebt sich aus“, wie das modische Schlagwort lautet. Maeterlinck
mit vielen Farbenflecken ohne
drehen sich die leicht beweglichen Flügel ihrer Seele. Benti¬
hat in dem alten Colonna wenigstens einen solchen, für
voglio tritt auf. Alle Herzen fliegen ihm zu, die Frauen¬
unsere heutigen Begriffe überlebensgroßen Menschen gezeichnet.
sein Schauspiel Der Schleier
herzen vor allem. Beatrice steht festgewurzelt vor dem Fürsten,
Schnitzler kann keinen so recht lebendig machen.
abend im Deutschen Theater
hypnotisiert und hypnotisierend. Er begehrt sie für diese eine,
In dieser Zeit also ist Bologna, das dem jungen Herzog
ensströme dieser beiden Ein¬
diese letzte Nacht; was ohnehin ein altes Herrscherprivileg ist,
Bentivoglio gehorcht, von Cesare Borgia bedroht, dem ebenso
eln. Im Hintergrunde Todes¬
wird ihm in Erwartung des Unterganges gewiß nicht ver¬
verruchten wie genialen Sohne des Papstes. Noch eine Nacht,
Heiße „Lebensbejahung“ eines
weigert werden. Jedoch Beatrice, in Erinnerung an den
und der Tod soll wie ein Wolf in die Schafhürde einbrechen.
prachtvoller Kontrastgedanke,
Traum, stellt Ansprüche. Die kleine Herumtreiberin wird
Alles zittert und rüstet dem Morgen entgegen, nur der Dichter
Originalität, nachdem — um
sehr moralisch. Sie will Herzogin werden, noch heute, noch
Philippo Loschi sitzt träumend in seinem Prunkgarten. Er
erwähnen — Heinrich Kleist
in der nächsten Stunde; dann ständen den nächtlichen
hat sich von der schönen Patrizierin Teresina losgesagt,
ns gerade durch die Szene
Freuden keine Hindernisse im Wege. Und der Herzog,
der Schwester seines Freundes Andrea, denn eine neue Leiden¬
ht hat. Aber bei Schnitzler
der von ihrer Vergangenheit, von ihren Beziehungen zu Loschi
schaft hält ihn gefangen. Er liebt Beatrice, die sechzehn¬
dem schneidenden Gegensatz,
nichts weiß, macht sie zur Herzogin.
jährige Tochter des alten idiotisch gewordenen Wappen¬
ichtung ausmacht. Der Atem
Im Schlosse ist Hochzeit, so fröhlich und ohne Etikette wie
schneiders. Mit der Glut des Dichters sieht er in ihr die Er¬
geht nicht schwer und be¬
nur möglich. Alles, was sich liebt im Volk, ist geladen, heiße
füllung seines Ideals. Aber ebenso heißblütig kehrt er sich
furchtbar drücken soll auf die
Courtisanen und ängstlich begehrende Bürgermädchen mit
von ihr ab, weil sie ihm erzählt, daß sie den Herzog Benti¬
die Hörer, wird kaum gespürt.
ihren Freunden. Morgen der Tod, diese Nacht dem Leben:
fübrig, ein Frauendrama, das voglio im Traum gesehen und selbst zur Herzogin empor¬
odlig soll jedes Kind sein, das der Umarmung dieser
hes beinahe nur ein Wiener gestiegen sei. Er sieht sie nun verunreinigt: „Träume sind
[Und es bleibt übrig ein vonh freche Wünsche.“ Und gewiß, Beatrice ist das Gegenteil von orgiastischen Stunden entspringt. So will es der verliebte“
Kolorit, eine gewiß sehr ab= Reinheit. Schnitzler zeigt sie uns wie eine Schwester der Judin! Fürst. Die Bühne kann, auch wenn sie nicht an die Gefahren —