II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 284

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14: Der Schleier der Beatrice
bewußt, sei's unbewußt — das eigentlich Renais=] Hauptmann und Sudermann wollten und wollen ja Stürmen nicht lassen kann. „Der Liebe hat und darf sie
mäßige. So gewaltige Schicksale sie oft gehabt
auch Großes. Nur kommt im „Sebastian“ zum Wollen nicht verschwenden“, und muß es doch. Ein Mensch, der
sich nach Menschen sehnt, die ihn verstehen, ohne sie zu
, sie wuchsen nicht aus ihnen heraus, sondern ein gut Stück Können, und in einer Sprache, die für
n von außen an sie heran.
finden. Mit Recht erwidert ihm Einer, als er Verlangen
mein Empfinden nur ein- zweimal, namentlich S. 68, tragt, „als Mensch zum Menschen zu sprechen“: „Diese
in feines Büchlein sind die „Zwischenspiele
empfindlich stört, weil sie aus dem Ton des Ganzen Sprache ist von allen die schwerste.“ Zwar sagt seine
lersen“*) von L. Ysaye. Hier scheint mir auch
herausfällt. Die Sprache hat Fülle, sie ist nicht arm Mutter: „Dein Geist ist stark und trägt auch Einsam¬
Buchschmuck gut zum zarten Inhalte zu stimmen.
sondern reich. Sebastian kann für das Königliche im feit.“ Aber fast nur Einsamkeiten durch ein ganzes
ammt von Fanny Zakuska. Die Zwischenspiele
Menschen, das so oft schweigt, schläft und wie todt liegt Leben tragen, vermag schon der königliche Mensch nicht.
vier kurze Dialogskizzen. Jede in nuce ein
Worte und Gestalt gewinnen. So gebärdet er sich Man denke z. B. an Nietzsche und Multatuli. Mit der
ia, in Wirklichkeit aber nur letzte Akte. Wir suchen
denn nicht nur als der geniale, königliche Mensch —
ch im Drama einmal wieder nach neuen Formen
Naivetät des Genins hält Sebastian alle Menschen für
solch kläglich Schauspiel sehen wir ja schon oft genug —
Inhalten, die uns modernen Menschen kongruent
Menschen und hält fest an diesem Glauben, um für ihn
sondern er ist es wirklich, wie sein Reden und Thun
denn kongenial kann man nicht gut sagen. Skizzen¬
ausweist. Es ist lange her, daß sich derlei in einem zu bluten. Aber auch in sein Leben hat sich „alles
ie wir selbst wird auch unsere Produktion. So istes
Lebens Trüberin, die Lüge“ eingeschlichen. Damit ist
Drama fand. Dieser königliche Mensch wird nun aber
uch. Dramatische Skizzen. Das soll kein Vorwurf
er abgefallen von sich selbst, der nach allgemeinem
a.ch thatsächlich, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, Menschenloos ja garnicht immer sich selbst treubleiben
sondern will nur eine Thatsache konstatiren. Und
enn. König. Sein Freund, der rechtmäßige König, recht¬
nser Leben äußerlich ziemlich aktionslos geworden
kann. Und so stirbt denn der königliche Mensch Se¬
mäßig, weil er fürstlichen Blutes ist, sieht ihm so ähnlich pastian im tiefsten Grunde an sich selbst, an der Untreue
auch unser Dichten. Unsere Konflikte kommen
daß beide, die beide Sebastian heißen, äußerlich nicht
r mehr rein aus dem Innern, soweit es nicht
gegen sich selbst, ohne die nun einmal kein Mensch zum
von einander zu scheiden sind, Dieser rechtmäßige König Sterben kommt. Wie aber der König Sebastian zu
e Konflikte sind. So verinnerlicht sich denn auch
wünscht, daß sein Freund ihm völlig gleich gerüstet mit Grunde gehen muß, und an welchen Konflikten, kann
Dramatik. Und da Ysaye mehr gefühlsstark als
in die Schlacht zieht, denn wenn der rechtmäßige König ich des Raumes willen nicht erzählen. Leider hat das
äftig ist, sind es auch seine Zwischenspiele.
fallen sollte, will er, daß der Freund ohneweiters an Drama einige epische Längen, und so schön die Sprache
nd nun habe ich noch die Freude, von einem mir
seine Stelle trete. Der rechtmäßige König fällt, und der
oft ist, sie ist zu wenig individualisirt. Alle Menschen des
geborene König wird König. Mit tiefer Ironie zeigt
Pramatiker noch Unbekannten sprechen zu dürfen,
Dramas reden die Sprache Sebastian=Geuckes. Is
Geucke, daß der geborene König leider nichts ist, wenn er
Tragödie in fünf Akten „Sebastian"**) viel
das aber einmal nicht der Fall, shakespearen sie allzu
nicht zufällig auch rechtmäßig, ahnenmäßig König ist,
nd noch mehr verspricht. Sie stammt von Kurt
stark. Der Ausgang der Tragödie leidet nach meiner
cke. Es ist ein historisches Drama, der portugie¬
Hier liegt wieder ein Konflikt, der zur Gestaltung Meinung darunter, daß er zu viel eine Parallele mit
Geschichte entnommen, seiner ganzen Art nach
kommt. Es war ein guter Griff, aus dem königlichen der Tragödie Jesu von Nazareth sucht und die gefun¬
Menschen auch wirklich einen König zu machen und die
so deutsch, daß die portugiesischen Namen zuweilen
dene zu breit betont. Es ließe sich noch mancherlei aus¬
allgemein menschlichen Konflikte mit den aus seinem
störend wirken. Sebastian ist ein königlicher
setzen. Man sieht, ich bin nicht blind diesem Stück
widerrechtlichen Königthum erwachsenden zu verbinden.
das Drama trägt die Widmung: „Den
Dadurch gewinnt das ganze Werk an Gegenständlichkeit, gegenüber. Vielleicht glaubt man mir deshalb um so
en der Erde“. Die Kämpfe und Leiden, das Unter¬
die mehr innerlichen Konflikte an konkreter Anschaulich= mehr, daß wir, auf das Ganze gesehen, hier ein Drama
und Siegen eines solchen Menschen wird darge¬
keit und bühnengemäßer Aktionskraft. So tritt das haben, das in der That werthvoll ist. Und da wir uns
und damit ein Stück von unser aller Leiden und
Menschliche und rein Seelische kräftig nach außen. Das schon lange Zeit nach freierer, reinerer, dramatischer
fen, Siegen und Unterliegen, soweit wir keine
Werk verliert sich nicht in psychologischen Spitzfindig= Höhenluft sehnen, finden sich hoffentlich auch Direktoren,
rzigen Philister sind und nur zufällig eine Men¬
die, schon weil sie das wissen werden, es einmal mit
eele in einem Leibe auf zwei Beinen tragen, weil
keiten, sondern entfaltet sich äußerst kompakt und real dem „Sebastian“ versuchen.
Ich sehe darin den starken Bühneninstinkt des Dichters,
lbst zweibeinige Eltern gehabt haben. Dies allge¬
Schließlich sei noch erwähnt, daß Byron's
was nur erfreulich ist, weil damit nach all den technischen
Menschliche ist mir das Wichtigste an dem Drama,
„Manfred“*) in einer neuen, schönen Ausgabe vor¬
Mätzchen einmal wieder ein gesunder Weg betreten wird.
grade hierdurch vor Allem überragt es die Durch¬
liegt, die Ludwig Wüllner eingeleitet und Walter;
Das Theater ist ja nicht nur ein Orpheum für psycho¬
sproduktion unserer Theaterdichter bei weitem.
Tiemann mit meist sehr passendem Buchschmuck ver¬
logische Excentriks. In den fünf Akten durchleidet nun
Wien, Wiener Verlag, 1901.
sehen hat. Das Deutsch dieser Ausgabe deckt sich im
Sebastian jedes Vollmenschen Leiden, „ein Sonnen¬
)Berlin. Hermann Walter, 190.
Wesentlichen mit dem, was Adolf Böttger seiner
sturm, verstreifend über Disteln“, der aber doch das
Zeit bot. Diese Rhythmen wirken direkt orchestral. Und
was den Inhalt angeht, so versteht man, daß Mal¬
Clarmé einmal sagen konnte: „Je nesais qu'une bombe, 1
c’est le livre.“
*) Leipzig, Hermann Seemann Nachfolger, 1900.