II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 344

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14: Der Schleier der Beatrice
Kindische Lust aber ist ihr alles. Wie ein Kind treibt
sie nimmer los zu lassen. „Schwört mir, daß Ihr
sie, heiter lachend mit dem Erhabensten und Ciedrigsten
nichts fragt, und haltet meine Hand ..
So führt
ihr lockeres Spiel. Sei es Liebe, sei es Tod.
sie ihn zu Filippo Loschi. Dort vor seiner Leiche er¬
wenns nur Erregung gibt für ihre Phantasie. Und
kennt der Herzog, was ihn so rätselhaft zu Beatrice
plötzlich fährt ihr durch den Sinu, mit Filippo gemein¬
zog.
sam zu
sterven. Als dieser aber scheinbar
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
darauf eingeht und ihr den Becher einschänkt und dann
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte —
erklärt, sie hätten beide den Tod daraus getrunken, da
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rälsel —
weint und heult und bettelt sie in feigster Todesfurcht,
Mit eines Jünglings Herz, weil Dir es just geschenkt ward...
und angeekelt jagt er sie davon zum zweiten Male, er¬
So nannten wir Dein Tun
greift wirklich einen Gistbecher, leert ihn auf einen Zug
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!...
und stürzt tot zusammen. Beatrice aber schleicht zu¬
Und er wendet sich von ihr und gibt sie ihren
rück ins Schloß zu ihrem Herzog. Im vierten Akt
Eltern wieder ... ihr Bruder Francesco aber stößt
trifft sie dort ein. Das Bancchanal hat seinen Höhe¬
ihr den Dolch ins Herz. Damit endet der fünfte Akt.
punkt erreicht, aber auch ihre Abwesenheit ist bereits
Der Herzog wird am nächsten Morgen dem Borgia
bemerkt worden. Man sucht sie überall. Boten werden
entgegenziehen und wird wohl siegen, denn er ist ein
ausgesandt, ihre Eltern, ihre Geschwister werden herbei¬
Mann von Heldenmut und Menschengröße. Beatrice
gerufen. Niemand weiß, wo sie hingeraten ist. Der
aber war ein Weid — ein Kind!
Herzog ist in höchster Sorge, er beherrscht nur mühsam
Wäre sie Herzogin und am Leben geblieben, eine
seine Erregung, in der sich seine Angst um Beatrices
neue Messalina wäre in ihr erstanden ... der „Erd¬
Verschwinden und der Tumult in seinem Blut mischen,
geist“ aller Zeiten lebte in ihr!
das nach ihr lechzt. Da tritt sie auf die Szene. Bleich,
aber hold, mit süßem Unschuldslächeln und lügt ihm
Was der Schleier in diesem Stücke verhüllen
vor, sie sei in der Kirche gewesen, um zu beten.
oder enthüllen soll, ist nicht recht klar geworden, und
„Es senkte wie Erleuchtung sich herab,
seine symbolistische Bedeutung blieb unverständlich. Mir
An solchem Ort, in solchem Augenblick
war er der Zauberschleier, mit dem der Dichter seine
Sei mein Gebet von höchster Kraft erfüllt.“
Gestalten umwob, die dadurch allerdings an Klarheit
Und der Herzog glaubt ihr, während alle übrigen
einbüßten, was sie an poetischem Reiz gewannen. Der
zweifeln und diesen Zweifeln lauten Ausdruck geben.
Wucht des Stoffes zeigte sich Arthur Schnitzler nicht
Er befiehlt ihnen zu schweigen. In diesem Augenblick
gewachsen, aber aufs neue erwies er sich als ein
entdeckt er, daß ihr der Schleier feylt. Entsetzen erfaßt
echter Poet, der viel vermag,wenn er auch vieles schuldig
auch sie, aber wieder ist sie um lügenhafte Aus¬
blieb. Fein, gedankenvoll ist die Diktion seinerDichtung,
reden nicht verlegen. In der Kirche will sie
edel die Form, reich der Inhalt, dramatisch bewegt
ihn verloren haben, dann in der Straße, und als man
die einzelnen Szenen, wenn auch oft das Theatralische
ihr beweist, daß dies nicht wahr sein kann, verweigert
an die Stelle der natürlichen Kraft und innern Wahr¬
sie, ein trotzig Kind, jetzt jede Auskunft. Auch dem
heit tritt. Aber eines Dichters Anhauch fühlte man
Herzog, selbst als er ihr verspricht, daß er ihr alles
immer, viel stärker noch beim Lesen des Dramas, als
verzeihen werde, daß sie Herzogin und seine Gemahlin
von der Bühne. Da versagte gestern im Deutschen
bleiben solle, was immer sie getan; nur dorthin sollte
sie ihn führen, wo sie den Schleier fallen ließ. Sie
Theater recht vieles. Und konstruiert schien, was frei
schweigt beharrlich ... eigensinnig. Nur das nicht!
und ergreifend hätte wirken müssen. Stillos war das
Sie kann nicht dorthin zurück, und erst, als sie zu Tode
Ganze, und niemals ist das abstoßender als bei Re¬
geführt werden soll, löst die Angst ihre Zunge: sie
naissancestücken, die die höchste Blüte von Stilvollen¬
schreit und jammert und ruft den Herzog zurück und
dung veranschaulichen sollen. Nichts geschah, um die
erklärt sich bereit, ihn hinzugeleiten. Aber ihre Hand
Stimmung nur einigermaßen festzuhalten, und diese
müsse er fassen und ihr sein Herzogswort verpfänden, I Renaissancemenschen aus der Schumannstraße konnten
nur ein mitleidiges Läche
die Ausstattung viel verw
schmackvoll, aber der Geist
auch in der Aufführung all
als Filippo Loschi
mögen ihm diese Sünde v#
inkerno verurteilen, und
eine Bologneser Schönheit
Ironie. Die Künstlerin
sich zu achten. Sie ist wie
Auftragung verfallen, die
Hohn spricht und alle ästhet
ist nicht mehr Temperame
reißen läßt, sondern aufdr
könnte sie in dieser Richtun
die als Beatrice eine durch
Sie umgab diese vom Dichte
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keit, mit einer Süße, die
vielleicht in tiefster Seele e
zu gestalten vermochte. D
der Künstlerin hat dieser
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hoben. Auch Herr Kayßle#
verdient viel Lob. Er gab
tigkeit und Kraft, wenn ihr
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ten Fürsten fehlte. Von #
die in den vielfachen Episo
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sind Darsteller von Namen
wir oft viel Anerkennensw
künstlerisch durchdachte, reif
daher nicht allzuscharf ins
mal anders kam — und wie
Publikum folgte der Auffi
und der Aufmerksamkeit, die
Schnitzler in jedem Falle
wärtige Bühnenleiter wohn
unter ihnen Herr v. Berge
Hamburg.