II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 411

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14. Der Schleier der Beatrice
Die Zukunft.
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die Herren Erzieher nur nicht gar soschnell die Geduldverlören! Dieser Filippo
Loschi möchte ein Schöpfer sein und scheut die Anstrengung des Schaffens.
Sechs Tagelang hat, von Morgen zu Abend, ein Allmächtiger sich geplagt:
und dieser kleine Herrgott will in vierundzwanzig Stunden mit seiner Welt
fertig sein. Zweimal hat er die schöne Freundin umarmt und fordert schon un¬
gestüm, ihr Herzsolle in dem Takt pochen, den er befiehlt. Ein Dichter; Einer
von Denen, aus deren Schule Musset geplaudert hat: IIs se regardent
vivreets’écoutentparler. Der feinste Wortgankler. Narcissus poeticus.
Einer, der Liebe braucht, um sich selbst lieben zu können, und des Lebens Last
nicht weiter zu tragen vermag, wenn er an seiner Gottähnlichkeit zweifeln
muß. Ibsens Borkman und Ibsens Irene würden ihn im Ton tiefster Ver¬
achtung einen Dichter nennen, den Mann ohne Mark, der immer nur malt,
was Andere thaten, immer mehr will, als er kann. Er fühlt seine Schwach¬
heit, möchte dem Treibhause seiner Phantasie entfliehen, hinaus in frische Luft,
— und lernt doch nie die Gewissenlosigkeit, die den Handelnden aufrechthält.
Soklammerter sich an des Mädchens junge Seele. Macht über einen Menschen
gewinnen, schrankenlose Macht: Das reizt ihn, ver endlich müde ist, sein Glück
nur zu dichten. Statt aber zu warten, bis der ausgestreute Same unter zärt¬
licher Sonne keimt, statt mit leiser Bildnerhand das kaum noch be¬
rührte Seelchen zu formen, will er die Wonnen des Gottes an sich reißen,
auf dessen Wink das Geschöpf lebt und wandelt. So häuft er dem Mädchen
die schwersten Proben. Schimpf soll sie dulden, nur zu ihrem Filippo beten,
auf sein Geheiß mit ihm sterben; er malt ihr, recht wie ein Poet, die Schrecken
des Todes und die warmen Freuden des Lebens und kanns nicht fassen, daß
sie das Leben wählt und nicht die edelste Lust: einem Dichter zusterben. Keine
Macht über Menschen, nicht einmal über dieses schwache Kind: Das war sein
letzter Trug; davon erholt seine Eitelkeit sich nicht. Wie sähe er, der stolzstets
nach seines Schattens schöner Linie spähte, sich morgen im Spiegel? Lieber
noch raschen Tod. Als Reisetrost nimmt er die Gewißheit mit, daß an seinem
strahlenden Genius ein Weib mit ruchlosem Undank gefrevelt hat. Gewi߬
heit? Beatrice that, was sie konnte. Der Liebste will fliehen: sie wird ihn ge¬
leiten. Er jagt siefort: sie geht. Als Gefährtin auf finsterster Straße heischt
er sie: und sie kehrt zurück. Nur allzu schwer darf mans ihr nicht machen,
folgsam zu sein; täglich erneuten Schimpf trüge sie nicht; und warum den
Graus des Sterbens mit schwelgendem Wort noch übergrausen? Sie han¬
delt immer natürlich; doch der aller Natur entfremdete Fabulirer versteht
das Natürliche nicht. Sie fügt sich, nimmt ohne Grübeln die bunte Fülle