II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 442

14. Der Schleier der Beatrige box 20/4
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Dramatische Rundschau.
Geschichte und Sage, vor allem aber des reli= einem Spiel des Verstandes und der Phantasie
giösen Mythus kann unserer verflachten drama= zu tun haben, wo uns doch die Ergriffenheit von
dem heiligen Ernst der Dinge keinen Augenblick
tischen Literatur wieder ein idealer Aufschwung
aus ihrem Bann lassen dürfte. So klein die
gegeben werden. Nur wenn das Volk seine Hel¬
Dichtung aber ihrem gewaltigen immanenten
den und seinen Gott auf der Bühne sieht, wird
Stoff gegenüber erscheint, so interessant ist die
es glauben, daß es sich hier um Ernsteres und
äußere Handlung des Dramas: Marias früh
Höheres handle als um ein Luxusvergnügen der
vergiftete Jugend, die wehvoll emporsteigt, ihre
Reichen. Neben Richard Wagner, der die ger¬
betrogene Liebe zu dem Freund, der sie aus
manische Götterwelt auf unserer modernen Bühne
der Fron einer häßlichen Ehe befreit, ihr bren¬
hat wiedererstehen lassen, brauchen wir einen
nender Durst nach dem schnellen Genuß des
schöpferischen Geist, einen Klopstock des Dramas,
flüchtigen Daseins, ihr Wählen nach dem Zuge
der mit heiligem Ernste und mit feierlicher Würde,
des Herzens auch im freien Liebegewähren, ihr
wie sich's geziemt, „der Andigen Menschen Er¬
haßerfülltes Sichversagen allen Römern, den
lösung, die der Messias auf Erden in seiner
Feinden ihres Volkes, gegenüber — das alles
Menschheit vollendet“, zur künstlerisch=religiösen
gibt ihrem reizvollen Bilde jene scharf ausge¬
Erhebung aller lauschenden Herzen dramatisch ge¬
prägte, fein profilierte Silhonette, die den Ken¬
stalte.
ner an Heyses Novellen so entzückt. Zu dem
Diese Worte richten sich gegen die kunstfeind¬
düsteren Judas Ischariot, dem „Unhold mit
liche Institution der Zensur im allgemeinen,
den gespenstigen Augen“ hat es sie gezogen,
nicht zum Ruhm und Preise der Heyseschen
weil sie „der glatten, lächelnden Larven satt
„Maria von Magdala“ sind sie gesprochen.
war, der Stutzer, deren Scheitel nach Salben
Diese soll und darf hier nur mit rein künst¬
duften, und darunter ist's leer und dunkel wie
lerischen Maßstäben gemessen werden, und da
in einer tauben Nuß“; den hohen Geist in ihm
werden wir von vornherein erklären müssen: der
hat sie bewundert, der voll Haß ist gegen die
gewaltige Sturm, der sich um dies Werk erhoben
Unterdrücker Istaels — hat doch auch ihr nur
hat — der maßvoll schönen Seele des Dichters
die Tücke der Menschen das Herz verhärtet. Da
wird er so wenig behaglich gewesen sein wie
kommt ein Tag, wo sie erfährt, daß auch sein
uns —, steht zu seinem künstlerischen Wert in
wilder Trotz sich vor einem Mächtigeren beugt.
falschem Verhältnis. Zwar muß der törichte
Aber dessen innerstes Wesen hat sein rachedur¬
Vorwurf des Zensors, das Werk stelle sich als
stendes Herz nicht erkannt. Er erwartet sich
„ein Angriff auf die Religion“ dar, mit allem
den rächenden Messias in ihm, der die Gewalt
Nachdruck zurückgewiesen werden, aber nach der
der Mächtigen zerstören und Israel aus dem
kühnen Genialität oder monumentalen Größe,
Joch der Römer befreien werde; statt dessen fin¬
nach der gottergriffenen Eckstase, die wir für
det er einen Sanftmütigen, der nicht gekommen
einen in die Leidensgeschichte Christi hinüber¬
ist aufzulösen, der da spricht: „Gebet dem Kai¬
greifenden Stoff verlangen müssen, suchen wir
ser, was des Kaisers ist.“ Er wendet sich ent¬
vergebens. Auch Heyse hat sich, wie Wilbrandt
täuscht mehr und mehr von ihm, und als er
im Sokrates=Drama, mehr von dem Genrehaften,
erleben muß, daß Marias friedesuchende Seele
von dem novellistischen Rankenwerk und der
sich dem Sanften zu Füßen schmiegt, als er der
salonmäßigen Verbrämung des welthistorischen
verhaßten Römer Triumphhohn hört, in diesem
Stoffes reizen und fesseln lassen, als daß er in
Friedfertigen sei ihnen ein wertvoller Helfer er¬
seinen lebendigen Kern und seine ewige Seele
standen, da schleicht er zum Hohenpriester und
gedrungen wäre. Doch herrscht zwischen seinem
verrät, den auch er einst liebte. Maria versteht
Unternehmen und dem Wilbrandts ein grund¬
des Herrn Art und Sinn besser. Die, ihn durch
legender Unterschied. Bei Wilbrandt ist Timan¬
ihre Schönheit zu versuchen, in das Gärtchen
dra nur scheinbar, Sokrates tatsächlich der Gegen¬
des Simon ging, kehrt, durch sein verzeihendes
stand, um den die Handlung kreist; bei Heyse
Wort vor den Steinwürfen der empörten Menge
bleibt die Erscheinung Christi gänzlich im Hinter¬
geschützt, als eine Bekehrte und Verwandelte
grunde, um sich nur in dem Geschick der wirk¬
heim: die Sünde sinkt von ihr, hinfort lebt sie
lichen und einzigen dramatischen Heldin, eben
nur im Dienste des Herrn, der sein reines
der Maria Magdalena, zu spiegeln. Man hat
Auge milde auf ihr ruhen ließ. Auf die Wieder¬
sich darüber entrüstet, daß er den Erlösertod des
geburt ihrer Seele wird die schwerste Probe ge¬
Herrn abhängig gemacht habe von den Ent¬
macht, die es für sie geben kann: Aulus Fla¬
schließungen einer feilen Buhlerin — das ist
vius, des Landpflegers Nesse, verheißt ihr den
ein Kompliment vor dem Dichter, das er sich
Eingekerkerten zu befreien, wenn sie sich ihm
leider, muß man sagen, wenn man allein
hingibt. Sie kämpft — in der innerlich wie
auf das Künstlerische blickt — nicht verdient hat.
äußerlich bewegtesten Seene des Dramas —
Auch nicht einen Augenblick rührt uns in seinem
einen schweren Kampf; aber die neue Maria in
Drama die lähmende Furcht an, dieser Maria
ihr behält den Sieg: ihre von Jesu gereinigte,
Magdalena Ja oder Nein könnte auf den er¬
ihm geweihte Seele darf nie wieder befleckt
habenen Schicksalsgang Christi irgend welchen
werden. Sie weist den Römer ab — Christus
Einfluß ausüben. Das ist eine Entschuldigung
des Dichters, aber mehr noch eine Schwäche bleibt in seinen Banden, stirbt den Kreuzestod ...
seines Werkes. Wir fühlen, daß wir es mit In ihre Hände — so stellt es der Dichter dar



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