II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 458

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as zwischen Kundigen ausgetauscht
Naturells, das sich ins Ungemeine erhebt, indem es vorbildlich
zugleich satte und hohle Selbstgewißheit der nittleren Periode
sen Erscheinungen unseres gesellschaft¬
oder unmittelbar etwas Großes für viele vollbringt. Die aus¬
tritt wieder zurück gegen das höhere Verlangen, den Durst
Lebens gegenübe stehen, ein Ausdruck,
erlesene Natur war es, die ihnen vorschwebte, und in der Aus¬
nach Vergeistigung und das leidenschaftliche Herandrängen an
ute und der doch zum charakteristischen
lese liegt schon das Moment der emporsteigenden Entwicklung.
die Rätsel des Lebenis; all das mag sich in seiner Weltver¬
de geworden ist. Daß sich zunächst eine
Der dumpfe Naturstand aber, dem sich heute die kultur¬
achtung und Will usverneinung, im Fanatismus für das
Schriftsteller — mit jener in der Ge¬
müde Dichtung zuwendet, trägt keinen solchen Entwick¬
Unbewußte und der Unterschätzung aller Kulturwerte noch so
enden Selbstpreisgebung, die einen
lungskern in sich. Es ist kein Zurückdrängen in einen neuen
absurd geberden — es ist doch wieder Opfermut, Resignation,
reift, um ihn in ein stolzes Bekenntnis
Anfang, sondera eine Neigung zum Ursprünglichen, das zu¬
Abwendung von der selbstzufriedenen Gemeinheit darin, ein
amen der Dekadenten beilegie, ist dabei
gleich Anfang und Ende ist, eine trotzig resignierte Vorliebe für
Zug, der bei aller scheinbaren Verfallenheit wieder in die
Das Merkwürdige ist, daß man sich
alles, was im Triebe keimt und untergeht, was unbewußt dem
Höhe weist.
e getroffen fühlte und mit einem Male
Falle entgegentaumelt. Es ist wiederum ein Faustischer
Das Theater ist diejenige Seite des Kunstlebens, die mit
stand längst vorhanden war, ehe das
Drang, der an den Kern des Seins vordringen möchte, aber
geprägt wurde.
der Öffentlichkeit die stärkste Berührung hat; was von seiner
ein flügellahmer, der vorgibt, mit der Welt fertig zu sein und
mit einer bedeutenden Anzahl physischer
Bildfläche aus am tiefsten auf die jungen Geister einwirkt, ist
darum nicht mehr durch die Welt hindurch stürmt, dem die
en neue Krankheiten, die wirklich neu
immer charakteristisch für das vorwaltende Bedürfnis der Ge¬
Träume von Liebesglück, politischer Herrschsucht und antiker
sie mit früher unbekannten Bedingun¬
müter. Die drei Stücke nun, die in der eben beendeten Spiel¬
Schönheit längst erledigt scheinen und dem nichts ferner liegen
zusammenhängen. Aber wir haben auch
zeit am meisten verwandte Empfindungen auslösten und in denen
kann, als der Weisheit letzter Schluß Freiheit und Leben täg¬
waren, ohne in ihrer Spezialität er¬
die Poesiefreudigkeit die ausgiebigste Befriedigung fand, tragen
lich zu erobern und sie dadurch zu genießen. Es ist ein
. Man gab ihnen erst einen Namen,
alle das Zeichen der Dekadenze an der Stirn. Diese drei
Drang, sich in das Unbewußte einzuwühlen, aus dem wir
es Wesen entdeckte und sie umgrenzen
Dramen, die ich meine — das „Nachtasyl“ von Gorki
doch nur emporsteigen, um darin unterzutauchen, uns in Bil¬
inte. Das gilt vollauf vom geistigen
„Der Schleier der Beatrice" von Schnitzler und
ze; das Wort würde nicht so lebhaft dern anschaulich zu machen, daß wir mit dem Leben fertig
„Pelleas und Melisande“ von Maeterlinck — sind
und ernsthaft angewendet, wenn uns# sind, uns ironisch an unser Mottenschicksal, das hinter allen
in Herkunft, Stil und äußeren Motiven so verschieden wie nur
es bezeichnen soll, nicht längst vertraut Bestrebungen geborgen liegt, zu ergötzen und die letzte Illusion
denkbar. Da malt ein Russe nach den Originalen und mit
daraus herauszuschlagen, daß wir „uns keine Illusionen
den pastosen Farben seines Volkes, in einer äußerlich losen
machen“.
Wort übersetzen? Nicht leicht. Das
Episoenfolge, die sich erst im nachdenklichen Geiste zum Gan¬
Diese Art der Dekadenze beherrscht selbstverständlich nur
ite aller Sprachreinigung, daß sich mit
zen verbindet, das Elend einer menschenerfüllten Spelunke
einen Teil der Literatur. Einem großen Teile der Schaf¬
s entsteht und zur Zeit, da es sich ein¬
aus, dort führt uns ein Wiener Poet in den unheimlich ge¬
fenden, und gerade jenem, der dem Volke in seiner breiten Ent¬
Komplex von Merkmalen verbindet,
steigerten Lebensdrang der italienischen Renaissancewelt ein,
faltung nahesteht, ist sie ebenso fremd geblieben, wie Millio¬
vergeblich an sich heranzuziehen sucht.
in der sich Fürst und Volk, den Tod vor Augen, zu Tode
erabkommen“, „entartet“
nen von Genießenden. Dennoch will sie scharf ins Auge ge¬
schwelgen, und kann sich in der überfeinen Verbindung der
ung vom Dekadenten, die uns so rasch
faßt sein: sie zieht magnetisch bedeutende Talente an sich und
Motive nicht genug tun, und in dem dritten Drama lockt uns
ll diesen Zuständen denken wir an eine
sie übt einen außerordentlichen Reiz auf die Jugend, die in
der Halbfranzose Maeterlinck, der sich seinen eigenen Stil ge¬
g. die den Individuen oder Gattungen
ihren Wallungen zu Extremen geneigt ist und der man eher
schaffen, in eine Balladenwelt, in der sich die Motive von allen
ihnen nicht gewollt war und die trotz¬
beikommt, wenn man alles bejaht oder alles verneint, als
realen Voraussetzungen ablösen und die in fragmentarischen
Vernachlässigung oder Zuchtlosigkeit
wenn man ihr das Glück einer Bescheidung in gegebenen Gren¬
Bildern uns die Tragik einer naiven Leidenschaft vorführt.
immt aber nicht für das Dekadente in
zen vor die Sinne rückt. Der Mut der Bejahung ist selt ge¬
Durch diese grundverschiedenen Stücke geht doch ein ein¬
Leben. Das ist vielmehr ein bewußtes
worden, der der Verneinung reißt die Gemüter an sich. Mit
heitlicher Zug, die Versinnlichung eines triebhaften Taumels,
en, die uns aufrecht zu halten scheinen,
allem fertig zu sein, ist auch eine Art von Vollendung.
der ganz von selbst, ohne moralischen Kampf, in die Tiefe
iht auf alle Zuversicht, auf alles Fort= Nächst dem Stolze, alles im Leben zu erreichen, gibt es für
führt, der unverkennbare Zug der Dekadenze. Der stärkste
berlieferung, eine Müdigkeit, die mehr die Wallung des Ungeprüften nur den anderen, nichts

Moment im „Nachtasyl“ ist jener, in dem der „Baron“
er Kraftlosigkeit, mehr der Unbefriedi¬
mehr am Leben zufinden. Es ist der Fiesko=Stolz,
der Herabgekommenste aller Herabgekommenen — davon er¬
keit entspringt. Die Wurzel des Wortes
eine Krone wegzuwerfen und dazu ein Rausch der Resignation,
zählt, wie er zum Verschwender, zum Fälscher, zum Sträf“
, aber, wie wir es gebrauchen, denken
der für den Abgrund schwärmt, in dem alles versinkt, der den
ling und Vagabunden geworden und jede dieser Phasen mil
prung. Der Dekadente unseres geistigen
letzten Reiz in dem Dunkel findet, das alles in sich schlingt.
dem Refrain: „Warum? — Keine Ahnung“ beglei¬
den Abgrund hinab, weil er, schwächer
Es hat keinen Wert und auch keinen guten Grund, mit
tet. Und dieses „Keine Ahnung“ schwebt auch über
Schwindel erfaßt wird und sich nicht
pedantischer Entrüstung an die Dichtung, die aus solcher Stim¬
den Haupicharakteren der beiden anderen Dichtungen. Die
n kann, nein — er fühlt sich zum Ab¬
mung herauswächst, heranzutreten. Keinen Wert, weil einer
heißblütige Beatrice flattert in der schwülen Todesnacht von
eil das Geheimnis da unten ihm reiz¬
Empfindung, die sich an der Entwertung des Lebens ergötzt,
Treue zu Untreue, vom Liebeswahnsinn zum Herrschafts¬
sichere Oberfläche des Lebens, die ihm
mit Argumenten nicht beizukommen ist, keinen guten Grund,
traume, eine schillernde Libelle, die sich die Flügel verbrennt,
rscheint.
weil kein Zug der Gemeinheit in dieser Richtung liegt. Die
alles an ihr ist Trieb und ihr Dasein ihre ganze Schuld.
h mich so ausdrücken darf, eine aktive
Ekstase der Resignation ist dem Idealismus verwandter, als
it der passiven, die von der Gesellschaft
Melisande, reiner, poetischer, duftiger, wird im Traume Gat¬
der kühle Respekt vor dem Gegebenen. Das hergebrachte Nüch¬
tin, selbstvergessene Geliebte, sterbende Mutter — ohne Ah¬
rd, leidenschaftlich beschäftigt, aber mit
terne, das Konventionelle ist der lebendige Tod, die Form ohne
werden darf. Mit einer Art Kultur¬
nung von Schuld und Schicksalsverkettung fühlt sie ihr
Leben. Die Vorliebe für die Dekadenze sieht wie Todessehn¬
Denken und Dichten den gewonnenen
Blumendasein erlöschen. In allen drei Stücken die Tragik des
sucht aus und kann doch nur ein Rückschlag zum Lebensrausche
rdnung, in die man sich äußerlich wohl
Unbewußten, des Taumels, des Traumes, die uns die dunklen
werden.
nuß, zu entkommen. Diese Flucht als
Mächte des Lebens, das willenlose Hinabgleiten versinnlichen
Ja, noch mehr, in dieser Flucht zum Unheimlichen,
aber der Weg der Flüchtlinge ist ein
will. Aber merkwürdigerweise zeigen alle Nachtstücke der
Dunkeln, Sphinxartigen des Lebens, in dieser exaltierten
nicht auf die Höhe, von der man über
poetischen Dekadenze im Hintergrunde einen leichten Schim¬
Hingabe an das Verfallene und Verfallende liegt ein neuer
Leidenschaften hinwegblickt, sondern in
mer von Frührot. Maeterlinck, der geheimnisvollste von allen,
Zug der Schwärmerei, die sich auf Umwegen dem Idealismus
nstinkte zwanglos herrschen. Die über¬
bei dem man sich an einzelne Worte und Symbole klammern
aufs neue nähert und von der sich zu dem edlen Optimismus,
s durchaus nicht herrlich weit gebracht
muß, läßt aus Tod und Vernichtung, die die Roheit und die
der durch die Jahrhunderte hindurch auf den Höhen der
das angeblich Große, das wir aus dem
zu Tode gequälte Reinheit als Opfer fordern, das zum Leben
Menschheit waltet, eher eine Brücke schlagen läßt, als von den
äldeten, uns weder weiser noch glücklicher
erwachende Kind in die Hut der milden Weisheit hinüber¬
Niederungen der Ernüchterung. In Philosophie, Politik und
nicht diese Bildung zu überbieten, son¬
retten. Im Beatricendrama erwacht zuletzt der mächtige
Poesie haben die jungen schwanken Geister, die das Erbteil
fang zurückzukehren und alles gleichsam
Schwelger, der durch die Wollust in den Tod hineintaumeln
vergangener Tage zu drücken begann, im letzten Menschenalter
zudrängen, aus der vielleicht ein Neues
wollte, zum Bewußtsein einer Lebensauffassung, die sich
unverkennbar drei Phasen der Entwicklung durchgemacht, die
eimt. Darum spricht man von Rückbil¬
über den traumhaften Wechsel der sinnlichen Eindrücke erhebt.
man an den nachwachsenden Generationen deutlich verfolgen
benze. Die Wurzel aber ist das Unbe¬
Durch das „Nachtasyl“ geht ein unbewußter Seher hindurch;
konnte. Noch gegen 1870 hatte der ehrlich überzeugte Libe¬
s naturnotwendige Wollen, in dem man
ein halb priesterlicher, halb verkommener Mensch, der von den
ralismus, zugleich mit der Begeisterung für die klassische Lite¬
sung von allem Herkommen und aller
Schwächen der übrigen nicht frei ist und dem es doch etwas
ratur und jenen philosophischen Idealismus, den uns Kant
und worin man mehr Wahrheit ersehen
Selbstverständliches, ein Bedürfnis der Natur ist, zu helfen,
hinterlassen, die Oberhand. Bald darauf folgte der skrupel¬
hsam erworbenen Wissenschaft. In einem
zu trösten und den Menschenwert hochzustellen. Dieser Mann
lose Kraftkultus in der Politik, der selbstzufriedene Mate¬
endasein soll mehr Offenbarung des Le¬
weckt alle anderen zu einer Art Halbbewußtsein auf, das sie
rialismus in der Philosophie und der einseitige Realismus in
ken, als in aller Weisheit des Sokrates,
mus des Kindes uns mehr bedeuten als
der Literatur. Und dann wieder ein Umschwung, der sich an
nicht mehr erretten kann, aber doch eine Ahnung der Men¬
verkündete Heroismus eines Helden.
der Grenzscheide des Jahrhunderts vollzoa: nach der politi= schenwürde in ihnen aufsteigen läßt.