II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 464

14: Der Schleier der Beatrice
wieren.
Drama in 5 Akten von
hnitzler.
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hönheiten die Bühnen=Produktion der letzten
Jahre — wenn man von Ibsen und Haupt¬
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mann absieht — glatt überbietet. Da, seit dem Monna
Banna=Erfolg und dem Triumph des „armen Heinrich“ in
Berlin Renaissance und Mittelgter auf der Bühne Trumpf
sind, so konnte Otto Brahm jetzt, zwei Jahre nach dem Ent¬
stehen des Stückes, ohne Furcht den Kühneren spielen. Der
kluge Rechenmeister also wagte nun die Aufführung, freilich,
weniger an seinen Dichter, als an sich selbst denkend. Er
hätte sich sonst sagen müssen, daß seiner Künstlerschaar
zur Verkörperlichung dieses in Schönheit sterbeuden Bühnen¬
poëms fast alles fehlt: er hätte sonst mehr aus Eigenem
geben können: im reicheren Bühnenbild, in verschwenderischer
Ausstattung. In Wahrheit aber wäre hier beim gänzlichen
Fehlen aller driugendsten Mittel im Verzicht auf die Vor¬
führung des Stückes entschieden die größere That zu suchen
gewesen.
Die Modeströmung der zeitgenössischen Bühne, in die von
Leidenschaften aufgewühlte und wiederum von edler, echter
Kunstempfindung gebändigte Sinnenflut der Renaissance zu
tauchen. brachte bisher nicht vielen Poeten glücklichen Aus¬
gang. Halbes „Eroberer“ war ein ganz unseliges Experiment.
Hofmannsthal scheiterte bei ähnlichem Versuche, weil er der
Bühne zu wenig Konzessionen machen wollte Maeterlinck,
wenn man seine früheren Schöpfungen nicht in Betracht
zieht, weil er in der „Monna Vanna“ dem Theater zu nach¬
giebig ward. Schnitzler, der zarte Bedichter Neu=Wiens, ist
aller förmlichen und inhaltlichen Schwierigkeiten seines Miliens
spielend Herr geworden. Er faßt die hypersensibeln Artisten
des Cinquecento, denen ein Trann, eine Befleckung scheinen
mag, denen das neugewonnene Leib ihrer Liebe größeres
giebt. als die Freundschaft des Fürsten, und die ihr Leben
mit einem Ruck abthun, wenn die ekle Erkenntnis vom Un¬
wert der Geliebten die weiße Fläche ihrer schneereinen Psyche
mit unreinen Händen antastet. Und er faßt auch die über¬
großen Kontrastfiguren zu den künstlerisch übersatten „Nerven¬
naturen: jene „Herrenmenschen" und Herrschercharaktere, die
über der Welt stehen, heute als Könige königlich, drum
morgen Bettler sind: denen der Poct die wertvollste Stütze des
Regierenden scheint, und denen auch das schlichte Müdchen
aus dem Volk der Fürstenkrone würdig ist, wenn die Reize
der Frauenschöne sie umblühen. Dazwischen die gesteigerten,
orgiastisch sich aufbäumenden Leidenschaften innerhalb einer
vom Feinde belagerten Stadt, angesichts des sicheren Todes:
dazwischen unsichtbar schemenhaft das graue Mordgespenst
der Borgia: Folter und blutiger Dolch. In allem; es ist
nicht möglich, jene Zeit besser zu treffen.
In die aufs Höchste gesteigerte, ans Ekstatische
grenzende Empfindungswelt der Renaissancemenschen Schnitzlers
wird der krasse Materialist von hentzutage also kaum Ein¬1
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gang finden. Noch weniger in Beatrices Seeleninterieur.
Wie denn? Beatrice, das Kind, die uneheliche Tochter eines
durch die kupplerischen Triebe seines Weibes närrisch ge¬
wordenen Handwerkers, liebt den Dichter Filippo Loschi, der
ihre Neigung erwidert, sie aber von sich weist, als
ihre Begeanung mit dem regierenden Herzog von
Bologna Spuren in ihrer Seele zurückläßt, die s
einem Traume ausbauen. Dann freit sie den Herzog,
der sie erst einer flüchtigen Herrscherlaune weihen
will, später aber, da der sichere Tod durch Borgias Faust
vor ihm liegt, sie zu seiner Gattin macht. Sie freit ihn,
läuft in der Hochzeitsnacht abermals zu ihrem Poeten, um
jetzt mit ihm zu sterben, wird aber angesichts des Gift¬
bechers von so unbezwinglicher Lebenssehnsucht befallen, daß
sie über die Leiche des heiß Geliebten hinweg wieder
in die Arme ihres fürstlichen Herrn flieht. Abermals
von Todesfurcht bezwungen, führt sie auch den an die
Leiche des Poeten, und wird endlich das Opfer eines prosaischen
Dolchstoßes, den ihr Bruder führt, der „Rächer seiner¬
Ehre.“ Aber aus all diesen scheinbaren Wirrnissen ist dennoch
deutlich die Linie dieses Charakters zu ersehen: das schöne
Kind, dessen einzige Kraft seine schmeichlerische, süße Aeußer¬
lichkeit ist. Darum, nur darum möchten die Männer, gro߬
geistige, empfindsame Naturen, denen sie begegnet, sie unt zu
ihrer Höhe emportragen. Aber, sie hält nicht Stand. Ihre
einzigen Fähigkeiten sind die ihr natürlich angehorenen Leebes¬
instinkte. Weiter kam sie nicht mit —, oder nur für Augen¬
blicke. Und wenn sie sich für Momente müht, der hauchzarten
Sensibilität des männlichen Partners zu entsprea *
wenn sie sich müht, eigene Wünsche zu bezwing.
höheren, den Augenblick vergessenden Zielen nach¬
zueilen — die rauhe Hand des Lebens, vor allem des
Lebeus das sie lebt reißt sie zurück. So, nichts
Böses wollend, wirkt sie Böses bei all den Männern, die
mehr von diesem süßen Geschöpfe verlangen, als ihren¬
holden Leib. Nux, wer über sie fortschreitet, wie über ein
Spielzeug, wird ihrem Werte genügen.
Schnitzlers Form entspricht ganz dem Vollverte des In¬
halts. Und es müßte eine Freude sein, diese leicht dahin¬
gleitenden Verse von berufenen Sprechern zu hören. Diese
duftigen, wie Gazeschleier zarten Stimmungen aus den
nervösen Sentiments groß angelegter Schauspielernaturen
heraus entstehen zu sehen. Bei Otto Brahm freilich ist Poesie
nicht zu finden: oder höchstens bei Otto Sommerstorff.
Die Gegenwartsspieler Rudolf Rittner, Albert
Bassermann schrieen ihre Jamben mit Berserkergewalt
herunter; Rittner besonders wurde ür die Partie des Dichters
Loschi geradezu tödlich. Die Triesch (Beatrice) hatte
Augenblicke von erschütternder Stärke, doch war sie mehr
reifes Weib, als zage tastendes Kind. Dagegen bezwang
zum größeren
— die des Herzogs
Kayßler seine Rolle
Teile. Freilich, der geniale Zug (denkt an Matkowskyl)
fehlte auch hier.
Und das Ergebnis? Es wurde erheblich mehr gezischt,
als geklatscht. Der Zauber verflog: das nüchterne Bähnen¬
bild erkältete. Dennoch durfte Schnitzler sich nach jedem
Akte einige Male vor dem ahnungslosen Publikum neigen.
Ein kläglicher Trost freilich, wenn man den höchsten Zielen
der Kunst zustrebt und sie mit Sicherheit fast erreicht in
haben glandt.