13. Haus Delorne
box 19/4
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN O. 27, BLUMEN-STRASSE 80-91.
Zeitung: Breslauer Morgenzeitung
Adverse: Breslau.
2 6. 10 N. 19008
da Datum:
Schnitzler über sein verbotenes Stück. Ueber den Einakter „Hau
„Delorme“, der in Berlin nicht rechtzeitig zur Aufführung freigegebei,
wurde, hat sich Arthur Schnitzler einem Ausfrager gegenüber in
folgender Weise geäußert: „Mein Einakter „Haus Delorme“ gehört zu
einem geplanten Zyklus von Familienszenen, die in verschiedenen Ge¬
sellschaftsklassen spielen. Ich nenne diese Szenen Burlesken und deute
damit die Tonart an, in der sie gehalten sind. Ich las den Einakter im
vorigen Sommer einem intinen Kreise vor, wo er die von mir beab¬
sichtigte Wirkung übte: er weckte lebhafte Heiterkeit. Daß er anstößig
sei oder den Schauspielerstand verunglimpfe, diese Empfindung hatte
niemand. Als ich vorige Woche nach Berlin kam, waren die Proben
bereits in bestem Gange. Ich machte nicht die geringste Wahrnehmung,
daß unter den Darstellern eine Animosität gegen „Haus Delorme“
herrsche; ich hörte auch keine Andeutung, daß der Schausvielerstand
durch diesen Einakter entwürdigt werde. Die Aufführung konnte bloß
aus dem Grunde nicht stattfinden, weil die Zensurbehörde erklärte, daß
ssie noch keine endgiltige Entscheidung gefaßt habe. Um¬
so größer war meine Ueberraschung, als ich in Berliner Zeitungen las,
daß die Darsteller des „Kleinen Theaters“ über das Stück, darin sie eine
Degradierung ihres Standes erblicken, in peinliche Aufregung versetzt
worden seien. Dieses Gerücht entsprang offenbar aus Mitteilungen
einiger Schauspieler und der Fall wäre bedeutungslos, wenn hierbei nicht
eine Erscheinung zu Tage getreten wäre, gegen die ich protestieren mäß
Einige Zeitungen haben den angeblichen Inhalt meines Stückes erzähl
Es ist wohl das erste Mal, daß auf Grund eines Coulissenklatsches di
Fabel eines Bühnenwerkes, und dazu in entstellter Weise, wiedergegebe;
wurde, ehe es der Autor der Oeffentlichkeit unterbreitet hat. Aber man#
ist noch weiter gegangen. Auf Grund dieser entstellten Inhaltsangal¬
des Einakters hat man (wer? D. Red.) über mich das kritische Rich¬
schwert geschwungen. Man hat mich beurteilt und verurteilt. Gege¬
diesen Vorgang muß ich Verwahrung einlegen. Schließlich möchte in
nochmals betonen, daß ein Verbot des Einakters bis jetzt nicht erfolat ist.
Alex. Weigls Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitto
„UBSERVER“
L.österr. behördl. konz. Burcau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-Vork,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
.5 1. 1904
vom:
Neue Frei8 Presse, Wien
Arthur Schnitzlers „Haus Delorme“.
Wien, 24. November.
Arthur Schnitzler ist heute ans Berlin zurückgekehrt,
wo er der Première seiner Stücke „Der tapfere Kassian" und
„Der grüne Kakadu“ beigewohnt hat. Der dritte zur Auf¬
führung geplante Einakter „Haus Delorme“ wurde bekanntlich
vor der Generalprobe von der Zensur verboten. Ein Ber¬
tiner Blatt erzählte den Inhalt des Stückes und brachte die
Mitteilung, daß sich bei der Regie und den mitwirkenden
Künstlern von allem Anfang eine Mißstimmung gegen „Haus
Delorme“ wegen einer darin enthaltenen angeblichen Verun¬
glimpfung des Schauspielerstandes geltend gemacht habe. Ueber
diese Angelegenheit äußert sich Arthur Schnitzler einem
unserer Mitarbeiter gegenüber folgendermaßen:
„Das Wesentlichste an der ganzen Angelegenheit ist
meiner Ansicht nach, daß sich hier ein bisher noch nicht er¬
hörter Vorgang abgespielt hat: Es wurde nicht nur der an¬
gebliche Inhalt eines Stückes vor dessen Aufführung oder
vor dessen Veröffentlichung in Buchform erzählt, nein, dieser
angebliche Inhalt wurde von irgend einem Unberufenen, dem
er offenbar nur vom Hörensagen bekannt sein konnte, in
entstellter Weise veröffentlicht (die Personen sind falsch auf¬
gezählt, der Inhalt unrichtig wiedergegeben, das einzige Zitat
falsch), und als wäre es noch nicht genug: auf Grund dieser
unrichtigen Nacherzählung des Inhaltes eines vom Autor der
Oeffentlichkeit noch nicht übergebenen Stückes durch jemanden,
der das Stück selbst erwiesenermaßen nicht
kannte — und offenbar von diesem Unberufenen selbst¬
ein Urteil über dieses Stück abgegeben, gedruckt, weiter¬
verbreitet. Selbst wenn jedes Wort der Nacherzählung richtig
und das Urteil zutrefsend wäre, müßte ich auf das ent¬
schiedenste viestieren gegen den Eingriff in das bisher
strenge ge ahrte Autorenrecht, daß über geistige Produkte erst
dann eine öffentliche Aeußerung erlaubt ist, wenn sie in einer
vom Autor gutgeheißenen Form und mit seinem Willen der
Oeffentlichkeit übergeben worden sind. Dieser Fall liegt be¬
sonders kraß, denn es ist meines Wissens bisher noch nicht
dagewesen, daß nicht nur Inhaltsangaben auf Grund von
Coulissenklatsch erzählt, sondern daß auch Urteile über
Theaterstücke auf solcher Basis vor der Aufführung der
Oeffentlichkeit mitgeteilt werden.
„Haus Delosme“ ist ein Stück aus einer geplanten Reihe
von Familienburlesken, von denen eines in Arbeiter=, eines
in Bürger=, eines in Komödianten=, eines in aristokratischen
und eines in noch höheren Kreisen spielt. Zwei davon sind
erst beendet.
Ueber den angeblichen Streik der Schauspieler wird sich
„Direktor Reinhard zu äußern haben. Mir ist von einem
Streik nichts bekannt geworden. Das Gerücht hievon ist
zmöglicherweise dadurch entstanden, daß ich noch in Berlin
zwährend der Proben Aenderungen einiger Stellen vornahm,
was ich und wohl die meisten Antoren beinahe immer —
hoft auch nach der Aufführung eines Stückes tun. Zum Bei¬
spiel habe ich im „Freiwild“ erst im vorigen Jahre eine
Szene vollkommen umgestaltet. Uebrigens ist mir ein Fall
aus einer österreichischen Provinzstadt erinnerlich, wo die
Schauspieler gegen die Aufführung von „Freiwild“ protestier.
haben — weil angeblich darin der Schauspielerstand beleidigt
wurde. Ebenso wurde behauptet, daß ich in „Freiwild" und
„Lientenant Gustl“ die gesamte Armee, in „Literatur“ sowohl
die Aristokraten als die Dichter verletzt habe. Einmal kam
mir sogar eine Notiz unter die Augen, wo irgend wer gegen
die „Masken“ im Namen der Journalisten protestieren zu
müssen glaubte. Aus solchen Aeußerungen und Meinungen
spricht meiner Ansicht nach meistens Heuchelei und etwas
seltener ein einfältiges Mißverstehen des Solidaritäts¬
begriffes. Die Besten innerhalb eines Standes sind stets die¬
jenigen, welche sich über dessen Vorurteile und Fehler er¬
heben, nicht diejenigen, die den Inbegriff dieser Vorurteile
und Fehler am reinsten repräsentieren. Von den ersteren sind
gewiß noch nie Versuche gemacht worden, den Schriftsteller
in der Ausgestaltung seiner Stoffe und künstlerischen Befähi¬
gung irgendwie beschränken zu wollen.“
box 19/4
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN O. 27, BLUMEN-STRASSE 80-91.
Zeitung: Breslauer Morgenzeitung
Adverse: Breslau.
2 6. 10 N. 19008
da Datum:
Schnitzler über sein verbotenes Stück. Ueber den Einakter „Hau
„Delorme“, der in Berlin nicht rechtzeitig zur Aufführung freigegebei,
wurde, hat sich Arthur Schnitzler einem Ausfrager gegenüber in
folgender Weise geäußert: „Mein Einakter „Haus Delorme“ gehört zu
einem geplanten Zyklus von Familienszenen, die in verschiedenen Ge¬
sellschaftsklassen spielen. Ich nenne diese Szenen Burlesken und deute
damit die Tonart an, in der sie gehalten sind. Ich las den Einakter im
vorigen Sommer einem intinen Kreise vor, wo er die von mir beab¬
sichtigte Wirkung übte: er weckte lebhafte Heiterkeit. Daß er anstößig
sei oder den Schauspielerstand verunglimpfe, diese Empfindung hatte
niemand. Als ich vorige Woche nach Berlin kam, waren die Proben
bereits in bestem Gange. Ich machte nicht die geringste Wahrnehmung,
daß unter den Darstellern eine Animosität gegen „Haus Delorme“
herrsche; ich hörte auch keine Andeutung, daß der Schausvielerstand
durch diesen Einakter entwürdigt werde. Die Aufführung konnte bloß
aus dem Grunde nicht stattfinden, weil die Zensurbehörde erklärte, daß
ssie noch keine endgiltige Entscheidung gefaßt habe. Um¬
so größer war meine Ueberraschung, als ich in Berliner Zeitungen las,
daß die Darsteller des „Kleinen Theaters“ über das Stück, darin sie eine
Degradierung ihres Standes erblicken, in peinliche Aufregung versetzt
worden seien. Dieses Gerücht entsprang offenbar aus Mitteilungen
einiger Schauspieler und der Fall wäre bedeutungslos, wenn hierbei nicht
eine Erscheinung zu Tage getreten wäre, gegen die ich protestieren mäß
Einige Zeitungen haben den angeblichen Inhalt meines Stückes erzähl
Es ist wohl das erste Mal, daß auf Grund eines Coulissenklatsches di
Fabel eines Bühnenwerkes, und dazu in entstellter Weise, wiedergegebe;
wurde, ehe es der Autor der Oeffentlichkeit unterbreitet hat. Aber man#
ist noch weiter gegangen. Auf Grund dieser entstellten Inhaltsangal¬
des Einakters hat man (wer? D. Red.) über mich das kritische Rich¬
schwert geschwungen. Man hat mich beurteilt und verurteilt. Gege¬
diesen Vorgang muß ich Verwahrung einlegen. Schließlich möchte in
nochmals betonen, daß ein Verbot des Einakters bis jetzt nicht erfolat ist.
Alex. Weigls Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitto
„UBSERVER“
L.österr. behördl. konz. Burcau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-Vork,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
.5 1. 1904
vom:
Neue Frei8 Presse, Wien
Arthur Schnitzlers „Haus Delorme“.
Wien, 24. November.
Arthur Schnitzler ist heute ans Berlin zurückgekehrt,
wo er der Première seiner Stücke „Der tapfere Kassian" und
„Der grüne Kakadu“ beigewohnt hat. Der dritte zur Auf¬
führung geplante Einakter „Haus Delorme“ wurde bekanntlich
vor der Generalprobe von der Zensur verboten. Ein Ber¬
tiner Blatt erzählte den Inhalt des Stückes und brachte die
Mitteilung, daß sich bei der Regie und den mitwirkenden
Künstlern von allem Anfang eine Mißstimmung gegen „Haus
Delorme“ wegen einer darin enthaltenen angeblichen Verun¬
glimpfung des Schauspielerstandes geltend gemacht habe. Ueber
diese Angelegenheit äußert sich Arthur Schnitzler einem
unserer Mitarbeiter gegenüber folgendermaßen:
„Das Wesentlichste an der ganzen Angelegenheit ist
meiner Ansicht nach, daß sich hier ein bisher noch nicht er¬
hörter Vorgang abgespielt hat: Es wurde nicht nur der an¬
gebliche Inhalt eines Stückes vor dessen Aufführung oder
vor dessen Veröffentlichung in Buchform erzählt, nein, dieser
angebliche Inhalt wurde von irgend einem Unberufenen, dem
er offenbar nur vom Hörensagen bekannt sein konnte, in
entstellter Weise veröffentlicht (die Personen sind falsch auf¬
gezählt, der Inhalt unrichtig wiedergegeben, das einzige Zitat
falsch), und als wäre es noch nicht genug: auf Grund dieser
unrichtigen Nacherzählung des Inhaltes eines vom Autor der
Oeffentlichkeit noch nicht übergebenen Stückes durch jemanden,
der das Stück selbst erwiesenermaßen nicht
kannte — und offenbar von diesem Unberufenen selbst¬
ein Urteil über dieses Stück abgegeben, gedruckt, weiter¬
verbreitet. Selbst wenn jedes Wort der Nacherzählung richtig
und das Urteil zutrefsend wäre, müßte ich auf das ent¬
schiedenste viestieren gegen den Eingriff in das bisher
strenge ge ahrte Autorenrecht, daß über geistige Produkte erst
dann eine öffentliche Aeußerung erlaubt ist, wenn sie in einer
vom Autor gutgeheißenen Form und mit seinem Willen der
Oeffentlichkeit übergeben worden sind. Dieser Fall liegt be¬
sonders kraß, denn es ist meines Wissens bisher noch nicht
dagewesen, daß nicht nur Inhaltsangaben auf Grund von
Coulissenklatsch erzählt, sondern daß auch Urteile über
Theaterstücke auf solcher Basis vor der Aufführung der
Oeffentlichkeit mitgeteilt werden.
„Haus Delosme“ ist ein Stück aus einer geplanten Reihe
von Familienburlesken, von denen eines in Arbeiter=, eines
in Bürger=, eines in Komödianten=, eines in aristokratischen
und eines in noch höheren Kreisen spielt. Zwei davon sind
erst beendet.
Ueber den angeblichen Streik der Schauspieler wird sich
„Direktor Reinhard zu äußern haben. Mir ist von einem
Streik nichts bekannt geworden. Das Gerücht hievon ist
zmöglicherweise dadurch entstanden, daß ich noch in Berlin
zwährend der Proben Aenderungen einiger Stellen vornahm,
was ich und wohl die meisten Antoren beinahe immer —
hoft auch nach der Aufführung eines Stückes tun. Zum Bei¬
spiel habe ich im „Freiwild“ erst im vorigen Jahre eine
Szene vollkommen umgestaltet. Uebrigens ist mir ein Fall
aus einer österreichischen Provinzstadt erinnerlich, wo die
Schauspieler gegen die Aufführung von „Freiwild“ protestier.
haben — weil angeblich darin der Schauspielerstand beleidigt
wurde. Ebenso wurde behauptet, daß ich in „Freiwild" und
„Lientenant Gustl“ die gesamte Armee, in „Literatur“ sowohl
die Aristokraten als die Dichter verletzt habe. Einmal kam
mir sogar eine Notiz unter die Augen, wo irgend wer gegen
die „Masken“ im Namen der Journalisten protestieren zu
müssen glaubte. Aus solchen Aeußerungen und Meinungen
spricht meiner Ansicht nach meistens Heuchelei und etwas
seltener ein einfältiges Mißverstehen des Solidaritäts¬
begriffes. Die Besten innerhalb eines Standes sind stets die¬
jenigen, welche sich über dessen Vorurteile und Fehler er¬
heben, nicht diejenigen, die den Inbegriff dieser Vorurteile
und Fehler am reinsten repräsentieren. Von den ersteren sind
gewiß noch nie Versuche gemacht worden, den Schriftsteller
in der Ausgestaltung seiner Stoffe und künstlerischen Befähi¬
gung irgendwie beschränken zu wollen.“