11. Reigen
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Akademisch=Dramatische Verein eine „Uraufführung“ dieser „Dialoge“
veranstaltete. Ich will voraus schicken, daß diese studentisch=litterarische Korporation
in den 12 Jahren ihres Bestehens wirkliche Taten vollbracht hat, ich nenne nur
die erste deutsche Aufführung von „Ueber unsere Kraft“ (I.) und von Wildes Salome,
die Urpremieren von Ruederers Fahnenweihe und Gumppenbergs Verdammten,
dann Werke von Ibsen, Hauptmann, Halbe, Rosmer, Maeterlinck, d'Annunzio, Hart¬
leben, Wedekind u. a; in dramatischer Hinsicht verfehlte Arbeiten wie Arthur
Holitschers „anderes Ufer“ hatten immerhin litterarische Physiognomie, 1892 und
1893 waren auch Ludwig Fuldas Sklavin und Sudermanns „Sodoms Ende“
unter anderem Gesichtswinkel zu betrachten, wie heute. Mithin konnte man eine
Entgleisung, wie die Aufführung des „Reigen“ nicht erwarten. Ich lasse seinen
litterarischen Wert und Unwert vorderhand beiseite; aber es ist doch zweifellos, daß
Schnitzler an eine Aufführung so wenig dachte, wie etwa diejenigen Pariser Novellisten
(Marni z. B.), die ihre Skizzen in Dialogform geben. Der Verein wählte Nr. 4, 5
und 6 aus, vielleicht als die relativ anständigsten, oder sagen wir, weil die anderen
noch gemeiner sind; damit wurde aber der Gedanke, der diesen menschlich=allzu¬
menschlichen Liebesreigen zusammen hält, zerrissen. Natürlich mußte, trotzdem der
Zensor in die Vorstellung vor Geladenen nichts hineinzureden hat, manches etwas
sittlicher gemacht werden. Regiebemerkungen wie „sie legen sich ins Bett“ lassen sich
doch nicht ganz ausführen und so wurde manche Pointe verdunkelt, dies machte Nr. 4
(Junger Herr — Junge Frau) beinahe unverständlich. In Nr. 5 setzt sich der Ehe¬
mann eben auf den Rand des Bettes, in dem die junge Frau ruht und dirnenhaft
plaudert. Nr. 6 spielt im Chamhre separée, gerade so zynisch wie die andern läßt
es sich doch leichter darstellen. Ueber das Spiel verliere ich wenig Worte. Die
Künstler, die nicht schlecht spielten, haben es vorgezogen, inkognito aufzutreten. Ich
halte dies für ein Zeichen, daß sie ihren guten Geschmack nicht ganz
verloren hatten und sich quasi außer der Veranzwortlichkeit ihres ästhetischen
Gewissens stellten. Ueber die Herrschaften, die ihren Namen nicht verschwiegen, wäre
auch nicht viel gutes zu melden. Ich konstatiere, daß die Dialoge starken Applaus
fanden; teils aus Freude am Kräftigen, teils aus artistisch=litterarischem Gourmand¬
empfinden und ferner — ich wette - aus der Furcht, von den jungen Herren als
seuile Philister oder gar für Esel gehalten zu werden. Ich laufe Gefahr, für das
letztere zu gelten, da ich zum greisenhaften doch nur einen ganz geringen Vorsprung
vor der Jugend von heute habe. Es gehört heute Mut dazu, eine künstlerisch
gefaßte Schweinerei eine Schweinerei zu nennen, gewiß ist es noch ekelhafter, wenn
irgend ein schmieriger Commis-voyageur an der Wirtstafel mit seinen Schlafzimmer¬
erlebnissen renommiert, als wenn Herr Arthur Schnitzler mit seinem reichen literarischen
Handwerkszeug, seinem psychologischen Scharfblick und nicht ableugenbarem Plander¬
talent an das saubere Thema heran tritt; aber verpflichtet ihn nicht sein höheres Kultur¬
niveau zu höherem, als zu diesem „gewagtesten Buch, das dennoch eines der keuschesten (?)
Dichtungen ist“, wie „Bühne und Welt“ so amüsant schreibt? Nein, nur das litte¬
rarische Können gibt dem Buche den Vorzug vor „interessanter Herrenlektüre" und
Können ist eine Gabe, kein Verdienst. „Geschrieben 1896“ steht auf dem Titelblatt
des Buches, dies und die Ablehnung der Einladung zur „Uraufführung“ können als
Anzeichen gelten, daß Schnitzler dieses illegitimen Kindes seiner Muse sich doch
ein wenig schämt. Vielleicht lacht er sogar, daß man dieses Produkt einer Laune
so ernst nimmt und mit litterarischen Erstaufführungskombinationen auf die Bretter
bringt, die doch mehr als die Welt animalischer Triebe bedeuten sollen.
Dem Reigen ging die „Tragödie des Triumphes“ voraus, ein En¬
fängerarbeit, die unter Lachen begraben wurde. Karl Goldmann heißt ihr Ver¬
fasser; der Einakter schildert den Konflikt des Künstlers mit der brutalen Wirklich¬
keit, wie ihn schließlich jeder bessere Kopf in den Jugendtagen sich vom Herzen
schreibt. Eine Handlung zu erfinden und lebenskräftig zu führen, versteht der Dichter
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Akademisch=Dramatische Verein eine „Uraufführung“ dieser „Dialoge“
veranstaltete. Ich will voraus schicken, daß diese studentisch=litterarische Korporation
in den 12 Jahren ihres Bestehens wirkliche Taten vollbracht hat, ich nenne nur
die erste deutsche Aufführung von „Ueber unsere Kraft“ (I.) und von Wildes Salome,
die Urpremieren von Ruederers Fahnenweihe und Gumppenbergs Verdammten,
dann Werke von Ibsen, Hauptmann, Halbe, Rosmer, Maeterlinck, d'Annunzio, Hart¬
leben, Wedekind u. a; in dramatischer Hinsicht verfehlte Arbeiten wie Arthur
Holitschers „anderes Ufer“ hatten immerhin litterarische Physiognomie, 1892 und
1893 waren auch Ludwig Fuldas Sklavin und Sudermanns „Sodoms Ende“
unter anderem Gesichtswinkel zu betrachten, wie heute. Mithin konnte man eine
Entgleisung, wie die Aufführung des „Reigen“ nicht erwarten. Ich lasse seinen
litterarischen Wert und Unwert vorderhand beiseite; aber es ist doch zweifellos, daß
Schnitzler an eine Aufführung so wenig dachte, wie etwa diejenigen Pariser Novellisten
(Marni z. B.), die ihre Skizzen in Dialogform geben. Der Verein wählte Nr. 4, 5
und 6 aus, vielleicht als die relativ anständigsten, oder sagen wir, weil die anderen
noch gemeiner sind; damit wurde aber der Gedanke, der diesen menschlich=allzu¬
menschlichen Liebesreigen zusammen hält, zerrissen. Natürlich mußte, trotzdem der
Zensor in die Vorstellung vor Geladenen nichts hineinzureden hat, manches etwas
sittlicher gemacht werden. Regiebemerkungen wie „sie legen sich ins Bett“ lassen sich
doch nicht ganz ausführen und so wurde manche Pointe verdunkelt, dies machte Nr. 4
(Junger Herr — Junge Frau) beinahe unverständlich. In Nr. 5 setzt sich der Ehe¬
mann eben auf den Rand des Bettes, in dem die junge Frau ruht und dirnenhaft
plaudert. Nr. 6 spielt im Chamhre separée, gerade so zynisch wie die andern läßt
es sich doch leichter darstellen. Ueber das Spiel verliere ich wenig Worte. Die
Künstler, die nicht schlecht spielten, haben es vorgezogen, inkognito aufzutreten. Ich
halte dies für ein Zeichen, daß sie ihren guten Geschmack nicht ganz
verloren hatten und sich quasi außer der Veranzwortlichkeit ihres ästhetischen
Gewissens stellten. Ueber die Herrschaften, die ihren Namen nicht verschwiegen, wäre
auch nicht viel gutes zu melden. Ich konstatiere, daß die Dialoge starken Applaus
fanden; teils aus Freude am Kräftigen, teils aus artistisch=litterarischem Gourmand¬
empfinden und ferner — ich wette - aus der Furcht, von den jungen Herren als
seuile Philister oder gar für Esel gehalten zu werden. Ich laufe Gefahr, für das
letztere zu gelten, da ich zum greisenhaften doch nur einen ganz geringen Vorsprung
vor der Jugend von heute habe. Es gehört heute Mut dazu, eine künstlerisch
gefaßte Schweinerei eine Schweinerei zu nennen, gewiß ist es noch ekelhafter, wenn
irgend ein schmieriger Commis-voyageur an der Wirtstafel mit seinen Schlafzimmer¬
erlebnissen renommiert, als wenn Herr Arthur Schnitzler mit seinem reichen literarischen
Handwerkszeug, seinem psychologischen Scharfblick und nicht ableugenbarem Plander¬
talent an das saubere Thema heran tritt; aber verpflichtet ihn nicht sein höheres Kultur¬
niveau zu höherem, als zu diesem „gewagtesten Buch, das dennoch eines der keuschesten (?)
Dichtungen ist“, wie „Bühne und Welt“ so amüsant schreibt? Nein, nur das litte¬
rarische Können gibt dem Buche den Vorzug vor „interessanter Herrenlektüre" und
Können ist eine Gabe, kein Verdienst. „Geschrieben 1896“ steht auf dem Titelblatt
des Buches, dies und die Ablehnung der Einladung zur „Uraufführung“ können als
Anzeichen gelten, daß Schnitzler dieses illegitimen Kindes seiner Muse sich doch
ein wenig schämt. Vielleicht lacht er sogar, daß man dieses Produkt einer Laune
so ernst nimmt und mit litterarischen Erstaufführungskombinationen auf die Bretter
bringt, die doch mehr als die Welt animalischer Triebe bedeuten sollen.
Dem Reigen ging die „Tragödie des Triumphes“ voraus, ein En¬
fängerarbeit, die unter Lachen begraben wurde. Karl Goldmann heißt ihr Ver¬
fasser; der Einakter schildert den Konflikt des Künstlers mit der brutalen Wirklich¬
keit, wie ihn schließlich jeder bessere Kopf in den Jugendtagen sich vom Herzen
schreibt. Eine Handlung zu erfinden und lebenskräftig zu führen, versteht der Dichter