box 18/
11. Reigen
Nr. 300.
Erstes Beiblatt.
Schnitziers „neigen
Zum erstenmal im Kleinen Schauspiel¬
haus.
Verbot durch einstweilige Verfügung, das
mittags bekannt wird. Dennoch soll gespielt wer¬
den. Leise Unruhe in dem bis auf wenige Plotz¬
reihen vollen Saal. Die Direktorin Gertrud
Eysoldt. Sie richtet einen Protest gegen das
Landgericht III an das Publikum. Die kleine¬
schwache Frau sagt, daß ihr und ihrem Kom¬
pagnon Herrn Slodek nicht Geldstrafe, sondern
Haft bis zu sechs Wochen angedroht sei, wenn sie
diese Vorstellung (sagt sie) „aufführe“. Dieser
und ein anderer Sprachirrium zeigen, daß die
kleine Frau in wirklicher Erregung da oben steht.
Und daß man dos herausfühlt, entscheidet zu
ihren Gunsten. Beifallsdemonstration, als sie an¬
kündigt, daß sie den Kampf wagt. Es wird ein
Erfolg der Gesinnung. Nachher erst kommt Herr
Sladek, der im Namen des Dichters für die
„würdige Aufnahme“ dankt. Und Frau Eysoldt
wieder macht den Schluß, indem sie mit ihrem
schwachen Stimmchen die Hoffnung äußert, daß
„etwas von der leisen erotischen Schmerzlichkeit,
die Schnitzler in sein Werk gelegt habe, fühlbar
geworden sei.
In ihrer Vorrede hat sie die „Büchse der
Pandora“ erwähnt, die im selben Saal der Hoch¬
schule für Musik ohne Einwand durch Monate
gegeben wurde, und hiermit sehr klug die So¬
phistik der Gegenpartei dargetan. Und sie hat
recht noch insofern, als der „Reigen“, ganz wie
fiszierenden Staatsanwaltschaft der Laszivität
beschuldigt worden ist. Aber soll man sich auf
die Frage selbst, ob Schnitzlers zehn Dialoge
unsittlich oder sittlich seien, überhaupt für eine
Sekunde einlassen? Weiß nicht jeder, daß sie
echter und feinster Schnitzler sind so gut wie
der „Anatol“ und der „Grüne Kakadu“? Im
Winter auf 1897 sind sie geschrieben, lange vor
1900, dem Jahr des Erscheinens, zwischen „Liebe¬
lei“ und dem „Vermächtnis“. Sie waren für
das Buch gedacht wie die Dialoge der jüngeren
Franzosen. Zehnmal ist, mit Rückkehr zum Aus¬
gangspunkt, die erotische Situation abgewandelt.
Doch in diesen zehn Gesprächen ist alle Tierheit
der Menschennatur, all ihre Tragikomik, von
einem schwermütigen Beobachter gesehen, ist die
danse macabre des Geschlechtlichen. Das muß
man kaum wiederholen. Und es handelt sich
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amt
# Tekittag
einzig darum, zu prüfen, was aus dem „Reigen“
Silvesterbälle entrichtet werden und beträgt
nicht weniger als 100 Prozent. Es soll eine
in der verspäteten Einrichtung für das Theater
strenge Kontrolle der steuerpflichtigen Lokal¬
geworden ist.
inhaber stattfinden.
Gespielt wird ohne Pause, mit einer festen
Dekoration, die Ernst Stern entworfen hat
einem hellgrünen Rahmen mit Blattornamenten,
Revolutionshochzeit.
weißlich leuchtende Laternen links und rechts;
So nennt Magnus Zeller eine Mappe
und immer geht bei der Verdunkelung ein zarter
mit sieben Steinzeichnungen, die bei Albrecht
grüner Zwischenvorhang hernieder. Anfangs
Blau, einem neuen Berliner Kunstverleger, er¬
scheint er trotz dieser Zartheit ein wenig brutal.
schienen ist. Es sind Straßenbilder aus Revo¬
Denn er fällt immer da, wo Schnitzler, das Be¬
lutionstagen: Volksredner, Spieler. Rummelplatz,
gehren des Vorher, die satte Roheit und Feigheit
Zecher, Diebe, Demonstranten, Begräbnis der
des Nachher trennend, im Buch Gedankenstriche
Opfer. Zwei davon haben die Grundlage für
hat; und das Tempo, in dem sich der grüne
Bilder abgegeben, die man in der Berliner
Schleier wieder hebt, verdickt, verdeutlicht. Aber
Sezession gesehen hat. Da verhält sich die
das ist nur anfangs so. Dann merkt man: es ist
Steinzeichnung zum Bild wie ein Gedicht zum
Takt in der Nuancierung; und was sich irgend
Lied, das daraus entstanden ist: das Koloristische
führt ein Eigenleben wie die Musik gegenüber
Dabei gereicht den Szenen die Folge im Buch
dem Text. Das ist mehr, als man vielen Bil¬
zum Vorteil: daß die zweite Hälfte geistiger in
dern unserer Jungen nachsagen kann, obwohl es
der Ironie und schauspielerisch dankbarer als die
ich von selbst zu verstehen scheint; aber an den
erste ist. Nach dem Soldaten in der Donau=Au
Wänden hängt in modernen Ausstellungssälen
und im Prater, beim Svoboda, nach den Aben¬
statt Bildern zum guten Teil kolorierte Graphik.
teuern des jungen Herrn und dem (sehr neben¬
Bei Magnus Zeller ist das Bild frei vom
ächlichen) Ehedialog, nach dem füßen Mädel, das
Graphischen geworden.
fast aus der „Liebelei“ ist, dieser wunderbore
Um so anregender ist es, seine Ausdrucks¬
Dichter, der sich Bibitz nennt, diese köstliche
weise in Schwarz=Weiß kennenzulernen. Ueber
Schauspielerin in zwei Lebenslagen, dieser
das Technische hinaus fesselt jedoch eine unge¬
gräfliche Oberleutnant mit der Genußphilosophie
wöhnliche Kraft der Vergeistigung und zugleich
des aristokratischen Bubi: das wird immer mehr
die Objektivität der Betrachtung. Man empfin¬
zu einer Serie von Miniaturkomödien. Und
bet ganz deutlich, daß diese Kunst nur von künst.
lerischer, nicht von politischer Gesinnung lebt.
in der zweiten Hälfte bietet auch die Vorstellung
Wenn, sagen wir, Käthe Kollwitz, die schätzbare,
des Kleinen Schauspielhauses, nach dem vulgär
Elend schildert, so wird man den Eindruck nicht
feschen Deutschmeister des Herrn Ralph, dem
los, daß sie, wenn nicht politische, so doch philan¬
jungen Herrn, den als Gast Götz gibt, dem
thropische Propaganda treibt. Zeller sieht mit
herzhaften süßen Mädel der Wienerin Poldi
gleicher Künstlerfreude auf die Verkommenheit
Müller ihr Bestes. In dem Dichter des
der Spieler in einer Straße von Berlin O und
Herrn Ettlinger, der aussieht wie ein
auf das Elendspathos des Begräbnisses gesalle¬
Lohengrin von Kremsmünster, in der frechen
ner Kommunisten; Ekstase des Volksrednet oder
des Zechers gilt ihm gleich viel, jedes wird
Heroine des witzigen Fräuleins Dergan, in
stärkster Ausdruck. Ein deutscher Kunstschrift¬
dem Grafen des Herrn Forster=Larri¬
steller hat neulich in Kunst und Künstler von
naga, der mit seinem schmalen Bubischädel in
einem Gespräch erzählt, das Matisse in Paris
jedes k. u. k. Dragoner=Regiment gepaßt haben
mit ihm führte. Der Franzose fragte: „Ist der
würde, und der ganz reizend ist. Forster=Larri¬
Expressionismus in Deutschland eigentlich der
naga, Komponist, Autor und Bonivant, hat auch
künstlerische Ausdruck der Mehrheitssozialisten
eine sonst überflüssige Zwischenaktsmusik ge¬
oder der Unabhängigen?“ Die Frage war
liefert.
sicherlich scherzhaft gemeint, aber es gibt in
P. W.
Deutschland Leute — Dichter noch mehr als
Maler —, die durchaus ernsthaft antworten
Silvester=Steuer in Warschau.
würden, die moderne Kunst stehe links von den
Die Warschauer Stadtvertretung hat die Er¬
Unabhängigen. Darum tut es wohl, unpolitische
hebung einer Silvester=Steuer beschlossen. Die
moderne Kunst einen Stoff behandeln zu sehen,
Steuer soll von allen Speisen und Ge¬
der so leicht zum Politisieren verleiten könnte¬
tränken, die am Silvesterabend in Restau¬
Zeller ist nichts als Augenzeuge des Revolutions¬
rants und Bars verabfolgt werden ebenso von
zeitalters. Aber welche Sicherheit des Schauens!
allen Eintrittskarten für Silvesterfeiern und
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Erstes Beiblatt.
Schnitziers „neigen
Zum erstenmal im Kleinen Schauspiel¬
haus.
Verbot durch einstweilige Verfügung, das
mittags bekannt wird. Dennoch soll gespielt wer¬
den. Leise Unruhe in dem bis auf wenige Plotz¬
reihen vollen Saal. Die Direktorin Gertrud
Eysoldt. Sie richtet einen Protest gegen das
Landgericht III an das Publikum. Die kleine¬
schwache Frau sagt, daß ihr und ihrem Kom¬
pagnon Herrn Slodek nicht Geldstrafe, sondern
Haft bis zu sechs Wochen angedroht sei, wenn sie
diese Vorstellung (sagt sie) „aufführe“. Dieser
und ein anderer Sprachirrium zeigen, daß die
kleine Frau in wirklicher Erregung da oben steht.
Und daß man dos herausfühlt, entscheidet zu
ihren Gunsten. Beifallsdemonstration, als sie an¬
kündigt, daß sie den Kampf wagt. Es wird ein
Erfolg der Gesinnung. Nachher erst kommt Herr
Sladek, der im Namen des Dichters für die
„würdige Aufnahme“ dankt. Und Frau Eysoldt
wieder macht den Schluß, indem sie mit ihrem
schwachen Stimmchen die Hoffnung äußert, daß
„etwas von der leisen erotischen Schmerzlichkeit,
die Schnitzler in sein Werk gelegt habe, fühlbar
geworden sei.
In ihrer Vorrede hat sie die „Büchse der
Pandora“ erwähnt, die im selben Saal der Hoch¬
schule für Musik ohne Einwand durch Monate
gegeben wurde, und hiermit sehr klug die So¬
phistik der Gegenpartei dargetan. Und sie hat
recht noch insofern, als der „Reigen“, ganz wie
fiszierenden Staatsanwaltschaft der Laszivität
beschuldigt worden ist. Aber soll man sich auf
die Frage selbst, ob Schnitzlers zehn Dialoge
unsittlich oder sittlich seien, überhaupt für eine
Sekunde einlassen? Weiß nicht jeder, daß sie
echter und feinster Schnitzler sind so gut wie
der „Anatol“ und der „Grüne Kakadu“? Im
Winter auf 1897 sind sie geschrieben, lange vor
1900, dem Jahr des Erscheinens, zwischen „Liebe¬
lei“ und dem „Vermächtnis“. Sie waren für
das Buch gedacht wie die Dialoge der jüngeren
Franzosen. Zehnmal ist, mit Rückkehr zum Aus¬
gangspunkt, die erotische Situation abgewandelt.
Doch in diesen zehn Gesprächen ist alle Tierheit
der Menschennatur, all ihre Tragikomik, von
einem schwermütigen Beobachter gesehen, ist die
danse macabre des Geschlechtlichen. Das muß
man kaum wiederholen. Und es handelt sich
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amt
# Tekittag
einzig darum, zu prüfen, was aus dem „Reigen“
Silvesterbälle entrichtet werden und beträgt
nicht weniger als 100 Prozent. Es soll eine
in der verspäteten Einrichtung für das Theater
strenge Kontrolle der steuerpflichtigen Lokal¬
geworden ist.
inhaber stattfinden.
Gespielt wird ohne Pause, mit einer festen
Dekoration, die Ernst Stern entworfen hat
einem hellgrünen Rahmen mit Blattornamenten,
Revolutionshochzeit.
weißlich leuchtende Laternen links und rechts;
So nennt Magnus Zeller eine Mappe
und immer geht bei der Verdunkelung ein zarter
mit sieben Steinzeichnungen, die bei Albrecht
grüner Zwischenvorhang hernieder. Anfangs
Blau, einem neuen Berliner Kunstverleger, er¬
scheint er trotz dieser Zartheit ein wenig brutal.
schienen ist. Es sind Straßenbilder aus Revo¬
Denn er fällt immer da, wo Schnitzler, das Be¬
lutionstagen: Volksredner, Spieler. Rummelplatz,
gehren des Vorher, die satte Roheit und Feigheit
Zecher, Diebe, Demonstranten, Begräbnis der
des Nachher trennend, im Buch Gedankenstriche
Opfer. Zwei davon haben die Grundlage für
hat; und das Tempo, in dem sich der grüne
Bilder abgegeben, die man in der Berliner
Schleier wieder hebt, verdickt, verdeutlicht. Aber
Sezession gesehen hat. Da verhält sich die
das ist nur anfangs so. Dann merkt man: es ist
Steinzeichnung zum Bild wie ein Gedicht zum
Takt in der Nuancierung; und was sich irgend
Lied, das daraus entstanden ist: das Koloristische
führt ein Eigenleben wie die Musik gegenüber
Dabei gereicht den Szenen die Folge im Buch
dem Text. Das ist mehr, als man vielen Bil¬
zum Vorteil: daß die zweite Hälfte geistiger in
dern unserer Jungen nachsagen kann, obwohl es
der Ironie und schauspielerisch dankbarer als die
ich von selbst zu verstehen scheint; aber an den
erste ist. Nach dem Soldaten in der Donau=Au
Wänden hängt in modernen Ausstellungssälen
und im Prater, beim Svoboda, nach den Aben¬
statt Bildern zum guten Teil kolorierte Graphik.
teuern des jungen Herrn und dem (sehr neben¬
Bei Magnus Zeller ist das Bild frei vom
ächlichen) Ehedialog, nach dem füßen Mädel, das
Graphischen geworden.
fast aus der „Liebelei“ ist, dieser wunderbore
Um so anregender ist es, seine Ausdrucks¬
Dichter, der sich Bibitz nennt, diese köstliche
weise in Schwarz=Weiß kennenzulernen. Ueber
Schauspielerin in zwei Lebenslagen, dieser
das Technische hinaus fesselt jedoch eine unge¬
gräfliche Oberleutnant mit der Genußphilosophie
wöhnliche Kraft der Vergeistigung und zugleich
des aristokratischen Bubi: das wird immer mehr
die Objektivität der Betrachtung. Man empfin¬
zu einer Serie von Miniaturkomödien. Und
bet ganz deutlich, daß diese Kunst nur von künst.
lerischer, nicht von politischer Gesinnung lebt.
in der zweiten Hälfte bietet auch die Vorstellung
Wenn, sagen wir, Käthe Kollwitz, die schätzbare,
des Kleinen Schauspielhauses, nach dem vulgär
Elend schildert, so wird man den Eindruck nicht
feschen Deutschmeister des Herrn Ralph, dem
los, daß sie, wenn nicht politische, so doch philan¬
jungen Herrn, den als Gast Götz gibt, dem
thropische Propaganda treibt. Zeller sieht mit
herzhaften süßen Mädel der Wienerin Poldi
gleicher Künstlerfreude auf die Verkommenheit
Müller ihr Bestes. In dem Dichter des
der Spieler in einer Straße von Berlin O und
Herrn Ettlinger, der aussieht wie ein
auf das Elendspathos des Begräbnisses gesalle¬
Lohengrin von Kremsmünster, in der frechen
ner Kommunisten; Ekstase des Volksrednet oder
des Zechers gilt ihm gleich viel, jedes wird
Heroine des witzigen Fräuleins Dergan, in
stärkster Ausdruck. Ein deutscher Kunstschrift¬
dem Grafen des Herrn Forster=Larri¬
steller hat neulich in Kunst und Künstler von
naga, der mit seinem schmalen Bubischädel in
einem Gespräch erzählt, das Matisse in Paris
jedes k. u. k. Dragoner=Regiment gepaßt haben
mit ihm führte. Der Franzose fragte: „Ist der
würde, und der ganz reizend ist. Forster=Larri¬
Expressionismus in Deutschland eigentlich der
naga, Komponist, Autor und Bonivant, hat auch
künstlerische Ausdruck der Mehrheitssozialisten
eine sonst überflüssige Zwischenaktsmusik ge¬
oder der Unabhängigen?“ Die Frage war
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sicherlich scherzhaft gemeint, aber es gibt in
P. W.
Deutschland Leute — Dichter noch mehr als
Maler —, die durchaus ernsthaft antworten
Silvester=Steuer in Warschau.
würden, die moderne Kunst stehe links von den
Die Warschauer Stadtvertretung hat die Er¬
Unabhängigen. Darum tut es wohl, unpolitische
hebung einer Silvester=Steuer beschlossen. Die
moderne Kunst einen Stoff behandeln zu sehen,
Steuer soll von allen Speisen und Ge¬
der so leicht zum Politisieren verleiten könnte¬
tränken, die am Silvesterabend in Restau¬
Zeller ist nichts als Augenzeuge des Revolutions¬
rants und Bars verabfolgt werden ebenso von
zeitalters. Aber welche Sicherheit des Schauens!
allen Eintrittskarten für Silvesterfeiern und
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