11.
Reigen
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E
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Schnitzlers „Reigen“.
Das Erotische in der Kunst ist ein uraltes Kapitel. Und lange
bevor die Menschheit bestand, muß die Erotik gewesen sein
denn sonst häcke es keine Menschen gegeben. Also gegen diesen
zweckvollen Frich, dem auch die Herrn des Landgerichts III und
die Geheimi des Kultusministeriums ihr sittenreines Leben
verdanken, richtet sich ein interessanter Kampf, der um Schnitz
ers „Reigen“ entstanden ist. Wir wollen dem Urteil nicht vor¬
greisen, aber wir wollen uns wenigstens unser Urteil bilden.
Und das steht seil: Ueber das Theater und die Kunst hat der
Staatsanwalt nicht zu urteilen.
Der „Neigen“ ist keine Schöpfung der neuesten Zeit. Vor
einem Viertelzahrhundert hat ihn Schnitzler in Buchsolm seinen
Freunden verehrt. Er war damals 34 Jahre, ein jünger Arzt,
der die erotische Seite des Lebens pathologisch behandelte. In
zehn Bildern tanzt der Reigen der Liebe an uns vorbei. Und
in dies m Neigen sind durch die leicht löslichen=Ban#e illegitimer“
Liebe alle Klassen der Gesellschaft miteinander verbunden. Diese
Liebe kennt keine Klassengegensäße, sie überbrückt alle Stände.
Ist es nicht wahr? Jeder von uns kennt das Thema aus eigenster
Erfahrung. Auch dem Kultusministerium dürfte es nicht fremd
sein. Und gar der Musikhochschule. Wenn man jedes Musikstück
verbieten würde, dessen Motiv erotisch angehaucht ist, würden die
Musiksäle stumm und still daliegen. Wenn man sich gegen ero¬
tische Kunst auf der Bühne wenden will, so tue man es gegen
Wedekind. Es ist Ansichtssache, ob man dessen Kunst noch als
Kunst betrachten will. Sie ist immerhin ein unerhörtes Be¬
kenntnis und Geständnis einer bankrotten Welt, voll greinender
Scheusäligkeit und schamloser Bresthaftigkeit. Einer Welt, wo
das Dasein, die Sinne und Triebe zu Spuk und Greuel, das
Leben eine wüste Vagabundage geworden ist, wo es keine Men¬
schen mehr gibt, sondern nur Tiere. Diese erotische Kunst Wede¬
kinds ist ein Ende, wo es keine Entwicklung, keine Zukunft
mehr gibt. Anders dagegen bei Schnitzter. Der Arzt und Dichter
betrachtet das Leben durch seine Brille. Er steht die Realitäten.
Er will nichts verbrämen, nichts herunterreißen. Er macht
nichts lächerlich, er steht nur dem Ernst der Dinge ins Auge.
Auch im Spiel der Triebe ist der dunkle Zwang der Nakur.
Idoen von Schopenhauer werden zu Bildern umgeformt. Sie
sind uns alltäglich. Man spricht zwar nicht davon. Aber der
Dichter hat den Mut, das Kind beim rechten Namen zu nennen.
Und darum will man ihn und die strafen, die es wagen, in seinem
Namen zu sprechen. Wir haben heute morgen schon zum Aus¬
druck gebracht, daß die Aufführung glänzend und dezent war.
Was das Buch an eventuell anstößgen Szenen bietet, war
sorgsam mit dem Schleier geschickter Regie (Hubert Neusich)
verdeckt. Nur die ersten be den Bilder, die in dem schmutzigen
Niveau der Gasse spielen, lassen arge Bedenken zu. Sie gehören
aber zum Reigen und sind ein wichtig's Glied in ihm.
Der Reigen beginnt mit der Dirne und dem Soldaten.
Der übliche Dialog, der da beginnt „Komm, Schatz'. Else
Bäck und Louis Ralph hatten wenig Ensola damik.— Der
Soldat und das Stubenmädchen (Vera Skidelsky) und dann
das Stubenmädchen und der junge Herr (Kurt Götz) Hier be¬
ginnt sich das Publikum zu eiwärmen. Der erste Beifall setzte
ein. Man merkt, die gedrückte Stimmung hinter den Kulissen
Herr und die junge Frau auf. Jetzt wird das Erotische geist¬
reich. Magda Mohr gab als Künstlerin etwas Großes. Das
Mittelglied des Reigens ist die junge Frau und der Ehemann
(Viktor Schwanneke). Ein Ehedialog im Schlafzimmer. Die
Kette wird fortgesetzt: Der Ehemann und das süße Mädel, dann
das süße Mildel und der Dichter. Poldi Müller war wirk¬
lich ein süßes Mädel, leichtes Wiener Bur echt weanerisch im
Dichter kopierte Arthur Schnißler. Vielleicht paßt die Dichter¬
Figur der Flegenden Blätter besser in den Relgen. Nun weiter:
Der Dichter und die Schauspielerin, die Schauspielerin und de
Gpaf Blanche Dergan ist eine Schauspielerin und wenn
eine Schauspielerin dargestellt werden soll, brauchte also nicht be¬
sonders gespielt zu werden. Ich meine, es war zu stark aufge¬
tragen und darunter verschwand der Liebreiz. Nobert Fonster¬
Larrinago (der auch die verbindende Musik zusammengestell
hatte, beherrschte die Grasenrolle glänzend. Er beschließt aus
den Reigen nach einer trunkenen Nacht: (der Graf und die Dirne
im grauen stillosen Raum der Prostituierten. Die Klassengeg#a¬
sätze waren überbrückt. Und wenn ich ironisch sein könnte, würt
ich behaupten, das ist der Weg zur Demokratie, hier gibt es keine
Klassengegensätze mehr.
H. S.
Wie wir hören, wird die „Hochschule für Musik'
auf deren Antrag die einstweil'ge Verfügung des Landgerichts II
ergangen ist, nach dem Eindruck der gestrigen Erstausführung ihren
Protest gegen die Aufführung von Schnitzlers „Reigen' zu¬
rückziehen.
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Schnitzlers „Reigen“.
Das Erotische in der Kunst ist ein uraltes Kapitel. Und lange
bevor die Menschheit bestand, muß die Erotik gewesen sein
denn sonst häcke es keine Menschen gegeben. Also gegen diesen
zweckvollen Frich, dem auch die Herrn des Landgerichts III und
die Geheimi des Kultusministeriums ihr sittenreines Leben
verdanken, richtet sich ein interessanter Kampf, der um Schnitz
ers „Reigen“ entstanden ist. Wir wollen dem Urteil nicht vor¬
greisen, aber wir wollen uns wenigstens unser Urteil bilden.
Und das steht seil: Ueber das Theater und die Kunst hat der
Staatsanwalt nicht zu urteilen.
Der „Neigen“ ist keine Schöpfung der neuesten Zeit. Vor
einem Viertelzahrhundert hat ihn Schnitzler in Buchsolm seinen
Freunden verehrt. Er war damals 34 Jahre, ein jünger Arzt,
der die erotische Seite des Lebens pathologisch behandelte. In
zehn Bildern tanzt der Reigen der Liebe an uns vorbei. Und
in dies m Neigen sind durch die leicht löslichen=Ban#e illegitimer“
Liebe alle Klassen der Gesellschaft miteinander verbunden. Diese
Liebe kennt keine Klassengegensäße, sie überbrückt alle Stände.
Ist es nicht wahr? Jeder von uns kennt das Thema aus eigenster
Erfahrung. Auch dem Kultusministerium dürfte es nicht fremd
sein. Und gar der Musikhochschule. Wenn man jedes Musikstück
verbieten würde, dessen Motiv erotisch angehaucht ist, würden die
Musiksäle stumm und still daliegen. Wenn man sich gegen ero¬
tische Kunst auf der Bühne wenden will, so tue man es gegen
Wedekind. Es ist Ansichtssache, ob man dessen Kunst noch als
Kunst betrachten will. Sie ist immerhin ein unerhörtes Be¬
kenntnis und Geständnis einer bankrotten Welt, voll greinender
Scheusäligkeit und schamloser Bresthaftigkeit. Einer Welt, wo
das Dasein, die Sinne und Triebe zu Spuk und Greuel, das
Leben eine wüste Vagabundage geworden ist, wo es keine Men¬
schen mehr gibt, sondern nur Tiere. Diese erotische Kunst Wede¬
kinds ist ein Ende, wo es keine Entwicklung, keine Zukunft
mehr gibt. Anders dagegen bei Schnitzter. Der Arzt und Dichter
betrachtet das Leben durch seine Brille. Er steht die Realitäten.
Er will nichts verbrämen, nichts herunterreißen. Er macht
nichts lächerlich, er steht nur dem Ernst der Dinge ins Auge.
Auch im Spiel der Triebe ist der dunkle Zwang der Nakur.
Idoen von Schopenhauer werden zu Bildern umgeformt. Sie
sind uns alltäglich. Man spricht zwar nicht davon. Aber der
Dichter hat den Mut, das Kind beim rechten Namen zu nennen.
Und darum will man ihn und die strafen, die es wagen, in seinem
Namen zu sprechen. Wir haben heute morgen schon zum Aus¬
druck gebracht, daß die Aufführung glänzend und dezent war.
Was das Buch an eventuell anstößgen Szenen bietet, war
sorgsam mit dem Schleier geschickter Regie (Hubert Neusich)
verdeckt. Nur die ersten be den Bilder, die in dem schmutzigen
Niveau der Gasse spielen, lassen arge Bedenken zu. Sie gehören
aber zum Reigen und sind ein wichtig's Glied in ihm.
Der Reigen beginnt mit der Dirne und dem Soldaten.
Der übliche Dialog, der da beginnt „Komm, Schatz'. Else
Bäck und Louis Ralph hatten wenig Ensola damik.— Der
Soldat und das Stubenmädchen (Vera Skidelsky) und dann
das Stubenmädchen und der junge Herr (Kurt Götz) Hier be¬
ginnt sich das Publikum zu eiwärmen. Der erste Beifall setzte
ein. Man merkt, die gedrückte Stimmung hinter den Kulissen
Herr und die junge Frau auf. Jetzt wird das Erotische geist¬
reich. Magda Mohr gab als Künstlerin etwas Großes. Das
Mittelglied des Reigens ist die junge Frau und der Ehemann
(Viktor Schwanneke). Ein Ehedialog im Schlafzimmer. Die
Kette wird fortgesetzt: Der Ehemann und das süße Mädel, dann
das süße Mildel und der Dichter. Poldi Müller war wirk¬
lich ein süßes Mädel, leichtes Wiener Bur echt weanerisch im
Dichter kopierte Arthur Schnißler. Vielleicht paßt die Dichter¬
Figur der Flegenden Blätter besser in den Relgen. Nun weiter:
Der Dichter und die Schauspielerin, die Schauspielerin und de
Gpaf Blanche Dergan ist eine Schauspielerin und wenn
eine Schauspielerin dargestellt werden soll, brauchte also nicht be¬
sonders gespielt zu werden. Ich meine, es war zu stark aufge¬
tragen und darunter verschwand der Liebreiz. Nobert Fonster¬
Larrinago (der auch die verbindende Musik zusammengestell
hatte, beherrschte die Grasenrolle glänzend. Er beschließt aus
den Reigen nach einer trunkenen Nacht: (der Graf und die Dirne
im grauen stillosen Raum der Prostituierten. Die Klassengeg#a¬
sätze waren überbrückt. Und wenn ich ironisch sein könnte, würt
ich behaupten, das ist der Weg zur Demokratie, hier gibt es keine
Klassengegensätze mehr.
H. S.
Wie wir hören, wird die „Hochschule für Musik'
auf deren Antrag die einstweil'ge Verfügung des Landgerichts II
ergangen ist, nach dem Eindruck der gestrigen Erstausführung ihren
Protest gegen die Aufführung von Schnitzlers „Reigen' zu¬
rückziehen.