II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 939

11. Reigen
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Nr. 10.070
Samstag
Neues Wiener Journal
Seine Vorlesungen sind äußerst spannend, nicht nur, weil
derauf Finweisen, wie saht und falsch das Aiebesicden sichahpielt.
er ein vorzüglicher Plauderer ist, der durch jedes Wort zu fesseln
Er hat nach der Ueberzeugung des Gerichts nicht die Absicht gehabt,
weiß, sondern auch, weil er durch geschickte, oft verblüffende
Lüsternheit zu erregen. Er hat vielmehr das Werk aus einem
Versuche die Hörerschaft bei Laune und in Atem zu halten
tiefen Gefühl seiner Seele heraus geschrieben. Der Inhalt ist ein
weiß. In der Akustik spielt ein Grammophon zum Beispiel ein
ethischer. Der Dichter wollte durch sein Werk bessernd wirken.
schauderhaft klingendes, wirres Gemisch von Tönen. Niemand
Diese Idee tritt auch den normal empfindenden Menschen so
hat eine Ahnung, was diese Sorte Musik bedeuten soll, bis er
deutlich entgegen, das alles. Beiwerk, das als unsittlich angesehen
es verrät: „Der Radetzkymarsch von hinten.“ Er zeigt auch wohl
werden könnte, davon zurückgedrängt wird. Gegenüber dem
einmal seine Fertigkeit als Kunstschütze und schießt in eine
Wortlaut des Buches wäre zu sagen, daß seitens der Darsteller
nicht zersplitteinde Scheibe die Anfangsbuchstaben seines
lles geschehen ist, um diesen Wortlaut zu mildern. Es muß
Namens. Ein anderes Mal stellt er sein Auditorium auf die
festgestellt werden, daß durch die Aufführung alles, was an den
Probe. Er demonstriert Teslasche Ströme, zeigt, wie die
Handlungen obszön und abstoßend wirken konnte, wie die Beweis¬
Wechselströme von großer Schwingungszahl und hoher Spannung
aufnahme ergeben hat, gestrichen worden ist. Das tritt besonders
durch seinen Körper gehen, läßt durch seinen Assistenten eine
deutlich in der Szene zwischen dem jungen Mann und der jungen
Zigarette an seiner Hand anzünden, und erst zum Schluß zeigt
Frau hervor, wo im Buche dek Akt viel deutlicher dargestell
er, daß feine Drähte die Elektrizität geleitet haben. Angehende
wird, als in der Aufführung durch die Angeklagten.
Naturforscher sollen aufmerken und beobachten lernen.
Das Gericht hat auch in Erwägung gezogen, daß für die
Die amüsantesten Anekdoten, darunter vielleicht manche, die
Aufführung nicht die Illusionsbühne sondern die
nur gut erfunden sind, aber den Mann eben auch kennzeichnen,
stilisierte Bühne angewendet wurde, wodurch die Bühnen¬
sind von seiner Tätigkeit als Experimentator im Umlauf. Ein
vorgänge etwas Schematisches eihalten, so daß lediglich das ge¬
Prüfling trifft den Herrn Professor auf der Fahrt ins Physikum.
prochene Wort, das rein Geistige des Stückes in den Vorder¬
Sie kommen ins Gespräch, unterhalten sich über allerlei wissen¬
grund gebracht wurde. Es wurde zum Beispiel in der verfäng¬
schaftliche Fragen und verabschieden sich, am Ziel angelangt. Als
lichen Szene zwischen dem Grafen und der Schauspielerin alles
nachher im Examen der Kandidat vor ihm sitzt, eröffnet der
vermieden, was unter Umständen aufreizend auf die Sinne hätte
Professor dem Erstaunten: „Sie brauche ich nicht mehr zu
einwirken künnen. Statt der sehr einfachen Ausstattung der Szene
prüfen, das habe ich schon vorhin im Straßenbahnwagen ge¬
hätte man auch das mit Raffinement ausgestattete Schlafzimmer
tan. Sie haben eine Eins.“ Ein anderer erhält die Aufgabe
einer verwöhnten Theaterdame auf die Bühne bringen können,
kurz und populär den grundlegenden Catz der ganzen Physi
was dann unter Umständen, vielleicht eine
gewisse
auszudrücken. Er tut das mit den Worten, „Aus nichts wird
unzüchtige Wirkung zur Folge gehabt hätte
nichts“ und wieder ist die Prüfung mit dem besten Prädika
Die Darsteller selbst haben in ihren Gesten und Gebärden
bestanden. Niazt ganz so einfach verlief das Examen eines
wie sich das Gericht überzeugen konnte, sich der höchsten Dezenz
Kriegsbeschädigten, der sehr schlecht vorbereitet war und die
befleißigt. Dies ist durchaus nicht so leicht, und so einfach die
Antworten, wenigsiens die richtigen, schuldig blieb. Da, als
Rollen auf den ersten Blick erscheinen, so stellen sie doch sehr hohe
das bittere Ende unabweisbai erscheint, legt der Examinator ihm
Anforderungen an die mitwirkenden Schauspieler, wenn diese bei
eine letzte Frage vor: „Sagen Sie, Herr Kandidat, hat Prof.
dem heiklen Stoff die Gefahr vermeiden wollen, ins Anstößige zu
schon einmal einen Kriegsbeschädigten durchfallen lassen?“
Und
geraten. Hier war namentlich die Aussage eines Zeugen sehr
jetzt trifft der Kandidat mit seiner Antwort: „Nein, Herr
charakteristisch, der, selbst ein alter Schauspieler, erklärte, er habe
Professor!“ das Richtige und ist gerettet.
sich niemals denken können, daß der „Reigen“ auf die Bühne
Wie die Studenten an solch einem Lehrer hängen, ist leicht
gebracht werden könnte. Wenn dies gelungen sei, mußten die
abzusehen und höchst erklärlich.
Schauspieler an sich schon mit hervorragender Dezenz gespielt haben
Für das Gericht schieden alle Fragen der Politik, der
Religion des Antisemitismus oder der Sittlichkeitsvereine aus. Wenn
ein Stück so gespielt worden ist, wie es gespielt wurde — es
Die Sittlichsprechung des
kann noch anders gespielt werden, das Gericht kann sich aber num
auf die Darstellung stützen wie die erfolgte — dann ist es keine
„Reigens“
unzüchtige Darstellung nach Ansicht des Gerichtes, dann ist
Das Urteil im Berliner Prozeß: Freigesprochen!
die Aufführung auch nicht geeignet, das allgemeine sittliche
(Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“5
Gesühl, wie es im Volksbewußtsein nach positiver Entwicklung
Berlin, 18. November.
aufgefaßt wird, zu verletzen. In objektiver Beziehung liegt
Heute vormittag wurde im „Reigen“=Prozeß das Urteil
demnach keine strafbare Handlung vor, und auch in subjektiver
gefällt. Nach kurzer Begründung wurden sämtliche Angeklagte
Beziehung ist kein Grund vorhanden, eine solche anzunehmen.
freigesprochen. Die Kosten fallen der Staatskasse zu
Durch diese Umstände wurden die Angeklagien in ihrer Meinung
Lasten. Das Gericht war nicht in der Lage, in objektiver ode
bestätkt, daß ihre Darstellung nicht als unzüchtige Handlung an¬
in subjektiver Hinsicht eine aufreizende Handlung festzustellen.
zunehmen sei.
Die Angeklagten nahmen den Wahrspruch des Gerichtes
teilweise unter Tränen enigegen. Nach Schluß
Professor Dr. Brunner der eigentliche Urheber des
der Verhandlung wurden den Freigesprochenen seitens des Publikums
„Reigen“=Prozesses und Beamte der Abteilung des Wohlfahrt¬
stürmische Ovationen bereitet.
ministeriums zur Bekämpfung des Schundes in Buch und Bild
dürfte, wie verlautet, in den Ruhestand versetzt werden.
In der
Begründung des Urteils
führte der Vorsitzende aus: Es fragt sich, ob eine Theater¬
Aus den Memoiren der Lady
vorstellung als ganzes als unzüchtige Handlung betrachtet werden
kann. Insoweit es sich um unzüchtige Schriften handelt, besteht
Angela Forbes.
kein Zweisel darüber. Anders könnte es bei einer Theateraufführung
sein Das Gesetz kennt an sich den Begriff einer unzüchtigen
Interessante Schilderungen eines Hocharistokraten.
Theateraufführung nicht. Es müssen deshalb den Darstellern
Lady Angela Forbes, die Tochter des Lord Roßlyn und
Handlungen nachgewiesen werden können, die geeignet wären,
Halbschwester der Counieß of Warwick, eine einst sehr schöne und
das Schamgefühl eines normalen Menschen zu
noch immer sehr amüsante,
geistreiche Angehörige des englischen
verletzen. Bei einer Aufführung könnten auch unter Um¬
Hochadels, hat soeben im
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