II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1085

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11. Reigen
Helikreion.
Stadttheater.
„Reigen“ von Arthur Schnitzler.
„Beobachtungsgabe kann nur ein selbstlos=aüfrichtiger
Mensch besitzen. Denn um die Dinge zu sehen, wie sie sind,
darf man sich ihnen nicht mit einem persönlichen Interesse
nähern.“
Diese Worte des Franzosen Flaubert hätte sich der Vor¬
stand des nationalen Frauendienstes, Pächter der Sittlichkeit
aus eigener Machtvollkommenheit, und ein Teil des gestrigen
Theaterrublikums einige Dutzend Male vorsagen sollen, um
nicht selbst mit der Geste dieser gepachteten Moral oder des
unmotivierten Gelächters selbst ein Gegenstand des Lächelns
zu werden.
Denn dieser Reigen ist letzten Endes Beobachtung mit den
scharfen Augen des Arztes Schnitzler, der nicht ober¬
flächlich durch Mantille, Bluse und übrige Gewänder den
chronischen Herzsehler „mooerner Moral“ feststellt, sondern
seine Diagnose an der „Nacktheit“ vornimmt. Und das ist eine
Aufrichtigkeit, die die Fäulnisse der Gesellschaft, der unteren
und oberen, in den zehn Dialogen rücksichtslos aufdeckt. Es
gehören nun eben ernste Augen dazu, um in die Tiefe zu
chauen und nicht ängstlich zugekniffene oder im Feixen ge¬
schlitzte, diese Satiren zu verstehen. Die ist Schnitzlers Reigen.
Ihm aber, dem Satiriker selbst, den offenen Vorwurf der Wür¬
delosigkeit zu machen, beweist die Verständnislosigkeit der An¬
greifer gegenüber dem satirischen Temperament, das letzten
Endes einen starken Willen zum Guten in sich birgt.
Gar mancher, der mit Hoffnung auf Kitzel die gestrige Auf¬
führung sah, wird nicht auf seine Rechnung gekommen sein.
Ein Lob für die Regie Direktor Zieglers
der
die Schärfen des Manuskriptes, eigentlich nur zur Lektüre be¬
stimmt, dezent durch Streichungen und durch Fallen des alles
beschönigenden Vorhanges herabminderte, wo der Autor rest¬
los die roten Liebesmäntel der Gesellschaft vom ängstlich ge¬
hüteten Leibe reißt: „Das ist euer eigenstes Gesicht!“
Mit geistigen Feigenblättern schafft man keine Klarheiten,
auch wenn unentwegte Nuditätenschnüffler ängstlich Hamlets
Worte umwerten: Schwein oder nicht Schwein, das ist hier
die Frage! Um das entscheiden zu können, empfehlen wir allen
jenen den Besuch der nächsten Reigenvorstellung
Dramatisch gewertet muß Schnitzlers Werk zusam¬
menfallen. Es bleibt eine Episode, ein Reigen in zehn Touren
vom Schiebertanz der Dirne und des Soldaten bis zum Jazz
des Grafen und der Schauspielerin und letzten Rausschmeißer
des Grafen und der Dirne. Dazwischen die Schnitzlerche
„Sehnsucht nach Tugend“. Mancher wird sagen „Viel Deka¬
dence“ wenn dieses Wort nicht eine Eielsbrücke für das sitt¬
liche Weltbild der Gegenwart wäre. Es waren doch nicht alle
Zeiten dekadent, nicht wahr? Zeitbilder nur, aber typisch,
wiederkehrend vom augustischen Reiche über Flagelanten,
August den Starken, französisches und deutsches Rokolo bis
zum Heute. Dekadent?
* * *
Und dabei schritten wir weiter.
Wie jubeln diesem Reigen nicht zu. Aber wir wenden
uns gegen die von gewisser Seite angestrebte Sittlichkeits¬
zensur, die das Sexualproblem, das ans Licht gehört, zum
Kellerpflanze mit dem Mantel eingebildeter Sittlichkeit zu er¬
sticken sucht.
Der Dank, dem die Stirn geboten zu haben, gebühhrt dem
Leiter des gestrigen Abends, Nolf Ziegler. Man fühlte,
es war gearbeitet worden in Szene und Spiel. Die Bühnen¬
bilder trugen die Intimität der Schnitzlerschen Gespräche, Ba¬
nales fein gedämpft, Pikanterien im Ausmaß vom Gazevor¬
hang abgeschnitten. Es gibt also auch Geschmack mit einsachen
Mitteln.
In diesem Rahmen standen die Spieler gut. Anne¬
mnarie Zeyß als Dirne des ersten und letzten Bildes, die
honigsüße Dirne“ von der schon Jesus Sirach erzählt.
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Schnitzlersche Probleme der grauen Vorzeit!
Hans
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Rathmann als Soldat, wie vorgezeichnet, der etwas
plumpe Kavalier, dann wieder abstoßend und robust. Seine
Breitschultrigkeit hebt sein Spiel, wenn er mit kurzer Schulter¬
bewegung sein: „Laß dir noch ein Bier geben!“ herausknurrt,
Annemarie Eggert nimmt das mit Verblüfftheit der
Unerfahrenen und Verratenen hin. Die ihr sonst anhaftende
Unbeweglichkeit kam ihr in der Eckigkeit des Stubenmädchens
gut zu statten, wenn sie dem jungen Herrn des Otto Ma¬
thies zu Willen sein muß. Er war nicht, wie einer aus dem
Publikum bemerkte, zu waschlappig, sondern gab gerade damit
der Entnerotheit des jungen Herrn guten Ausdruck. Bewun¬
dern muß man das junge Frauchen der Harriet Domker
olcher männlichen Entnervtheit zu verfallen. Sie war nun
eben das kleine Dummchen, dann wieder das versteckte
Schlängelchen, wenn sie mit Sehnsuchtsaugen dem Worte ihres
Ehegespenstes, von Bruno Rings fein verkörpert, folgte:
„Nur wenige erinnern sich noch nach fünf Jahren an ihr
Venedig. Rings Stimme klingt tief und angenehm. Auch im
Chambre separee zur Seite des süßen Mädels. Wirklich ein
fütee Mädel, die Lilly Rapp. Lachen, waschechter Weaner
diglekt. Witz. Bewegung:
tung. Kein Wunder, wenn 9
lausenden Augen als Herr B
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tigs unterlegen fühlte. Er
ner Partnerin ab. die mit
registern meinem Ohr gerade
man keine Satire, auch wenn
mut. Der Graf des Nichar
theater in Wien stapfte schne
Boudoir und Dirnenhaus her
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Daß man in Publikumskr
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