II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1117

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Reigen

Gresüuer Nachrichten
O
ein an sich durchaus brauchbarer Künstlerwitz, einmal so nach
Art des Totentanzes sub specie veneris durch dieses sich
Saulies „Reizer im Pstden¬
selbst ironisierende Leben zu walzen. Und mit der scharfen
Wirklichkeitsbrille, mit der er alles das sieht, mit seiner
Theater.
wienerischen gemütlichen Weibchengrazie und seiner spiele¬
Wer am gestrigen Freitag abend das überausverkaufte
rischen Artistik weiß ein Kenner und Könner wie Schnitzler
Haus in der Zirkusstraße hatte füllen helfen, war sich von
ja solche Dinge auch ohne alle Zweifel zu zwingen. Aber
vornherein völlig im klaren, was ihn erwartete. Jeder, der
die völlige Eindeutigkeit sämtlicher vorgeführten Typen
sich für seine Handvoll Papierscheine einen Platz erstanden
beiderlei Geschlechtes, die durch nichts so treffend gekenn¬
hatte, hatte von der Theaterleitung einen gedruckten Revers
zeichnet werden, als daß am Anfang und am Ende der
mitbekommen, durch den er sich ausdrücklich verpflichtete,
Serie die Dirne steht, muß in ihrer fortgesetzten Wieder¬
keinerlei Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens laut¬
holung trotz aller Espritkrampfigkeit des Dialogführers er¬
werden zu lassen; andernfalls wurde ihm mit einer Klage
müdend, ja schließlich Uebelkeit erregend wirken. „Das Böse
wegen Hausfriedensbruch gedroht; auch stand auf diesem
ist nicht Sinnlichkeit, sondern sublimierte, zur Maxime er¬
Handzettel, der für die Dresdner Theatergeschichte jeden¬
hobene Sinnlichkeit,“ sagt Vischer in seiner Aesthetik. Doch
falls etwas völlig Neues bedeutete, bemerkt, daß die ge¬
wozu sich über im Grunde so furchtbar einfache, jeder kunst¬
kaufte Karte von dem Inhaber selbst benutzt werden müsse,
philosophischen, ästhetischen Problematik bare Erzeugnisse
also nicht weitergegeben werden dürfe, sowie, daß die Herr¬
einer Dekadenzperiode der Literatur weiter Gedanken
schaften, die das zweite Jahrzehnt ihres Lebens noch nicht
machen? Man kann in der Literaturgeschichte diesen Reigen
hinter sich hatten, gefälligst draußen zu bleiben haben. Man
Arthur Schnitzlers noch so bestimmt unter das Kapitel
war also hübsch unter sich und wußte, um was es sich
solange
pornographischer Entgleisungen einrubrizieren —
handelte.
es als ein Beweis fortgeschrittensten Kulturwillens gilt,
Natürlich kann der Chronist unter solchen Umständen
die wilden Hunde, die im Keller der Seele vor Lust bellen
nichts davon berichten, wie etwa die Aufnahme des Stückes
in die Freiheit der Kunst zu lassen, so lange wird keinerle
nun in Dresden gewesen sei. Denn ein Publikum mit der¬
Rede und Schreibe daran etwas ändern. Aber verübeln
artigem Zwangskurs wird sich hüten, wider den Stachel zu
soll man es auch niemandem, wenn er bei aller Genü߬
lecken, zumal ein beträchtliches Aufgebot uniformierter
freudigkeit in Dingen der Kunst und der Liebe doch nach Ab¬
Sicherheitskommissare im Hause wie auf der Straße dem
solvierung dieser fünffachen szenischen Doppelvergattung zu
Laufzettel der Direktion einen sichtbarlichen, energischen
Hause still seinen Zarathustra aufschlägt und im Kapitel
Nachbruck verlieh. Und so ist denn auch von dem äußeren
von der Keuschheit anfängt zu lesen: „Ich liebe den Wald.
Verlaufe der Dinge nur zu vermelden, daß die zehn, ohne
In den Städten ist schlecht zu leben: da gibt es zu viele
Pause mit Zwischenmusik rasch hintereinander sich folgenden
der Brünstigen. —— Und seht mir doch diese Männer an:
„Dialoge“, wie Schnitzler seine Reigentouren nennt
ihr Auge sagt es — sie wissen nichts Besseres auf Erden,
heiliger Plato!
—, mit gebührender Ruhe und Selbstver¬
als bei einem Weibe zu liegen. Schlamm ist auf dem
ständlichkeit geschluckt wurden und daß sich das Theater nach
Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar
vereinzelten Beifallsversuchen rasch ohne Zwischenfälle leerte.
noch Geist hat — —
Mit der gleichen Raschheit und Selbstverständlichkeit
Bleibt noch die Aufführung. Und die war vom Leiter
könnte man auch über das für Dresden neue Werk hinweg¬
Hubert
Direktor
dieses Berliner Gesamtgastspiels,
gehen. Wer die sensationelle Berliner Vorgeschichte des
Reusch, mit Sorgfalt vorbereitet und kam dem Kammer¬
„Reigens“ kennt, weiß, um was sich die Achse der Fabel
stile, der hier verlangt werden muß, nach Möglichkeit nahe.
und ihre Figuren drehen. Und wer sie nicht kennt, der
Szenisch in den mehr oder weniger stilisierten Dekorationen,
braucht sich nur die Mühe zu nehmen, den Theaterzettel
der knapp und klar das Wesentliche betonenden Aufmachung,
von Anfang bis zu Ende genau zu lesen und sich dabei zu
darstellerisch in einer gewissen wohltuenden Abgeschliffen¬
heit des Tones des Ganzen, aus der nur hier und da
Höhepunkt in dem findet, was der Dichter des Othello „das
Die Damen
störende Minderwertigkeiten herausfielen.
Tier, mit den zwei Rücken“ nennt, und er braucht sich über
Maria Holm, Elvira Bach, Sybil Smolowa, Poldi Müller
das literarische und künstlerische Wie und Was des Werkes
und Jutta Versen und die Herren Hugo Claus, Heino
nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Das ist ja überhaupt
der grüßte Vorwurf, den man dem Verfasser machen muß: Thiele, Walter Tautz, Kurt Mikulski und Gustav Heppner
die völlige Problemlosigkeit seines Bilderbogens und aller gaben den einzelnen, bei der Klarheit und Problemlosigkeit
der Tänzer und Tänzerinnen seines Reigens. Es ist gewiß der „Charaktere“ freilich von vornherein kaum zu verfehlen¬
den Typen, was sie an
würdigkeit verlangten.
keit kam das süße Mädel
Humor hatte Jutta Ver
Von der Begleitmusik
Schnitzlerschen Schwüle in
gen Mischung von Tanz
1
sucht, ist die Einführung
am Schlusse wiederkehrt,
für den Abend Bezeichn
am Ausgang, das Ganze
bejahenden, lebensheische
mitten