II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 2

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10. Das Vernaechtnis
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Ausschnitt
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103.
Nr. 30
„OBSERVER
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Ausschnitt aus:
„uar Terreichische Volkszeitung“
vom 1/18.55
Theater- und Kunstnachrichten.
„Das Vermächtniß.“
Schauspiel in deri Alten von Arthur Schuitzler. Zum erstenmale auf¬
geführt im Burgtheater am 30. Neormber.
Es ist das größte Verdienst unserer jungen Bühnen¬
dichter, daß sie uns Alten die Wehleidigkeit im Theuter
abgewöhnen. Mitleidige Aerzte machen faule Wunden.
Das ist der Grundsatz unseres chirurgischen Zeitalters,
den mit Recht auch unsere sozialen Heilkünstler zu dem
rihrigen gemacht. gleichviel ob sie sich die Rednertribüne, den
Lesetisch oder die Schaubühne zu ihrem Operationsgebiet
ausersehen haben. Wer die veralieten Uebel und Gebreste
unserer Gesellschaft bei der Wurzel fassen will, der darf
nicht erst lange nach den Nerven des Patienten fragen.
Darum wären wir die Letzten, Arthur Schnitzler aus
der Nervenpein, die er uns in seinem neuesten Schau¬
spiel „Das Vermächtniß“ auferlegt, einen Vor¬
wurf zu machen. Sterben sehen ist allerdings kein
Kinderspiel, und der Dichter des „Vermächtnisses“ fängt
damit an, uns das Sterben mit all seinen schreckhaften
klinischen Details zu zeigen.
Während der größeren Hälfte des ersten Aktes
zwingt uns der Autor an das Todtenbett des jungen
Hugo Losatli, damit wir Zeugen seien seines letzten
Wunsches, es hören, wie er sterbend seinen Eltern das
Versprechen abnimmt, seiner Geliebten und seinem
ledigen Kinde in ihrem eigenen Hause eine Heimstätte.
inclusive
Fer
50 7 zu bereiten., Man mag darüber streiten, ob es nöthig
Porto.
Zahlbar
100 fwar, zum „wecke dieser Exposition ein pathologisches,
im Voraus
200 Sterben auf der Bühne zu veranstalten, schließlich be¬
500
hielt doch der Dichter Recht, weil er die peinlichepuille ist de¬
" 1000 lAufgabe mit hohem künstlerischen Geschick gelöst.h steht es den.
i und den Zuschauer nicht allein mächtig ergriffen,, ändern.
Abonnen sondern dessen Theilnahme an dem Schicksale der Ver¬
Abonnen waisten durch die Unmittelbarkeit der Anschauung auch
viel kräftiger geweckt hat. Dieser erste Akt, der beste desg
Stückes, zählt auch zu dem Besten, was der begabte:
Autor=bisher für die Bühne geschrieben hat, denn es
dünkt uns der erste vollgiltige Beweis dafür, daß der
Weistvolle Nopellist und Bühnenplanderer Schnitzler auch
sein Dichter von dramatischer Gestaltungskraft ist.
Leider versiegt in den folgenden Akten diese dramatische
Kraft vollständig und mit ihr das Interesse an dem
Prohlem, das sich der Autor gestellt hat. Die Frage
job die Macht der elterlichen Liebe den Wunsch des ver¬
storbenen Sohnes zu erfüllen und das Gefühl der
Pflicht gegen seine ledige Witwe und deren Kind stark
genug sind, dem gesellschaftlichen Vorurtheil zu trotzen.
wird vom zweiten Akte jab fast ausschließlich in einer
Reihe von Bühnengesprächen der Betheiligten abge¬
handelt. Die Stimme des Vorurtheils wird in dieser
Tisputation von zwei trefflich beobachteten und äußersi
lebensvoll gezeichneten Figuren repräjentirt, dem alten
Professor Losatti und dem Verlobten seiner Tochter,
einem jungen Arzte, während die Schwägerin Losatti's
und seine Tochter Franziska, die Braut des Arztes, die
Sache des Gewissens und der Menschlichkeit führen.“
Gewissen und Menschlichkeit bleiben im Vortheil und
Toni mit ihrem Kinde im Hause des Professors, so
lange dieses Kind am Leben ist. Mit dem Tode des
Kleinen jedoch, d. i. nach Schluß des zweiten Aktes, siegt
das Vorurthei Tom wird sanft ab