II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 77

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10. Das Vermaechtnis
— Schnitzler's Problem im „Vermächtniß“ ist vielleicht Egoisten gilt, stößt Francisca ihren Verlobten, den Doctor, fand beim Publicum die volle Schätz
zu sehr aus dem speciellen Falle und für den speciellen Fall von sich. Das Publicum geräth außer Rand und Band, Dichter Liebe über sein spitzes Problck
construirt, um allgemeine moralische Folgerungen zuzulassen. als sei das Problem gelöst. Thatsächlich hat der Dichter
stellung war, von dem vornehmen G
In seinem „Anatol“ schon und in seiner „Liebelei“ sind die aber das Problem uns längst schon entzogen. Es existirt
einflußt, edel abgestuft und hob sich
Vorgänge oft nicht allein nur in einer bestimmten Stadt, am Schlusse nicht mehr; was uns noch fesselte, war einzig
Burgtheater unter Schlenther's Direct
sondern nur in einem ganz bestimmten Stadtbezirk, ja die Kunst des Dichters, auf einer Rechnung ein ästhetisch
[Hartmann hatte großen, wohlver#
vielleicht nur in einer bestimmten Vorstadtgasse möglich.werthvolles Gebäude aufzurichten.
trefflich gezeichneten Vaterrolle. Der
Das ist eben Schnitzler's Art, Stoffe zu individualisiren.
Diese Kunst Schnitzler's ist von nicht gewöhnlicher
gang wird dem Künstler gewiß noch
Ein anderer Hugo hätte auf dem Todtenbette die Mutter
Vornehmheit und Stärke; sie stünde uns über dem Problem,
erschließen. Die Damen Schmir
vielleicht nur beschworen für die Geliebte und as natür¬
selbst wenn es allgemeiner gefaßt und nicht bloß an die ganz Bleibtreu, Medelsky und M
liche Kind zu sorgen. Der Hugo im „Vermächtniß“, denkt besonderen durch den Tod des Kindes verschärften Vorfälle lerischem Einvernehmen das Schaus
schon ganz eigen, da er die Geliebte und das Kind nach eines einzelnen Hauses geheftet worden wäre. Das Können Frau Hohenfels mit ihrer auff
seinem Tode in die Familie aufgenommen wissen will. Nun des Dichters beweist uns der vorzüglich sich entwickelnde erste Empfindung durchglühten Schlußred
hätten wir das immer noch allgemein menschliche Problem, Act mit der genialen Ueberleitung zur Katastrophe. Die Herr Treßler bot eine fleißige Ste#
wie die Familie zu dem neuen, nur durch den letzten Wandlung in der Scene am Fenster ist das Werk einer[Römpler und Paulsen waren
Wunsch eines Todten legitimirten Familienmitgliede sich echten Dichterseele — mag immerhin Herr Lewinsky in seinem[Devrient aber verdarb seine gefäh
stellen werde. Schnitzler spitzt aber das Problem noch Regisseur=Danke nur den „Autor“ gelten lassen. So weitser kommt über die Schablone des 4
schärfer zu; er zieht den Kreis, auf dem das Stück sich Schnitzler's uns längst vertrautes Können. Eine bisher noch hinaus und wird wohl nächstens,
bewegt, noch enger. Das Kind soll sterben, obzwar im nicht beobachtete Reife seiner Kunst gewahren wir aber in Publico alle Zweifel an der Grausan
Allgemeinen Kinder einer frühen und freien Liebe sich am den nächsten Acten, da die Spannung der stofflichen Frage benehmen, in roth gefüttertem Salon
stärksten zu entwickeln pflegen. Wie wird sich nun die immer lockerer wird und die technische Gestaltung immer
aund Kder
Familie zur Mutter stellen? Auch jetzt hat das Problem kunstvoller, so daß sie uns Vorgänge vortäuscht, während
noch keine Ruhe. Die weiblichen Mitglieder des Hauses nur eben die Handlung sich abrollt. Mit Ausnahme des
Concerte.
stehen bei der unglücklichen Mutter, der Herr des Hauses Doctors, den übrigens Herr Devrient aus dem Rahmen
(Der Einzug der Streichquartette. — Die
aber von der vereinigten Linken, der eine Vereinigung zur des gut abgestimmten Ensembles hinausspielte, ist jede Gestalt,
Busoni. — Fitzner.
Novitätennoth. —
Linken bei Anderen verabscheut, ist trotzdem weich und vor allen die des Hausvaters, meisterlich gezeichnet. Das
und Uhl. — Marcella ##
unentschlossen. In Wahrheit wird der Kampf gegen die
Wort wirkt tief, wird niemals flach oder zur bloßen Phrase.
I. W. Nicht geschmückt mit Blume
Mutter von dem früheren Erzieher Hugos, von dem Doctor
Die Motive sind aus dem Kern der Charaktere entwickelt.
„Narcissetto, Adoncino d’amor“, nicht ums
geführt, der Hugo wegen seiner Lebenslust gehaßt hatte und
Wo zur Erzeugung der Stimmung Gegenstände mithelfen,
Frauenaugen wie ein sieggewohnter Virtuo
in der Geliebten Hugos den Aermsten noch über den Tod
wie beim rührenden Einpacken der Spielsachen des todten erwartet von einer weihevoll gestimmten Z
hinaus verfolgt. Der Doctor ist der Mächtigere, ihn stützt Kindes, ist diese Stimmung doch rein und edel herbeigeführt und dankbar begrüßt von den Freunden e#
nicht allein die Convention, sondern seine Brutalität. Das und immer aus der Situation geschaffen. Es ist keine ge= traten die wohlbekannten Mitglieder
Problem hat sich aber von dem engen Kreise nun nur noch ringe, in der Tonkunst fast unmögliche Aufgabe, durch drei consortien, geführt von Hellmesberger, R###
letzten Wochen vor ihr Publicum, um einr
auf einen Punkt concentrirt, es ist uns beinahe ent=Acte sich einzig in Moll-Harmonien zu bewegen und doch der reinsten Tonkunst erfolgreich forlzusetzen
schwunden. Schließlich stehen sich nur zwei Menschen und die Gefühle der Hörer aufrecht zu erhalten. Schnitzler's be¬ Tagen Carl Hofmann mit seinen Böhmen
nicht zwei Sitten mehr gegenüber. Die Geliebte muß aus sonnenes dichterisches Walten hat's zuwege gebracht. Er dermalen eine Wiener Concertsaison gar n
dem Hause und geht ins Wasser. Mit einer Fanfare, welche modulirte kunstvoll und discret, auch wo er, um die Span= vollwerthig gehalten werden könnte Es ist
gar nicht mehr dem Problem, sondern dem brutalen nung zu erneuern, Leben brauchte. Sein Ernst, sein Können welcher keineswegs eine Minderschätzung