II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 93

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10. Das Vernaechtni#
vollendet ist, und dessen figurate. geichnung die deei Parzen — Publicum hat sich kühl gegen ihn verhalten. Viel mag dabei al¬
den äußeren Umständen gelegen gewesen sein. Aber fragen wir uns
wir für die Wiedergabe eines Burne=Jones hietten. Das ist es
ehrlich — wenn er auch 1892 im Burgtheater alle die anderen Rollen
aber nicht, sondern der originale Entwurf der Künstlerin. Wer
gespielt hätte, in denen er jetzt aufgetreten ist, würde er so auf
das alles zusammen kann, ist freilich bewundernswürdig. Warum
uns gewirkt haben, wie heute? Ja, noch mehr, wie wäre wohl
aber sollte eine treffliche Stickerei sich nicht auch das größte Ver¬
sein Romeo, der so gar nichts von dem traditionellen, mit Cravattel¬
dienst erwerben, wenn sie einen wirklichen Burne Jones in ähn¬
tenor behafteten schmachtenden Jüngling an sich hat, ausgenommen
licher Weise wiedergeben wollte? Warum sollen die köstlichen
worden, hätte er sein Gastspiel 1897 mit ihm begonnen? Es muss
Eckmann'schen Zeichnungen nur in Scherrebecker Wandteppichen
sich also von 1892 auf 1897 etwas geändert haben, und es muss
reproduciert werden? Warum müssen die Pölster unserer englischen
sich auch seit seinem ersten Auftreten etwas geändert haben. Und
Sitzmöbel gerade nur mit dem bedruckten Sammt in den gro߬
da sich er in den paar Jahren kaum wesentlich geändert haben
blumigen Mustern nach Morris überzogen sein, und warum stellen
dürfte, muss sich in uns etwas geändert haben: und das kann,
wir uns dieselben, liebgewordenen Musierungen nicht in Stickerei her?
bevor er hier seine Kunst zu zeigen begann, nicht durch ihn
eine Größe unter den
Der Bildhauer Hermann Obrist
geschehen sein, während wir von seinem Debut ab allerdings auch
Männern der neuen kunstgewerblichen Bewegung in Deutschland¬
mit dem Einflusse seiner Art auf uns werden zu rechnen haben.
befasst sich derzeit speciell mit Entwürfen für Stickerei: Berlepsch,
Und die Sache ist eigentlich ganz klar. Erinnern wir uns doch nur,
Riemerschmied, Pankok in Deutschland, in Wien, allerdings no¬
wie befremdend die ersten Dramen Hauptmanns auf einen großen
versuchsweise, Roller, Olbrich, Lerter, Urbau, Hofmann, Mose¬
Theil unsers Publicums wirkten, erinnern wir uns doch nur,
haben in dem Fache schon gearbeitet und geben uns in verschwen¬
welche Ctappenpolitik man im Burgtheater befolgen musste, um
derischer Fülle ihre oft geistreichen, scheinbar tändelnden und doch
von Ibsens „Volksfeind“ zu „Klein Eyolf“ und der „Wildente“
so wunderbar klar empfundenen und durchdachten Flächenornamente,
zu gelangen, ja erinnern wir uns, welch verschiedene Aufnahme
ihren modernen Buchschmuck, Stilisierungen von heimatlichen Ge¬
dieselbe „Wildente“ innerhalb weniger Jahre im Deutschen Volks¬
wächsen, Thieren und Figuren in märchenhaften Linien und einfache
theater, wo sie abgelehnt wurde, und im Burgtheater, wo sie ein
größartig wirksam gegeneinander gestellten Farben. Alle diese in jeder
obwohl derselbe
Cassastück ersten Ranges wurde, erzielte:
mann zugänglichen Druckwerken verstreuten Kunstwerke sind ja i
Mitterwurzer beidemale den Hjalmar und ihn gewiss auch beide¬
man sehe nur den gestickten Paravent im Jaray
dazu geschaffen—
male mit gleicher Kunst in gleicher Art spielte.
Zimmer des Museums dass wir sie in das Milien unseres Haufes
Unser Geschmack hat sich eben geändert, und er ist
rücken, sic ohne jede Schwierigkeit in glänzende oder mattschimmernde
geändert worden durch das moderne Drama. Das konnte aber nicht
Seide übersetzen können, dieses unendlich bildungsfähige und künst¬
geschehen, ohne dass nicht auch unsere Anforderung an die Schau¬
lerische Ausdrucksmittel. Dem modernen Geschmacke gemäß fügte sich
spielkunst geändert und diese selbst beeinflusst worden wäre. Wie
dergleichen als Wandbehang, Polsterung oder Paravent leicht in¬
sollte man durch Pathos wirken, wenn den Reden das Patheiische
die Gesammtheit des Mobiliars, verausgesetzt, dase man nicht etwa
fehlte, wie durch Declamation von Monologen entzücken, wenn die
hier auch wiederum die beliebten Gewaltthaten der stickenden Damen
Stücke keine Monologe enthielten, wie durch Herausbrüllen der
verübt, Muster in irgend eine Form hineinzupressen, mag sie zu lang
Abgangsworte und der Actschlüsse frenetischen Beifall entzünden,
oder zu kurz dafür sein, und den überschüssigen Raum durch irgend¬
wenn die Dichter „Abgänge“ und stilisierte „Actschlüsse“ vermieden?
ein anderes Schnörkelchen auszufüllen. Da ist alles Architektur, be¬
Wer in Ibsen, in Hauptmann gefallen wollte, mufste sich nach
kanntlich eine Sache, die der zehnte Architekt nicht recht kann. Jeder
anderen „Wirkungen“ umsehen, er wurde zu einer anderen Spielweise
Fehler, Mangel und Reizlosigkeit einer Zeichnung, tritt in der präten¬
gewaltsam hingedrängt: wenn ihm überhaupt noch zu helfen war,
tiösen Ausführung durch Handarbeit doppelt antipathisch hervor. Der
musste er Wein in sein Wasser schütten — oder doch so thun als
moderne Stil soll individualisierend und sachgemäß sein, das heißt:
thäte er es. In diesen Umbildungsprocess fiel das Gastspiel und
man will nicht in jeder Wohnung die nämlichen Sachen finden,
Engagement Ferdinand Bonns am Burgtheater. Bonn hatte ein
und nichts, was für seinen Zweck unpassend aussieht, jede Ver¬
ganz richtiges Verständnis für die geweckten Wünsche, für die ent¬
zierung soll Sinn haben und eine gewisse Gesammtstimmung her¬
standenen Bedürfnisse: er wollte das, was Kainz kann. Und so
vorbringen. Man wird Stickerei mehr als jemals verwenden, aber
gefiel er jenen, die sich über ein beiläufiges Zusammentreffen ihrer
nur dort, wo Polsterung und Stoffflächen unbedingt gestickt sein
theoretischen Wünsche und der von ihm, oft mit mehr Selbstbewusst¬
müssen, nicht Deckchen an allen Enden und Behänge für Plätteisen
sein als Klugheit, promulgierten Thesen bereits klar geworden waren
und Essigkrug, wie bisher!
und darüber seine unfertige Fahrigkeit übersahen, und mißfiel
Die Frauenhandarbeit stehe also heute vor ganz anderen,
jenen, denen sein Können nicht genügte, wie auch jenen, die der
größeren Aufgaben, wenn sie dieser ehrenvollen Berufung recht
„modernen Art“ überhaupt abhold waren. Man mag über Bon
nachkommen will. Keine tausend Kleinigkeiten, sondern große, wert¬
selbst denken wie man will, sein Engagement am Burgtheater war
volle, wohlüberlegte Werte, bei denen man einen rechten Künstler
jedenfalls eine nicht unwichtige Phase in dem Wandlungsprocesse,
zu Rathe ziehen soll nicht den Stickereihandlungscommis und
den unser Geschmack in den letzten Jahren durchgemacht hat. Und
nicht das eigene lannenhafte Köpfchen. Respect vor dem Entwurfe
als Mitterwurzer kam, begrüßten wir ihn schon mit ganz ande¬
des Künstlers, dessen Gedanken unsere Hand beseelen sollen, dann
ren Augen, als mit denen wir ihn seinerzeit scheiden gesehen hatten.
werden wir eine neue Blütezeit der Wiener Stickerei haben, wie
Damals war er vielen nur als ein genialer, verrückter Querkopf
zur Zeit der Wiederbelebung alter Handarbeitstechnik, von der wir
erschienen. Jetzt erkannten wir ihn als ein Genie. Er mag sich ja
das alles gelernt haben, was wir jetzt brauchen können. Der unver¬
auf seinen langjährigen Gastspielreisen, bei denen andere verschlampen
kennbare Einfluss der leitenden Hand, der gegenwärtigen Richtung
und zugrunde gehen, „abgeklärt“ haben. Aber sollte der Unter¬
im Oesterreichischen Museum hat sich also auch in diesem erst
schied zwischen dem Mitterwurzer von einst und später wirklich so
zu schaffenden Fache glänzend bewährt, und wenn wir uns nicht
groß gewesen sein? Das ist kaum anzunehmen; daran, dass wir uns
abermals erst von außen her belehren lassen, sondern der neuen
ändern, pflegen wir ja meist nicht zu denken, und so buchten wir
Führung willig folgen wollen, können wir Frauen selbst mitbauen
einfach die Differenz im Resultat ganz auf seinen Conto. Mitter¬
an dem Werke einer neuen Wiener Kunst.
wurzer war uns eben mit genialer Intuition vorausgeeilt, und
Natalie Bruck=Aufsenberg.“
wir können uns glücklich schätzen, dass wir ihm, leider in der
zwölften Stunde, noch so beiläufig nächgekommen sind. Und welchen
Widerspruch fand Mitterwurzer anfangs noch bei einzelnen, so als
Burgtheater. 544
König Philipp, als Franz Moor!
Die Kainz=Woche (21. bis 26. November 1898). — „Das Vermächtnis“,
Nun, und kaum anders wäre es Kainz ergangen, hätte er#
Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler (30. November 1898).
sich im Burgtheater als Romeo eingeführt, nicht zu reden davon, ##
wie seine Aufnahme als Mortimer, Romeo, Franz Moor, sagen wir?
1T an hat jetzt Kainz in Wien kennen gelernt. Er spielte Ernesto
im Jahre 1892, gewesen wäre. Die Hauptsache ist, er kam, wurde
in „Galeotto“ (8. October 1897), Teja, Fritzchen, der Maler
gesehen und siegte. Welch weites Reich des Könnens hat uns dieser
—in „Morituri“ (10. October 1897 und 24. November 1898), Hamlet
Künstler nur in der Verschiedenartigkeit der Rollen gezeigt! Und
(13. October 1897), König Alfons in der „Jüdin von Toledo“
dabei spielt er noch den Faust und — im Lumpazivagabundus!
(14. October 1897) Mortimer in „Maria Stuart“ (21. Novem¬
Und diese Kunst der Rede, diese Kraft der Charakterisierung, diese
ber 1898), Franz Moor in den „Räubern“ (22. November 1898),
geistige innere Gewalt, mit der er immer unser Interesse in höchster
Leon in „Weh' dem, der lügt“ (25. Noyember 1898) Romeo
Spannung erhält, auch wenn wir ihm einmal widersprechen möchten!
126. November 1898). Gesehen hatte man ihn schon früher in
Aber wir dürfen nicht ungerecht sein gegen andere. Der Unter¬
Wien. Ich denke da nicht an die Zeit, als Kainz vor so und so
schied im künstlerischen Können zwischen ihm und vielen anderen ist
viel Jahren an einer kleinen Winkelbühne seine schauspielerische
groß, aber nicht der ganze Unterschied in der künstlerischen Wirkung
Thätigkeit begann — wenn ich nicht irre, just an dem Tage, an
beruht auf ihm. Kainz bedient sich im Wettbewerb noch eines
dem er 1897 zu seinem ersten Gastspiel am Burgtheater in Wien
andern Mittels, eines Mittels, das man gewöhnlich nennen könnte,
sondern ich denke an die Tage der „internationalen
eintraf
wenn es eben an manchen Orten nicht ungewöhnlich wäre, eines
Musik= und Theaterausstellung". Am 7. Mai 1892 spielte da
Mittels, das man, wenn er es nur hier benützt hätte, geradezu
Kainz den Fernando in „Stella“. Er spielte dort einmal und nicht
wieder. Die Kritik hat ihn damals achtungsvoll behandelt, das diabolisch nennen müsste: der Mann lernt nämlich seine Rollen