II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 105

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10. Das Vermaechtnig
o's und seine Hugo würde das Verhältniß früher oder später selber, dacht, der aus dem Elternhause um seinetwillen ver- verscholl, berechnet war. Aber es wäre doch
terben Hugo's gelöst haben. .. Wohin sollte es führen wenn wir stoßenen Geliebren und seinem unehelichen Kinde wünschenswerth, wenn ein Dichter von so starker
#ngen erhöhen „alle diese Weiber ins Haus nehmen wollten! ...
einen ehrlichen Namen zu geben. Die ganze Moral Begabung wie Schnitzler weniger mit den Gleichheits¬
ion, aber es Dieser große Phrasendrescher kennt doch auch die Welt. des Drama's ist schief und verschroben. Die Gruppe
neigungen der großen Masse kokettiren wollte. —
er Zug durch „Alle diese Weiber“ — das sind die Geliebten uuster jüngerer Schriftsteller, zu der auch Schnitzler gehört,
Ueber das neue Blumenthal=Kadelburg'sche Lust¬
ffen und er= Söhne. Sie brauchen keine Geliebte zu haben, aber liebt es, sogenannte wilde Ehen im Lichte dichterischer spiel „Auf der Sonnenseiteist nicht viel zu sagen.
sie haben sie dennoch. Ich vertheidige die Sitten= Verklärung zu schildern. An sich läßt sich nichts da= Schnitzler bot uns eine von Grund aus verfehlte
kr die Erwar- losigkeit nicht, aber ich kann der laxen Auffassung des gegen sagen, obschon sich dem zu Tode gehetzten! Arbeit, die man aber trotz alledem literarisch ernst
klammert sich Herrn Schnitzler von dem, was wir mit Recht „gute Thema kaum noch neue Seiten abgewinnen lassen — nehmen muß; Blumenthal-Kadelburg haben mit der
Apologie der Sitte“ nennen, ebenso wenig Empfinden entgegen= aber man darf nicht Wahrheit und Ehrlichkeit so Literatur nichts zu schaffen, doch auch mit ihrer
ihm in keiner
bringen. Der große, große Fehler seines Dramasist rücksichtslos an die Wand drängen, wie dies Schnitzler Lustigkeit scheint es vorbei zu sein. In der Première
etzten Wunsch der, daß der Verfasser uns nicht einen Ausnahmefall
gethan hat. Vom sittlichen wie vom national- am Sonnabend soll sich ei starker Widerspruch ge¬
Ebte und Kind vorführte, sondern für die Allgemeinheit seine neue
öconomischen Standpunkte aus ist das, was regt haben; in der zweiten Vorstellung am Sonntag,
ihre Arme — Moral zu predigen versuchte. Wollte er uns für seine
Schnitzler zu vertheidigen sich abmüht, einfach zu die ich besuchte, war das Publikum liebenswürdiger.
ollem Herzen, Tony erwärmen, so hätte er sie ganz anders in verwerfen. Anders wäre es gewesen, wenn er für Das Stück ist darum nicht besser geworden. Zwei
Schwester in den Vordergrund rücken müssen. Der sterbende Hugo einen Sonderfall an unser Herz und unser Mitleid junge Ebelleute haben abgewirthschaftet; ein biederer
die Cousine, sagt allerdings: „sie ist mir viel gewesen“ — aber
hätte appelliren wollen.
Töpfermeister will ihnen wieder auf die Strümpfe
Adet, den ihr was sie ihm gewesen ist, das erfahren wir nicht.
Der zweite und dritte Act enthalten mannigfache
helfen, wenn sie sich Mühe geben, seiner ehrgeizigen
Leute erfüllen Was hat sie Großes, Edles, Gutes an diesem leicht¬
technische Fehler; ermüdende Längen und breite
Frau die Einrichtung eines glänzenden Hausstandes
ganz natur- sinnigen Schlingel gethan, daß er verlangen konnte,
Wiederholungen erzeugen bisweilen einen ein¬
zu erleichtern. Das geschieht denn auch unter mancherlei
des Kindes seine Familie solle sie wie ein eigenes Kind lieben? schläfernden Hauch von Langeweile. Die einzelnen
Schwierigkeiten, und bei dieser Gelegenheit verlobt
be, nicht aus Ist sie in der That mehr als seine Geliebte gewesen? Gestalten sind von geringer Originalität; es sind sich der eine der verbummelten Aristokraten mit
Aber auch
— Nein; sie hat das Ellernhaus verlassen und ihren meist gute alte Bekannte aus dem Personal der dem Töpsermeisterstöchterlein, der zweite mit der
wieder natur= Vater einsam sterben lassen, um ihrer Leidenschaft
modernen Tragödie, aber sie sind zum Theil außer= Schwester seines Freundes. Der erste Act ist nicht
die Geliebte leben zu können. Es giebt aber doch knoch höhere
ordentlich scharf charakterisirt. So vor Allem der übel; dann aber wird es böse. Der dürftige Faden
von Franzi, Gesetze, als die des liebenden Mädchenherzens. Herr Professor Losatti, eine wundervoll gezeichnete Halb- der Handlung wird zu endloser Länge ausgesponnen;
r mit glatten Schnitzler scheint anderer Ansicht zu sein. Für ihn natur, wie man ihr im öffentlichen Leben hundertfach
alle die kleinen Mittelchen, die seit dreißig Jahren
eigenthüm- ist es ganz selbstverständlich, daß die Familie das
begegnet — ferner die beiden Aerzte, der eine eine zum Arsenal unserer deutschen Schwankarbeiter ge¬
man die Mädchen, das ihre eigenen Verwandten um ihrer
breit ausgeführte Charakterstudie, der andere mit hören, werden von Neuem herangezogen, und zwark
benen noch Schande willen verstoßen haben, festhalten und weiter
wenigen Strichen ganz prächtig gestaltet. Auch die durchaus nicht immer in frischem Aufputz. Scenei
der Professor
mit Liebe und Güte umgeben müßten. Und er läßt
Sprache hat blendende Seiten; neben Heenen, in an Scene erinnert an alte Vorbilder, und wo einmals
auch dessen seine Tony schließlich in's Wasser gehen, als Losatti
denen die Speculation auf theatralische Wirkung sich der Erust des Lebens zu Worte kommen soll, da giebt
uge Wittwe,
und dessen Gattin ihr in möglichst schonender Weise allzu stark hervordrängt, stehen solche, die vonser sich als unerträgkiche Sentimentalität. Die beidens
im geeignetenerklären, daß sie nicht länger im Hause bleiben könne,
echtem Empfinden durchweht sind. Die Darstellung fingerfertigen Verfasser hatte keine glückliche Stunde,
nehmen, aber daß man aber ihr Leben sorgenlos ausgestalten wolle.
war sehr ungleich: meisterhaft Herr Reicher als als sie an dieses sogenaunte Lustspiel gingen. Dabei
Tochter war Psychologisch ganz undenkbar ist die heiße Liebe der
Losatti, langweilig und sentimental Fr. Lehmann;
war die Darstellung — mit den Herren Vollmar,
edessen Kind Franzi zu der Maitresse ihres Bruders — oder aber, an talentvollen jungen Damen fehlt es dem
Emil Thomas und Frau Schramm im Mittelpunkten
spricht sie der Verfasser hätte sie motiviren müssen. Aber er Deutschen=Theater zur Zeit ganz. Was hat nun den
— eine geradezu mustergültige. Bei minder treff¬
Und ist eslmotivirt nichts. Er laßt seine Leute auch vielfach Erfolg gemacht? — Das ist schwer zu sagen. Ichflichem Spiel würde die Haltlosigkeit des Stückes
r einmal bei von dem gütigen Herzen Hugo's sprechen, aber dieses glaube, die Tendenz, die auf das Publikum der jedenfalls noch schärfer hervorgetreten sein.
eberzeuauna, gütige Herz hat fünf Jahre hindurch-nicht daran ge= oberen Ränge, von denen aus der stärkste Beifall!