II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 107

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10. Das Vernaechtnig
H
an
werden die an sich sehr strittigen, durch die ewige Wieder= auf den Duellnahn sein. Es hat dem Verfasser aber
Im „Vermächtniß“ gehen Kunst und Berech##
lun aber sicher schablonenhaften neuen Laternenpfähle
sicherlich ferngelegen, sein Ziel so niedrig zu stecken. Menschen
Empfundenes und Construirtes ineinander über, und
eingerammt. Vergebens forscht man nach dem Grunde
hat er schildern wollen, die im Duellwahn befangen sind, und
Wirkung ist außerordentlich. Der Inhalt des
dieser so unpassenden nahen Nachbarschaft. Zwei Cande¬
Menschen ihnen gegenüber, die sich von diesem Banne
tragfähigen Stückes läßt sich sehr schnell erzählen. Der
laber, die der Besitzer des Hauses gewiß gerne der
freigemacht haben. Nichts weiter, aber auch nichts weniger.
Losatti, der Sohn des Professors der Nationalökon
Commune zur Verfügung gestellt hätte, um seine Front
Die Träger der Handlung im „Freiwild“ haben Recht,
und Reichsrathsabgeordneten Losatti, hat eine Gel
nicht verunzieren zu lassen, leuchten doch besser, wie zwei
hüben wie drüben. Sie handeln aus Leidenschaft, die sich,
und ein Kind. Er stürzt mit dem Pferde und, sterbe
einfache Laternen. Und wenn aus irgend welchen Gründen
wie das nun einmal menschlich ist, gern auf ein „System“,
nimmt er den Eltern das Versprechen ab, für
die communalen Laternen schon aufgestellt werden
auf ein leitendes „Princip“ stützt. Aber was sie in ihrem
beiden Wesen sorgen zu wollen, als ob sie seine legitime
mußten, warum nicht in angemessener Entfernung von
Irren zu ihrer Rechtfertigung anführen, ist vollkommen
Frau und sein legitimer Sohn wären. Das Mädchen
den Candelabern? Dergleichen Ungeschmack ist kaum zu
gleichgiltig für uns, die Betrachter ihrer Leidenschaften
Toni Weber, wird in die Professorenfamilie aufge¬
begreifen.
und ihrer Irrthümer. Für uns sind sie keine Fahnen¬
nommen. Aber die gesellschaftlichen und seelischen Conflicte
Da wir schon daran sind, von so befremdlichen Erschei¬
schwinger und keine Grundsätzlinge, sondern eben handelnde,
beginnen schnell genug. Nur die natürliche Liebe zu dem Kinde
nungen zu sprechen, so sei zum Schlusse auch des kleinsten,
thörichte, mitleidswürdige Menschen. Auch dieses Stück ist
verschleiert in dem Professor eine Weile lang das Mißbehagen
oder vielmehr schmalsten Hauses von Wien erwähnt.
mehr, als man ihm hat zugestehen wollen.
an diesem plötzlichen Wechsel seiner äußeren und inneren
Neben dem mächtig ausgreifenden Palais Herberstein auf
Jetzt haben wir im Deutschen Theater Schnitzler's
Lebensumstände. Das zarte Enkelkind stirbt, und nun haben
dem Michaelerplatze duckt sich in der Schauflergasse ein
drittes größeres Drama „Das Vermächtniß“ erlebt, und
Egoismus und philisterhafte Correctheit die Bahn frei,
dreistöckiger Neubau, der nur ein Fenster Front besitzt, in
wieder setzt die eigenthümliche Verkennung ein, die dem
um eine Schändlichkeit zu begehen, die doch so begreiflich
die Ecke. Der Eingang zu diesem Hause wird vom Palais
Dichter wohl gar Freundliches zu erweisen glaubt, indem
ist und die in gleicher Lage die Meisten begehen würden:
Wilczek in der Herrengasse aus bewerkstelligt werden. Hier
sie ihm satirische socialkritische Tendenzen als das Erste
das Mädchen wird aus dem Hause gejagt. Sie sucht
ließ die Situation der Baustellen allerdings keine andere
den Tod.
und Letzte in seinem Schaffen zuschreibt. Gewiß, Schnitzler
Entwicklung zu. Immerhin aber wirkt dieser Zahnstocher
ist nicht ohne Schuld an diesem consequenten Mißverstehen.
Dies ist das Stück, vielmehr sein Gerüst, das
von einem Hause, der sich so verschämt an den nachbar¬
Er hat die seltsame Mischung von Kälte und Gluth
von blühendem Leben umkleidet ist. Dieser Professor
lichen Riesen lehnt, ungemein komisch. Und das freut uns
in sich, die gerade Dramatikern so häufig eignet,
wandelt in unzähligen Exemplaren unter uns, er ist
nach all' dem anderen Aerger!
Kleinpetz.
also jenen Dichtern, die nicht mehr im Unschuldsparadies
so wahr wie Hjalmar Ekdal in Ibsen's „Wild¬
der Naivetät wohnen. Er hat das wärmste, quellendste
ente“ und so ewig, wie die Gemeinheit, die sich
Empfinden und eine plastische Anschauungsgabe, aber
mit tönenden Phrasen der Selbstgefälligkeit drapirt. Die
7—
Schnitzler's „Vermächtniß.“
daneben lebt in ihm ein constructives Talent, eine Lust
ganze Stimmung der Familie ist wundervoll getroffen,
Berlin, 2. October.
an dialektischem Spiel und Gegenspiel, das sich nicht
und wenn der Fall, den Schnitzler sich erwählt hat, auch
immer in schöpferische Gestaltungskraft umsetzt. An diesen
4 Ruf und Ruhm von Arthur Schnitzler sind ein
eine Seltenheit sein mag, so sind seine Voraussetzungen
merktpürdiges Beispiel dafür, wie ein Dichter geschätzt
Rest von mehr mechanischer Beschaffenheit, der sich nicht
doch derart, daß sie in unseren Gesellschaftszuständen
und zugleich mißverstanden werden kann. Seine „Liebelei“
in Poesie aufzulösen vermag, an dies Gekünstelte inmitten
typische Giltigkeit beanspruchen können. Es ist keine
Ehat man loben, aber in ihrer Geltung auch einschränken
der Kunst knüpst das Interesse derer an, die im Drama
einzige Gestalt in der Tragödie, der man nicht
wollen, indem man sie als Wiener Stück, als „Nur
mehr an Probleme und Thefe als an psychologischer
Glauben schenken möchte; es ist starkes, eigenes Leben auch
Wiener Stück“ ausgah. Aber dies kleine Drama ist mehr,
Verinnerlichung ihr Vergnügen haben. So kommt es,
in den Nebenfiguren. Dem Dichter aber halfen
ist gesättigt von ewig Menschlichem, zeitlos durch die
das Schnitzler's Bewerthung von zwei sehr verschiedenen! Darsteller zum verdienten Erfolge. Hier einen oder ##
Seiten her unternommen worden ist, von den Freunden
Zeiten Schwingendem. Wienerisch ist daran höchstens die
anderen hervorzuheben dünkt mich ein Unrecht ##
Luft, wohinein die Figuren gestellt sind. In einer anderen
des rein Verstandesmäßigen in der Kunst ebenso wie
die Uebrigen. Man hat kaum je so meisterhaft sp#
Luft würden sie schließlich nicht anders athmen, gehen,
von Denen, für die erst dort die Kunst anfängt, wo die sehen, so willig bewundert, so gern sich ergreifen und
stehen und handeln. „Freiwild“ sodann sollte eine Satire] Berechnung aufhört.
mitreißen lassen ...
Max Lesser.