II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 145

box 16/3
10. Das Vernaechtnig
ein recht charakteristischer Zwischenfall. Eine Mad. Sorgne, eine fran¬
zösische Anarchistin, die sich unbefugt unter die Congressisten gemischt
hatte, schleuderte aus Aerger über die ihr beschränkte Redefreiheit
während des Bankets nach dem mit den Arrangements des Congresses
betrauten Portugisen Dr. Magelhaes=Lima ein Sectglas, zum Glück,
ohnp zu treffen. Da sich ein in Paris lebender Russe, Dr. Ossip¬
Lourié, der wutentbrannten Anarchistin noch annahm, sandten ihm
sechs der Congressisten ihre Karten. Bei der Rückkehr aus Thomar
wurde den Congressisten noch eine Ueberraschung. Vor dem Bahnhofe
hatte die Feuerwehr sieben Maschinenleitern aufgestellt und mit Fackel¬
trägern besetzt. Die Kapelle der Feuerwehr spielte, als die Congressisten
den Bahnhof verließen. Am Sonnabend stellte die königliche Marine
den Congressisten den elegant eingerichteten Kriegsdampfer „Afrika.,
der als Transportschiff dient, zu einer genufsreichen Tajofahrt zur
Verfügung. Abends fand im königlichen Opernhaus, im sogenannten
Karltheater, ein großes Banket statt. Bühne und Parket
waren zu einem großen Parterre vereinigt, auf
dem
5
lange Tafeln
für die Presse und
die Spitzen
der
Behörden gedeckt
waren. Logen und Galerien füllte ein
elegantes Publikum.
In glänzender Rede feierte der frühere Minister
und jetzige Journalist Antonio Ennes die auf dem Congress ver¬
tretenen Nationen. Deutschland verherrlichte er als das Land des
großen Geistes, als Vaterland Göthe's und Bismarck's. Nach dem
Diner entrollte sich den Zurückgebliebenen noch ein ganz eigenartiges
Bild. Da schon viele Journalisten von Lissabon direct heimgereist waren,
waren eine größere Anzahl Plätze an den Tafeln leer geblieben. Diese
wurden nun von Leuten aus dem Volke eingenommen, denen die
Kellner unverdrossen noch einmal das ganze Menu servirten. Selbst
die entsprechenden Weine wurden geschänkt. Die Leute ließen sich das
lucullische Mahl vortrefflich schmecken. Am Sonntag führte ein Extra¬
Zug uns in 6stündiger Fahrt nach Porto. In Pampalhosa unterbrach
ein Frühstück die Eintönigkeit der Fahrt. Auf dem Bahnhof in Porto
sollte uns nach dem Programm ein Empfang bereitet werden. Als
der Zug einlief, war aber niemand zur Stelle. Man war, wie es
hieß, von unserer Ankunft nicht benachrichtigt worden. Da nur wenige
Wagen aufzutreiben waren, verging für manchen geraume Zeit, ehe
er in das in Lissabon bereits zugewiesene Hotel kam. Heute sollen
uns die Sehenswürdigkeiten Portos gezeigt werden.
London. Zu Ehren des Professors Virchow fand hier am
Mittwoch unter dem Vorsitze Lord Lister's ein Banket statt, an dem
250 Mediciner teil nahmen. Lord Lister brachte ein Trinkspruch auf
Birchow „unsern allverehrten und geliebten Meister in der Patho¬
logie“ aus, den Virchow mit einem Trinkspruch auf England erwiderte.
Sportnachrichten.
Rennen zu Hoppegarten, 8. October. [Eig. Ber.] Die
Hoppegarten=Saison nähert sich mit Riesenschritten dem Ende; kein
Wunder daher, dass die Bahn heute bei dem herbstlich schönen Wetter
starken Besuch aufwies. Auch sportlich darf der Tag zu den besonders
gelungenen gezählt werden. Gleich das Falkenhausen=Memorial, die
erste und zugleich auch bedeutendste Nummer des Programms, zeitigte
einen schöne Endkampf zwischen Cannae und Masha, der allerdings
schon vor den Tribünen entschieden war, da Masha hier sicher gehalten'wurde,
obgleich sie nur um Halseslänge hinter der Siegerin endete. Interessant war
auch das Glocke=Rennen, in dem Mistigri vom Start weg ein so
scharfes Tempo vorlegte, dass das Feld sich ganz bedenklich ausein¬
ander zog. Der Wendhof'sche Wallach zeigte sich als ein ganz über¬
legenes Pferd; denn er ließ auch gegen das Ende keinen Gegner an
seine Huse kommen, sondern ging sehr sicher mit zwei Längen vor
Medea und dem dritthalb Längen weiter zurückliegenden Trumpf
durchs Ziel. Im Bollensdorser Handicap starteten nicht weniger als
18 Zweijährige, deren Entlassung nicht ohne verschiedene
falsche Starts vor sich ging. Vor dem Ziel entwickelte sich
dann ein sehr schöner Endkampf zwischen Santa Rosa, Conradin
und Imm, den die Stute um Kopfeslänge zugunsten ihrer
entschied. Imm fiel zuletzt um eine halbe Länge gegen Conradin
zurück. Im Alpheda=Rennen siegte Däumling sicher. Um den zweiten
Platz wurde von Pulsschlag und Varinas scharf, aber erfolglos ge¬
kämpft, indem die beiden Pferde im toten Rennen endeten. Der
Totalisator zahlte für den Sieg fast beinahe 21 faches Geld und die
Platzquote für Varinas belief sich sogar auf 418 für 20 Mk. Das Nickel¬
Handicap und das Mönchsheimer Jagd=Rennen verliefen ohne
besondere Aufregung. Im ersteren siegte Amateur I
gegen
Ballmama, im letzteren Lara gegen Leuchtkugel und Plek¬
tron. Die Einzelresultate ergibt der nachstehende Bericht:
Falkenhausen= Memorial. Preis 6000 Mk. Distance 1400 m. Für
2jährige inländische Pferde. 29 Unterschriften, 8 Pferde im Rennen.
Hrn. U. v. Oertzen's F.=St. Cannae v. Trachenberg a. d. Zama
(Martin) erstes, Frhrn. Ed. v. Oppenheim's F.=St. Masha V. Chari¬
bert a. d. Maria zweites, Fürst Hohenlohe=Oehringen's br. Hengst
Hamete v. Talpra Magyar a. d. Triscik drittes. Sicher um einen
Hals gewonnen, zwei Längen zurück das dritte Pferd. Tot. Sieg 42
für 10 und Platz 36, 78, 36 für 20 Mk. — Glocke=Rennen. Preis
4000 Mk. Distance 2000 m. Für 3jährige und ältere i
Di1
d he

rufen eingebracht. Sein bedeutendes Bühnentalent, die drama¬
heim
tische Gestaltungskraft und den scharfen Blick für das moderne
franz
Leben hat der Autor schon früher zweimal in größeren Schau¬
Im :
den !
spielen bekundet. Dem feineren Talente des Realisten, der
wahre
sehr anziehende Stimmungsbilder vorzuführen wusste, waren
„Die
auch warme Gemütstöne eigen, die unmittelbar das Herz be¬
Martir
rühren konnten und tiefere menschliche Empfindungen weckten.
Das neue Werk begegnete offenbar, wie das voll¬
besuchte Haus darlegte,
großen Erwartungen, welchen der
Militäl
Verfasser auch ziemlich
weit
Kapelle
entsprochen hat. Aller¬
dings
wird.
„Das Vermächtnis“
ein eigenartiges,
fast
ausschließlich
hervorg
im Trauerflor
einherschreitendes Stück
mehr de
Leben oder besser gesagt: Familienleben. Jeder der drei
spannungsvoll gearbeiteten Acte führt an ein neues Grab.
Von
Der Tod sordert allmählich drei Opfer aus der Familie des
Tekel“, d
höchst ehrenwerten, aber etwas doetrinären National=Oekonomie¬
fällt am
Professors und Abgeordneten Dr. Losatti; im ersten Acte
vierzigjäh
stirbt der hoffnungsvolle ältere Sohn Hugo am Hufschlage
dem Wult
eines Pferdes. Er ist das Opfer seines Reitsports, wird,
Dire
nachdem die Handlung im freundlichsten Wiener Sonnenschein
seiner Vo##
der Familie Losatti und weiterer Verwandten und Hausfreunde
im Septel
begonnen, als tragische Verdüsterung sterbend in die Wohnung
Schönheit
zurückgebracht, um noch kurz vor dem Verscheiden seinen
alles in
Programn
letzten Willen aussprechen zu können. Dieses Vermächtuls
Besuch de
betrifst die Fürsorge für ein vierjähriges Kind und dessen
wird das
junge Mutter, von deren Beziehungen zu Hugo weder Vater
geziert sei
noch Mutter eine Ahnung hatten. Das Familienbild, welches
Geschmack
der Verfasser hier aufrollt, die Stellung der einzelnen
Familienangehörigen zu der überraschenden Offenbarung des
In
wieder die
Sterbenden, das liebevolle Einverständnis der Mutter und
ein huno
der Schwester, das etwas kopflose und vom gesellschaftlichen
zwerchfelle
Vorurteil beherrschte Benehmen des
Vaters und des
war, heißt
als
zukünftiger
Schwiegersohn geltenden Hausarztes,
urgemütlich
der vornehme und vorurteilslose Charakter der ver¬
witweten
Tante
Hugo's und
Schwägerin
des
Herrn Professors — alles das ist mit seiner, intimer Lebens¬
farbe durchgeführt und der ganze Vorgang von ergreifendster
Art, da auch die Geliebte und das Kind an das Sterbelager
Hugo's citirt werden. Ein wirklich organischer Zusammenhang
12—1 Uhr
dieses ersten Actes mit den beiden andern Acten, in welchen
das Drama der schicksalsschwer geprüften Geliebten, Toni
(Unberückst
Weber, eines mittellosen Wiener Bürgermädchens, weiter und
keine Abon
zum Abschluss geführt wird, ist nicht recht erkennbar.
für Aufnal
Alles neigt sich im zweiten Acte zugunsten der
erbeten; ne
Für
armen Toni, man will das Vermächtnis Hugo's ehrlich
gesandten
erfüllen und das Enkelkind besonders bildet die liebliche Brücke
zur Besiegung aller Vorurteile, die #### sonst dem Aufenthalt
Br. 84
der Geliebten des verstorbenen Hugo entgegengebracht hätte.
Sie auf
In voller Liebe steht zu der Unglücklichen Losatti's Tochter
ansioneiren
Franziska, während der Hausarzt, Franziska's Verlobter, nach
Zeitungen
wie vor zelotisch gegen die ehemalige „Maitresse“ eifert.
Das ist d
Der Act gipfelt in dem plötzlichen, freilich nicht besonders
Verworren!
motivirten Tode des Kindes, und so ergibt sich für
vorhandene
keine
den Schlussact von selbst der allmähliche Rückzug der
einm
Familie Losatti und die herzlose Isolirung und Vereinsamung
gemacht; vi
der trauernden Mutter Toni Weber, die in ihrer seelischen
und nun,
Trostlosigkeit aus dem Hause der Herzlosigkeit scheidet, um
schwatzen S
den Tod aufzusuchen. Nur Hugo's Schwester hatte in ihrer
Richtung
Liebe zu der Unglücklichen nicht gewankt, aber ihre Inter¬
und Sensa
vention kor
zu spät, sie führt nur zur Entlobung, da in
ihren Ar
diesem mit oßer Schärfe und dramatischer Logik gezeichneten
Inden!
20000 Mi.
Märtyrerschanspiele der Erbarmungslosigkeit und egoistischen
den „unlaut
Familienstolzes der eifernde Hausarzt selbst die er¬
und Ihre E
bärmlichste Rolle spielt. Ein Glück, dass sie in der Dar¬
klug genug
stellung von unserem künstlerisch stets anziehenden Hrn. Sauer
geschäftsklug,
gespielt wurde. Auch die Charakteristik, die Herr Reicher
durch. We
in der Rolle des Professors durch alle Stadien entfaltete,
hielten; abe
war von köstlicher Lebenswahrheit. Frl. Else Lehmann als
den Indenb
Sie es dahe
Toni, Frl. Sarro als Franziska, Frau v. Pöllnitz und Frl.
Wo
Dumont in der schwesterlichen Mutterrolle und Frl. Elsinger
Sache, wen
in einer munteren Knabenrolle hatten die volle Sympathie
wir antworte
des Hauses, auch Herr Rittner verdient für die discrete Be¬
und noch vie
handlung seiner Sterberolle gerühmt zu werden.
blättern lauft
einer Ihrer
Beschränkthei
Königliches Opernhaus. Sonntaa