II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 194

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10. Das Vernaechtnis
Freilich, es fehlen da der These zu Liebe auch die blaffenden
„Das Betteln war mein einziges Erb',
Tendenzgeschöpfe nicht. Der Bräutigam der Tochter, der Ver¬
Als ich jung und verwahrlost hinaustrat ins Leben.“
treter der Wohlanständigkeit und der spießbürgerlichen
„Ja, sagt der Engel, „doch hab' ich dir selbst
Moral, ein Adoptivkind künstlerischer Gestaltungskraft, dem
Den Bettelsack eines Mönches gegeben.“
„Zu Dank.
Sauer dennoch über die Klippen der Unmöglichkeit forthalf,
und eine Schwägerin (Lonise Dumont), die auf dem großen!
„Kaum war ich Soldat und im Fener kaum,
Horn der freien Weltanschauung bläst. Diese beiden sind
Da that ein Schuß dieses Bein mir rauben.“
wie die Gestalten auf alten Bildern: ein Zettel hängt aus
„Ja, sagt der Engel, „sonst hätte gar beid
ihrem Munde, drauf ihr Lebensmotto nebst ihrer poctischen.
Die Gicht dich geplagt, das kannst du glauben.“
Sendung zu lesen ist.
„Zu Dank
Sehr geschickt aber sind wiederum der zweite und
dritte Akt kontrastirt. Solange das Kind lebt, neigt alles
Einst mischte auch gleich der Richter sich ein,
zu Liebe und Versöhnlichkeit, und das Vermächtniß des
Als ich für den Feiertag Wein mir genommen.“
Todten wird geehrt; erst wie es todt ist, will man auch die
„Ja, sagt der Engei, „doch da ich bat,
Mutter nicht mehr vor Augen haben. Sehr geschickt ist
Hast du nur ein Jahr Gefängniß bekommen.“
„Zu Dank
diese Kontrastirung, denn sie bringt Abwechslung und zeigt
die Charaktere von beiden Seiten; aber ist sie auch wirklich¬
Bei Venus hab' ich nur heimlich geraubt,
keitsecht? Ich hege Zweifel, ob man im gutbürgerlichen
Doch, was ich erbeutet, war unreif immer.“
Haushalt das „Kind der Sünde“ rückhaltlos lieben wird;
„Ja,“ sagt der Engel, „aus Scham allein
aber das mag dahinstehen. Nicht recht begründet schien
Hab' ich dich verlassen schon vor dem Zimmer.“
mir die Verzweiflung und mit ihr der freiwillige Tod der
½
„Zu Dank
Geliebten, als man sie aus einem Haus entfernte, in dem
sie sich doch nicht geachtet wußte. Der Verachtung ihres
„Eine Hexe nahm ich zum Eheweib;
Vaters hatte sie einst getrotzt, und hier? Diese Tragik
Hatt' nicht nur von ihrem Leichtsinn zu leiden.“
hat kurze Beinchen und muß deshalb auf Stelzen schreiten.
„Ja, sagt der Ergel, „bei Mann und Frau,
Arthur Schnitzler ist ein Künstler mit reichem lyrischen
Da mischen wir mie uns in Streitigkeiten.“
Empfinden
„Zu Dank
jener Lyrik der jungen Wiener, die von
Leide
dem großen
der kleinen
Lebensfreuden
„Ein Greis, über jede Reue hinaus,
weiß,
und dem Scharfblick des erfahrungssichern
Kann ich noch auf Erden ein Glück erringen?“
Psychologen. Aber das ist das Merkwürdige: wo er als
„Ja, sagt der Engel, „dein Todtenhemd
Künstler versagt, bleibt immer noch ein Virtnos voll Verve
Und einen Priester will ich dir bringen.“
übrig und kühler Treffsicherheit. Das ist eine Doppel¬
„Zu Dank
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begabung, die für seine Zukunft besorgt machen kann, ihm
aber für den Augenblick den Erfolg von beiden Seiten
„Werd' ich im Himmel selig sein,
gleichsam sichert. Und nicht kärglich wurde er von den Dar¬
Soll ich in der Hölle ewig klagen?“
stellern des Deutschen Theaters unterstützt. Reicher, Sauer,
Ja, sagt der Engel, „oder auch nein.
Rittner (er starb ein wenig zu gemächlich), Winterstein und
Die Würfel werden 's dir sicher sagen.“
„Zu Dank
Else Lehmann, alle ganz auf ihren Posten, und in einer
kleinen namenlosen Rolle als „ein Arzt", Max Reinhardt
Der arme Teufel mit seinem Humor
ausgezeichnet in Einfachheit und Schlichte. Dennoch, ohne
Macht alle lächeln, die ihn umgeben.
Schnitzler in seinem Können, auch wo es nur virtnos ist,
Er nießt und sieht mit einem „Gott helf“
herabsetzen zu wollen, ich suche ihn lieber in seinem nenen
Den Engel wieder zum Himmel schweben.
Novellenband „Die Frau des Weisen“ als in diesem „Ver¬
„Zu Dank
mächtniß", in dem die beiden letzten Akte so übel das Ver¬
mächtniß des ersten antreten und die These von der freien
Liebe der freien Liebe des Künstlers recht unhold Ab¬
bruch thut.
Ernst Heilborn.
Briefkalten der Redaktion.
Agrarisch ist Trumpf. Besten Dank für die Uebersendung
L’ange gardien.
der Jade=Zeitung. Der Artikel gegen die Reichsbank trägt den be¬
kannten Stempel agrarisch=bimetallistischer Fabrikwaare. Aber: Silber
Angeregt durch Sigmar Mehring's Artikel Lyriker
ist glücklicherweise nicht nehr Trumpf.
des Proletariats in Frankreich“ in Nr. 51 Jahrg. XV. der
W. C. in Frankfurt a. M. Ihre Uebersetzung bringen wir zum
Nation“ geht uns aus unserem Leserkreise folgende Ueber¬
Abdruck.
setzung von Béranger's „Schutzengel“ zu, die dem sati¬
G. F. in Steglitz. Das Ziel ist gewiß erstrebenswerth.
rischen Charakter des Gedichtes in folgender Weise beizu¬
kommen sucht:
Ein lahmer Bettler im Krankenhaus
Sieht seinen Engel ans Lager kommen,
Und munter spricht er: „Daß jetzt sich bemüht
Hochwürden, kann mir nicht mehr frommen.
Wie in früheren Jahren hält die Expedition auch in
Zu Dank hab' ich, alles in allem, nicht Grund:
Leb' wohl, guter Engel, und bleibe gesund.“
diesem Jahre Einbanddecken für den abgelaufenen (XV.) Jahr¬
gang in zwei Farben (braun und grün) zum Preise von 1 Mark
Bin denn, geboren auf ärmlichem Stroh,
per Stück vorräthig. Alle Buchhandlungen nehmen Aufträge
Ein Sohn ich dem Gott, den die Pfaffen lehren?“
entgegen; bei direktem Bezuge von der Expedition bitten wir
„Ja, sagt der Engel, „ich sorgte stets,
neben dem Betrage von 1 Mark die Packet=Portokosten mit
Daß Fäulniß nicht konnte dies Stroh verzehren.“
„Zu Dank.
50 Pf. einzusenden.
Verantwortlicher Redakteur: Otto Böhme in Berlin. — Druck von H. S. Hermann in Berlin SW., Beuthstraße 8.