II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 639

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9.4. Der gruene Kakaduzyklus
Beil. z. Boh. Nr. 155.
Seite 3.
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„Wir wissen nichts von Andern, nichts von uns,
Paracelsus fühlt sich dadurch und durch die Nähe
„Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“
der Geliebten von ehemals, der Waffenschmiedsgattin
Sicherlich spricht aus diesen individuell geprägten
Justine (Frl. Immisch), gereizt, dem Philister, der
Worten die dem, ganzen Einac#erabend an die Stirne
seines Weibes so sicher wie seiner Habe zu sein glaubt,
geschrieben werden könnten, eine Zeitstimmung zu
seine Uibermacht zu zeigen. Justina hat die Leiden¬
uns. Unsere jungen und jüngsten Dichter wehren sich
schaft des Junkers Anselm erweckt, der sich ihr ver¬
gegen die erlösende Empfindung, gegen das Erwachen,
geblich mit heißen Liebesanträgen nähert. Paracelsus
das uns ins Gleichgewicht bringt, sie drängen uns
nützt diesen Sachverhalt, den er mit sicherem Blicke
ins Halbdunkel hinein und lassen uns darin zurück,
erspäht hat, versetzt, zu Gaukeleien aufgefordert, das
ohne befreiende Wahrheit im Gefühl, ohne die Mög¬
Weib des Waffenschmieds in hypnotischen Schlaf und
lichkeit, jene Identität von Licht und Wärme, die der
suggerirt ihr vor dem Erwachen die Vorstellung, daß
Poët Grillparzer, lange vor den Forschern der Ge¬
sie sich dem Junker hingegeben habe. Der Effect
genwart verkündete, zu erfüllen. Die drei Schnitzler¬
ist ein so vollständiger, daß die im Banne der Sug¬
schen Dramolets sind ungemein charakteristisch in dieser
gestion stehende Frau ausführliche Geständnisse ablegt
Richtung. Sorgfältig gegliedert in den Voraus¬
und Paracelsus selbst zu zweifeln beginnt, ob Wahn¬
vorstellung oder Erinnerung aus ihr reden. Nicht, um
setzungen, streben sie keinem Abschlusse zu, fein in die
den verzweifelten Gatten zu beruhigen, sondern um
Welt der Träume, Triebe und Zwangsvorstellungen
hineindeutend, sagen sie uns nichts vom Erwachen
sich selbst Klarheit zu schaffen, macht der Wunderarzt
der einen Suggestion ein Ende, um eine andere her¬
und von der Selbstbeherrschung, äußerlich zu einer
Wirkung hingeleitend, sind sie, innerlich gefaßt, doch
vorzurufen; er nöthigt Justine, die Wahrheit aus
dem Grunde ihrer Seele hervorzuholen und in Worten
Fragen ohne eine Antwort. Sie bescheiden sich, uns
die Vorstellung zu geben, daß wir, nachtwandelndam
zu verkünden. Nun erklärt sie, daß sie zwar rein ge¬
vermeintlichen Tag, mit trügerischer Sicherheit hart
blieben, aber Gedankensünden begangen, und daß
am Abgrunde durchs Leben schreiten, und daß ein
es die höchste Zeit für sie sei, den Junker aus
furchtbarer Weckruf aus unbekannten Tiefen den
den Augen zu verlieren. In ihrem Wahrheitsdrange
Sturz jeden Moment herbeiführen kann. Gewiß liegt
gesteht sie ihre alte Liebe zu Paracelsus, der einst
ein Reiz in diesen Enthüllungen, die uns wieder nur
gleich jenem Junker von heute, durch Resignation und
Schleier zeigen, und fraglos liegt mehr Geist in dieser
Abschied ihre Unschuld begnadete, verräth sie zuletzt
Bescheidung als in jener breitmäuligen Allerwelt¬
auch die Neigung ihrer Schwester Cäcilie (Frl. Urfus)
weisheit, die uns im Strom der Redensarten über
zu dem gefährlichen Anselmus und weist dem Ver¬
die Klüfte des Daseins hinwegtragen möchte. Aberes
führer einen willkommenen Ausweg aus seinen Her¬
gibt etwas Höheres als diese skeptische Bescheidung,
zenswirren. Cyprian ist gewarnt, und Paracelsus zieht
und die Großen der Kunst und der Menschheit haben
als stolzer Sieger von dannen. Die mit Feinheit ge¬
ein Verlangen darnach in uns erweckt, das sich nie¬
führte Satire deutet ins Unbestimmte hinaus. Der
mals und nirgends, am allerwenigsten aber auf der
allzu zuversichtliche Cyprian glaubt jetzt durch Er¬
Mittagshöhe der dramatischen Kunst, die das Licht¬
fahrung klug geworden zu sein, aber nus will be¬
bedürfniß so hoch gesteigert hat, zurückdrängen läßt.
dünken, der Arzt gab ihm wohl vie Diagnose, aber
keine Heilmittel in die Hand.=
Es fällt uns nicht ein, dem Dichter mit der Schul¬
weisheit zu kommen, die alles zwischen Hinemel und
In der modernen Welt, in der das zweite Stück¬
Erde ausgerechnet haben will, und wir stellen uns
chen „Die Gefährtin“ spielt, bedarf es keines
gewiß nicht an die Seite des selbstzufriedenen Phi¬
Paracelsus, um die Seelenthore zu öffnen. Sie thun
listers, den die dämonische Kraft seines Paracelsus
sich allgemach von selbst der Erkenntniß eines weisen
Mannes, d Professors Pilgram (Herr Freiburg) auf,
beschämt. Aber der Anspruch auf Erlösung aus
der zu edel ist, um klug zu sein. Pilgram kehrt von
„schwebender Pein“ wird im Bereiche der Kunst nie¬
dem Begräbnisse seiner Frau, die vor zwei Tagen
mals verstummen, und jenes moderne epigramma¬
einem Herzschlage erlag, in seine Wohnung zurück
tische Dramolet, das sich mit einer tiefgreifenden oder
und leidet unter dem conventionellen Mitleid der
feinzugespitzten Frage begnügt, kann die Menschen
Menschen. Nicht deshalb aber, weil dieses Mitleid
wohl stimmen, aber nicht befriedigen. Das Publicum
nicht an die Größe seines Schmerzes heranreicht,
will durch Nacht zum Lichte geführt sein; es will hell
sondern weil er mit dem Geheimniß seines wahren
sehen über die Hellseherei hinaus, es soll tagen, gleich¬
Schmerzes allein ist. Nicht die Trauer, sondern das
viel, ob dem Untergange oder dem Aufgange, ob in
Gefühl, nicht trauern zu können, erfüllt ihn mit
der letzten Erkenntniß die Schwere des Menschen¬
eigenthümlichem Schauer. Die Frau, die er heute
geschicks empfunden und überwunden wird, oder ob
begrub, hat er längst verloren. Das bischen Duft, das
die Nachtgeister vor der Heiterkeit des Morgens zurück¬
sie in sein Leben brachte, verflüchtigte sich rasch.
weichen. Die dramatischen Skizzen Schnitzlers, die
Nach einem Jahre der Tändelei wandte sie sich von
von innen heraus in die fragmentarische Form ge¬
dem bei weitem älteren Manne, mit dem sie kein
drängt werden, leben sich in der Dämmerung aus.
geistiges und kein genäithliches Interesse theilte, völlig
Das Publicum nahm Antheil an diesen feingestimmten
Kunstblättern, aus denen soviel intimes Schaffen an¬
ab, und Pilgram gewährte ihr die Freiheit. Er
wußte sie in sträflichem Einverständniß mit seinem
muthet; aber es fühlte sich nicht durchwärmt und
Assistenten Doctor Hausmann (Herr von Wymetal)
gehoben. Man dachte mit, man folgte mit Aufmerk¬
und wartete nur ein Geständniß ab, um auf das,
samkeit, man war gefesselt, ohne daß eine Be¬
was er nicht mehr besaß, zu verzichten und den beiden
freiung folgte; man bewunderte manchen Zug, aber
das Ganze hinterließ Verwunderung.
die Vereinigung möglich zu machen. Eine Freundin
des Hauses Olga Merholm (Fräulein Baumgart),
Das hier zuerst gegebene, schon durch den Vers
die ein fein angedeuteter Zug tiefer Neigung an den
über die nackte Wirklichkeitsmalerei herausgehobene
vereinsamten Mann fesselt, hält diesen für den her¬
Stückchen „Paracelsus“ ist ein physiologisches
kömmlichen betregenen Gatten und will ihm die Ent¬
Märchen in dem Sinne, in dem Iules Verne physi¬
deckung, daß er nichts zu betrauern hat, ersparen.
kalische geschrieben hat. Die zur Kunst ausgebildeten
Unter dem Vorwande, ein eigenes Geheimniß zu be¬
modernen Versuche mit Hypnose und Suggestion
HrDz
6. Juni 1899.

nun, daß in Weib für den Freund nicht ein Gegen
stand tiefer ernster Neigung, sondern ein verächtliches
Spielzeug geesen, und in wild ausbrechendem
Zorne weist er den Elenden, der sein Haus be¬
schmutzte, hinaus. Aber diese Enthüllung ist nicht
die letzte, nicht die furchtbarste. Um den lebenden
Freund zu rechtfertigen, gibt Olga Merholm die
Todte, an der nichts zu halten ist, preis, Das pflicht¬
vergessene Weib des Professors wußte, daß ihr Ge¬
liebter verlobt sei; es war ihr gleichgültig, wie Alles,
was außerhalb der Sphäre ihrer Leichtfertigkeit und
Sinnlichkeit lag. Selbst das untreue Weib, das
Dilgram hochherzig duldete, war eine Wahnvorstellung
eine Verlorene hatte ein Jahrzehnt neben dem
fremden Mann gelebt. Dem Schluße des interes¬
santen Seelengemäldes fehlt eine kräftige Symbolik.
Auf Monologe ist bekanntlich ein Verdict gelegt, das
vorgezeichnete Geberdenspiel sagt uns zu wenig —
ein Nachtstück ist an uns vorbeigegangen.
„Der grüne Kakadu“ ist der Name einer
Pariser Spelunke, in der in den Tagen des Aus¬
bruchs der französischen Revolution Komödianten und
Aristokraten verkehren. Der Wirth Prospère (Herr
Zeisler), ein ehemaliger Director einer herumziehenden
Truppe, veranstaltet hier eigenthümliche Komödien,
die den Geschmack der Uibersättigten und Blasirten
reizen. Seine Schauspieler geberden sich als Ver¬
brecher, erzählen die furchtbarsten Schandthaten und
bereiten dadurch den aristokratischen Zuhörern ein
prickelndes Vergnügen. Zugleich fühlen sich die vor¬
nehmen Spelunkenbesucher dadurch gekitzelt, daß man
ihnen Cynismen an den Kopf wirft und sie en
canaille behandelt. Hinter den überreizten Scherzen
lauert die Wahrheit, unter die Komödianten, die
Verbrecher darstellen, mischt sich ein Verbrecher, dessen
wahrhaftige Geständnisse den Eindruck einer matten
Komödie machen und die Grafen und Herzoge, die
mit der Canaille zu spielen meinen, fühlen eine un¬
heimliche Sehnsucht nach der Brutalität, die sie mit
Basiliskenblicken anzieht. Unter den Ariseokraten ist
einer, der Herzog von Cadignan (Herr Tauber), dem
angeblich kein Weib widersteht, unter den Schau¬
spielern ein Virtuese Henri (Herr Freiburg), der
keiner Art von Weiblichkeit widerstehen kann. Heuri
macht die Geliebte des Herzogs, die Schauspielerin
Leocadie (Frl. Dienstl), zu seiner Frau, und träumt
sich in eine rechtschaffene Idylle mit der Verlorenen
hinein. Für seine Spelunkenkomödie aber wählt er
sich das Motiv, daß er seine Frau im sträflichen Zu¬
sammensein mit dem Herzog betroffen und den letzteren
getödtet habe. Vielleicht sind unter der Schwelle des
Bewußtseins Ahnung und Zwangsvorstellung in ihm
mächtig — aber er spielt die Komödie in der festen
Meinung, daß er glücklich liebe und Leocadie ihm
treu sei. Zu seinem Entsetzen gewahrt er, daß man
diesmal die Komödie für Wirklichkeit nimmt, ver¬
nimmt er, daß Leocadie ihn erst gestern mit dem
Herzog betrogen habe, hört er die Worte der Zu¬
stimmung, die den Bericht über seine Rachethat be¬
gleiten. Die Komödie, die für Wirklichkeit genommen
wurde, geht in die Wirklichkeit über. Der Herzog
erscheint gerade recht, um dem Wüthenden zum Opfer
zu fallen; der Dolch, das Spielzeug des Komödianten,
durchbohrt seine Brust. Während der Mord geschieht,
verkündet eine hereindringende Volksmenge, daß die
Bastille genommen sei — und inmitten all' dieser
Schrecknisse und Wirren weidet sich eine aristokratische
Lebefrau (Frau Buska) an Mord und Wildheit und
gibt in ihrer Erregung dem Liebhaber (Herr von
Wymetal) ein Stelldichein. Eine geistvolle Colorit¬