II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 2), Die Gefährtin. Schauspiel in einem Akt (Der Wittwer), Seite 36

box 14/7
Gefaehr
9. bin
Auresse: Beiinl,
16 Jkr. 1918
Datum:
Deutsches Künstlertheater.
Winakterabend.
H. F. Ein Einakterabend, der nicht von der Faust einer einzigen
dichterischen Persönlichkeit zusammengeschlossellist, bleibt in jedem
Falle eine höchst fragwürdige Einrichtung. Man kommt aus der
satalen Empfindung nicht heraus, Schaunümmern vorgesetzt zu
erhalten, die dramatische Bühne nähert sich dem Variété, und auch
bei günstigstem Verlauf, fühlt man sich nur eben interessant unter¬
halten, aber gewiß nicht im Innersten gepackt. Eine Sensation wird
von der anderen totgeschlagen. Und dieser Eindruck der „Pro¬
duktion“ der künstlerischen Zerrissenheit, tritt nur um so stärker
hervor, wenn ein Virtuose der Darstellung am Werke ist.
Albert Bassermann hatte sich gestern „tiefere Bedeutung.
Ironie, Satire und Scherz“ gewählt, um alle Seiten seines eminenten
Könnens darin zu bespiegeln. Man gab Artur Schnitzlers
„Gefährtin“, Otto Erich Hartlebens „Sittliche For¬
derung“ und fügte als Dessert an diese literarischen Delikatessen die
von alter Komödiantenherrlichkeit umschwebte Harmlosigkeit „Eine
Partie Piquet“ der Fournier und Meyer. Was Basser¬
mann im ersten Stück zeigt, ist unbestritten erlesenste Kunst im Geiste
Schnitzlers. Dieser Mann von fünfundfünfzig Jahren mit der
vergrübelten Stirn des Gelehrten, der am Grabe der Frau
noch einmal hellsichtig auf die ganze Bitterkeit seiner Ehe
zurückblickt, der die letzte Enttäuschung, unbarmherzig gegen
sich selbst, scharffinnig und kühl wie beim Laboratoriums¬
experiment und doch mit verhaltenem Schluchzen feststellt, prägt
sich tief ein. Seine stockenden Worte gleichen Blutstropfen,
die die Schicksalsstunde einem zerquälten Herzen auspreßt. Großer
schauspielerischer Intellekt gibt ein erschütterndes Abbild des Gefühls,
nicht das Gefühl selbst. — Schon ganz in Maske ist der Künstler
bei Otto Erich: Spießer im Bratenrock, mit schwarzwollenen Hand¬
schuhen und Trauerzylinder, borstenhaarig, die goldene Brille vor
unendlich gut nütigen Augen — ein prachtvolles Bild. Er sächselt,
seine sittliche Empörung ist überaus drastisch, sein Gefühlston von
bezwingender Treuherzigkeit, seine ausbrechende Verliebtheit von
Eine Charakterstudie, in der
höchst animalischer Komik.
und seine verhalten¬
8 Dichters
alle Spottlust
Liebe zu diesem köstlichen Rudolstädter lebendig war. — Zwischen
den Kulissen unserer Großväter, in den Spuren Friedrich Haases,
agiert Bassermann zuletzt, ganz hingegeben der altehrwürdigen
Paraderolle, jeder Zoll ein König des Komödiantentums den Che¬
valier Rocheserrier. Er hat sich ein spitzes Aristokratenköpschen
nebst Sardellenfrisur gelegt, unter seiner spitzen Nase stechen ein
paar schwarze Bartnadeln empor, sein Gang hat die graziöse Steif¬
heit des alten Lebemannes, in der schon der alte Klingsberg exzelliert.
So krächzt, kräht und piepst er über die Bühne, und er ist so echt, daß
er in der unfreiwilligen Narkose die Augäpfel empordreht. Ein be¬
wundernswertes Mosaik, das ihm gewiß so leicht niemand nachmacht.
Bassermanns künstlerische Gefolgschaft war hier am besten.
[Bruno Ziener gab den choleeischen Kaufmann mit einer sehr
frischen, natürlichen und gutmütigen Drolligkeit. Arthur
Schroeder war, im Sinne seiner Aufgabe, ein seidenweicher,
schmachtender Liebhaber, Charlotte Schultz ein sympathisches,
sehr niedliche) Bräutchen. Else Bassermann konnte in der
gewiß dankl iren Rolle der Rita Revera bei Hartleben nur beschei¬
densten Ansprüchen genügen. Es fehlte ihr durchaus an Freiheit
des Ausdrucks, an Grazie und Gefühl im rechten Augenblick, sie
setzte dafür eine brutale Härte, die den Jugendgeliebten gewiß nicht
auf die Knie gezwungen, sondern schleunigst aus dem Hause getrieben
hätte. Auch im Schntzlerstück fehlten die rechten Partner. Willi
Grunwald war fast hilflos, Emilia Unda etwas besser, ohne
doch viel mehr als eine Umgrenzung geben zu können.
Der Beifall des Publikums war stark.
2
Aurne Berlin 1 7. lfpig
Theater.
Deutsches Künstlertheater. Man braucht nicht sehr
kritisch timmt zu sein, um aus dem Einakterabend
des Mutsthen Künstlertheaters nicht eine etwas gallige
Launé mist nach Hause zu nehmen. Dennchas man da
am Dienstagabend sah, war nicht der Gitztel der künst¬
lerischen Ereignisse. Basserman spielt Gastrollen“,
spielte sie mit einer merkwürdigen Schwekfälligkeit. Der
feuchte Schnee ließ ihn offenbar auf der ganzen Linie
nicht recht zu sich selber kommen. Und die Wahl der
Stückchen kann man auch nicht gerade sehr glücklich
nennen. Wie wenig hat Bassermann mit der etwas
kitschig=virtunsen Rolle des Professors Pilgram in
Schnitzlers „Gefährtin“ gemein! Er kann herb,
gradaus, witzig, spielerisch sein. Aber für die Gemüts¬
töne, für diese Talmigefühle bringt er nur Rauheiten auf,
und die echte Erschütterung des Schlusses ist zu kurz, als
daß sie nachwirken könnte. Emilie Unda neben ihm als
freundliche, kluge Helferin zeigte nur, daß man sie nicht
in solchen Partien mit blassem Gesicht und schwachem
Rückgrat herausstellen soll. Sie ist dafür von zu starken
Qualitäten.
Otto Erich Hartlebens „Sittliche Forderung",
der Schwank aus der bestimmten Sphäre, mutet uns heut¬
zutage mehr als verstaubt an denn je zuvor. Ja es gal
eine Zeit, wo man in dieser Form Menschen satirisch
packen konnte. Aber sie ist lang dahin.d man ha¬
sich auch zu solchen Problemen neueinstelle gelernt. Das
fällt um so mehr auf, als Else Bassermann nich
durch ihre Persönlichkeit und ihr Spiel bestechen ver¬
mag und der „bekannte Gast“ Herr Albert Bassermann
usw. mit all seinem Sächseln, mit seiner Verklei¬
dung und seinem listigen Blinzeln eben nur einen klein¬
städtisch angehauchten Philister gibt, wie ihn Hartleber
gezeichnet hat. Und mit dem ist in unserer Zeit wirklich
verflixt wenig anzufangen.
Endlich gab man, als dritten Einakter, die „Partie
Piquet“ mit der großen Virtuosenrolle des allezei
gnädig herablassenden armen Schluckers von Chevalier,
Die Spiekleitung — Emil Lind — hatte mit gutem Ver¬
ständnis für die Situation dieses Kulissenstück tatsächlich
zwischen Kulissen nach alter Methode verlegt. Aber
man hätte es im ganzen nicht ernst, sondern leicht und
fliegend herunterspielen sollen. Doch auch da hemmten
sich die Darsteller gegenseitig; und die netteste Nettigkeit
von Fräulein Schultz und Bassermanns knistern¬
ste Eitelkeit half nicht vorwärts, nicht über die Brücke
der Schwächlichkeit. Und Bruno Zirner und Arthur
Schröder konnten den Faden erst recht nicht ins
Wirbeln bringen. Der Beifall konnte über diesen Aus¬
gang des Abends nicht wegtäuschen, von dem man sich
wenigstens Leben und Bewegung versprochen hatte.
Dr. Thyssen.