II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 375

8. F.
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wil

lenangabe, ihre Oerthur)
GERIE DERLIN
Ausschnitt aus:
vom
UN 1913

+ Das Schillertheater in Charlottenburg brachte am Frei¬
tag abend wieder einmal eine Vorstellung heraus, die sich
wirklich sehen lassen konnte Schnitzler Tendenzstück
„Freiwild, das nachgerade siebzehn Jahre vorliegt, ging
da in einer sehr geschickten szenischen Aufmachung und einer
trefflicheren Darstellung in Szene. Vielleicht wird sich mancher
aus älterer Zeit des Inhalts dieses Protestes gegen den Duell¬
unfug entsinnen. Da kommt es um der Ehre einer jungen
Schauspielerin willen zu Tätlichkeiten eines sonst ruhigen, be¬
sonnen überlegenen Menschen gegen einen Offizier, dessen
Landsknechtsnatur infolge finanzieller Nöte sich in allerlei
Exzessen Luft zu machen versucht. Der Angreifer lehnt eine
an ihn ergehende Duellforderung ab. Seine Begründung ist
außerordentlich einfach: Er ist kaum von schwerer Krank¬
heit genesen und fühlt stark den Wert des Lebens; einem
Buben wird er es nicht in die Hand geben! Für den Offizier,
der unter dem überlieferten Ehrenkoder steht, bedeutet die
Verweigerung der „Satisfaktion" durch den anderen den
Ruin.
In dem Konflikt zwischen dem Ehrenbegriff des Ehren¬
koder und dem auf reinem, menschlichem Gefühl beruhenden
Ehrbegriff des freien Mannes bleibt der letztere Sieger. Aber
der Mann selber fällt, von der Hand des Offiziers bübisch
hingemordet, nicht ganz ohne eigene Schuld: denn er über¬
treibt trotz des Zuredens seiner Freunde und den Bitten der
in den Stunden der Not zur Braut geworbenen jungen Schau¬
spielerin seinen Ehrbegriff, vielleicht weil er doch noch in
alten Vorurteilen befangen ist, und reizt den Gegner zur Tat.
Diese schließt den äußeren wie den inneren Gang der Hand¬
lung entschieden dramatisch ab.
Die Figuren des Stückes standen in der Darstellung vor¬
züglich gegeneinander. Herb und rein das Paar, das sich ge¬
funden hat, die „Naive" und ihr getreuer Schützer Paul
Röming. Besonders der weibliche Part fand in Leonore
Ehn eine so schlichte, in der Bewegung wie im Mienenspiel
trotz der Weichheit mancher Szenen so sein charakterisierende
Vertreterin, daß man wirlich über die Leistung hocherfreut
sein darf. Besonders hervorragend war die schwere kleine
Szene mit dem Uebergang von herber Ablehnung zum freudig¬
innigen Geständnis der Liebe. Conrad Wiene gab sich ebenfalls
schlicht, da wo er mit blasierter Miene seinem Gegner gegen¬
überstand, tat sie gute Wirkung, an anderer Stelle hätte ein
Grad Wärme mehr gute Dienste getan. Doch durfte sich die
Durchführung neben der Partnerin sehen lassen. Den drauf¬
gängerischen Oberleutnant faßte Karl Noack mit zäher Energie
an; so schien er selbst in seiner Unnatur natürlich. Sein
Gegenstück im bunten Rock machte Otto Letroe, durch ganz
feine sachliche Arbeit zu einer zwingend sympathischen Per¬
sönlichkeit. Der andere Typus aus derselben Sphäre, der
leichtlebige Husarenleutnant, war in dem einzigen echt wiene¬
risch sprechenden Harry Förster bestens aufgehoben. Aehnlich
auch der Arzt bei Karl Elzer. Ganz hervorragend gut gelang
die Wiedergabe des Bühnenvölkchens in seinen verschiedenen
Typen, an der Spitze stand höchstüberlegen der Sommer¬
theaterdirektor Max Pateggs, in seinen ernsten wie in seinen
heiteren Szenen überwältigend echt und komisch. Die Herren
Kurth, Gerhard, Marlitz, die Damen Euler und Gold gaben
auch ihrerseits Treffliches. So kann man von einer höchst
gelungenen Vorstellung sprechen und dem Beifall des Publi¬
kums durchaus beistimmen
Dr. Th.