II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 664

Liebelei
5. box 11/1
essau
Enhallischer Staate
2 5 N0V. 903
Kunst und Wissenschaft
Herzogliches Hoftheater,
Dessau, 24. November.
Zum ersten Male: Liebelei. Schauspiel in drei Aufzügen
von Arthur Schnitzler. —
Der Autor dieses Stückes lebt
als
seren erfolgreichen drama¬
tischen Autoren moderner Richtung. „Liebelei ist 1895 her¬
ausgekommen; den letzten Bühnensieg gewann der Dichter im
Vorjahre mit den „Lebendigen Stunden, vier Einaktern von
ungleichem Wert. Den vollen Kranz des dramatischen Dichters
hat sich Schnitzler noch in keinem Falle errungen, doch gelingen
ihm starke, wirklich dichterische Wirkungen sehr wohl. Er be¬
strebt sich stets, ein Einzelschicksal zum Sittenbilde zu verallge¬
meinern, ja er ist ein ganz spezifischer Sittenschilderer, der
seine Stoffe gern mit sicherer Hand aus dem Leben seiner Um¬
gebung herausgreift und zum Kunstwerk gestaltet. So auch in
der „Liebelei"; das Schauspiel enthüllt uns in guter Milieu¬
schilderung die ganze leichtfertige Philosophie des gedankenlosen
Flirts, wie er, wohl nicht nur an der schönen blauen Donau,
sondern auch anderwärts, von einem Teil der „jungen Leute“
„von heute“ mit den Töchtern des kleinen Bürgerstandes ge¬
trieben wird. Sodann läuft als eigentliches tragisches Grund¬
motiv die sittlich noch verwerflichere „Liebelei“ mit der Frau
eines anderen nebenher. Der Dichter vertieft nun das Pro¬
blem, indem er an dem Liebesspiel, das hundert andere nur als
Episode betrachten und schadlos überwinden, zwei tiefer veran¬
lagte Naturen zugrunde gehen läßt. Damit hebt er das ganze
etwas heikle Thema in die Sphäre der Sittlichkeit und von
diesem Gesichtspunkte aus sind wir der Intendanz dankbar, daß
sie uns die Bekanntschaft des Schnitzlerschen Schauspiels ver¬
mittelt hat. Es hat ja auch Schwächen; so wie Schnitzler das
Thema aufgreift, eignet es sich eigentlich mehr zu novellistischer
als zu dramatischer Behandlung, aber es ist doch immerhin schon
ein Labsal, wenn eine Novität kein sinnloser Schwank ist, son¬
dern ein mit seelenkundiger Dichterkraft behandelter Ausschnitt
des wirklichen Lebens, der zum Nachdenken anregt.
Die Aufführung ging gut vonstatten, die Einzelleistungen
waren fast alle gut. Fräulein Lorenz gab sich als Christine
Weiring redliche Mühe, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Sie
war am Beginn ganz das sentimental und romantisch ange¬
hauchte „süße Mädel“, das für eine bloße „Liebelei“ doch zu
innig liebt und darüber Schiffbruch leidet. Im letzten Auf¬
zuge aber zeigte sich's, daß Fräulein Lorenz für echte Tragik
nichts übrig hat. Wo sie das Schicksal dieser Maria Magda¬
ena in kleinen darstellen sollte, fand sie nur ein äußerliches
atho
das völlig kalt ließ. In groben Strichen nur wurde
hier Seelenqual des in seinem Stolze geknickten und em¬
Körte
Nädchens gezeichnet, keine feinere Nüance war zu ver¬
zpür
keine Gliederung im Aufbau des Affektes, nur der un¬
Ober
lte Wechsel der Extreme: Tränen bald und bald Ent¬

schreie. Eine wirkliche, aus dem Innern schaffende
idarstellerin müßte in dieser Schlußszene alle mit sich
u. Fräulein Lorenz aber weckte leider die Kritik und
m Erfolg an den Dichter ab, der hier wahrhaftig und
uns spricht. Herr Biedermann hatte als Fritz
ner im Grunde eine wenig dankbare Rolle; um so mehr
nan anerkennen, daß er diesen wankelmütigen Charak¬
geschlossen zur Darstellung brachte. Ein richtiges Paar
er Jungwiener stand vor uns in dem Theodor Kaiser des
en Grans und in der Mizi Schlager des
Fräulein
einschreiber — beides gute Figuren, besonders waschecht
#r die fesche „Mizi“! So recht im treuherzigen altwiener
il spielte Herr Hetzel den wackeren Vuter der Christine:
räulein Ernst war als Strumpfwirkersgattin Binder auf
hrem Platze. Das Publikum nahm die Novität mit sichtlicher
Wärme auf.
Es folgte, gleichfalls zum ersten Male, das einaktige Lust¬
spiel Russisch von Albert Paul. Der Einakter ist geschickt ge¬
macht, nimmt sich aber doch aus, wie ein dramatischer Husa¬
renritt auf Logik und Wahrheit — vor denen die Idee nicht
recht bestehen kann. Wird das Stück aber mit demselben Elan
gespielt, mit dem es konzipiert ist, so kann der Erfolg nicht
ausbleiben, und das war gestern der Fall. Fräulein Schu¬
bert war als die berühmte Sängerin Milbrano, auf deren
sprödes Herz der russische Oberst eine so stürmische und schlie߬
lich doch siegreiche Attacke unternimmt, sehr repräsentabel und
in der nicht leichten Darstellung voller Feinheiten, und Herr
Reubke hat in dem Obersten Goschniköff eine Rolle gefunden,
in der man ihn einfach gesehen haben muß. Dieser Oberst ist
ein russischer Graf und benimmt sich wie ein Polizeiwacht¬
meister, er ist ein Gentleman und zugleich ein Barbar, der sich
aber wiederum als der zärtlichste Liebhaber aufspielt (der
Autor möge dieses psychologische Quodlibet verantworten!)
alle diese Register zieht Herr Reubke mit Virtuosität und sichert
dem Stück und sich den Erfolg. Auch die übrigen Rollen wa¬
ren gewandt vertreten durch Herrn Brüdjam (Fritz Mil¬
brano), Fräulein Ernst (Kammermädchen) und Herrn Eber¬
lein (Bursche).