5. Liebelei
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6 Ausschnitt aus:
E vom30 4. 190/ GRAEER TAGBLA‘E
Theater und Kunst.
(Theater am Franzensplatz.) Auch die zweite
Leistung des Fräuleins Guttmann, ihre
Wiedergabe der Christine in Artur Schnitzlers
Schauspiel „Liebelei“, war eine stärte Tatent¬
probe. Das zart melancholische, hingebungsvolle,
etwas träumerische Wesen des Mädchens wurde
mahr als bloß andeutungsweise zur Geltung ge¬
bracht. Auch das stumme Spiel der Darstellerin
beanspruchte stellenweise Aufmerksamkeit, so z. B.
an der Stelle, da sie am Klavier den Geliebten mit
traurig=liebevollem, sorgendem Blick beo# #et. In
den späteren Auftritten traten freilich an ängel „
hervor. So klingt z. B. lautes Weinen bei Fräulein
Guttmann nicht sehr echt und naturwahr. Es teilt
sich dabei dem Sprechen nicht jenes Zittern der
Stimme, jene Atemlosigkeit mit, die für einen
unter Tränen geäußerten Affekt charakteristisch ist.
Zudem brachte auch diesmal die Darstellerin wieder
einige Stellen, die starken seelischen Ausdruck ver¬
langen, auffallend nüchtern. Die Christine darf
z. B. ihrem Fritz nicht einfach sachlich berichten, daß
sie ein Bild besitzt, das ein von ihrem Geliebten
verlassenes Mädchen darstellt. Die Angst vor einem
ähnlichen Schicksal muß ihrer Mitteilung eine
tiefere Bedeutung geben. Auch an anderen Stellen
hätte es sich deutlicher zeigen müssen, wie alles
Fühlen und Denken bei Christine eine Richtung
hat, wie sie mit ihrem ganzen Wesen im Geliebten
aufgeht. Jedenfalls darf man aber auch nach dieser
noch lange nicht ausgereiften Leistung das Urteil
fällen, daß wir es hier mit einer Anfängerin zu
tun haben (die Dame stand gestern das zweitemal
auf der Bühne), die nachdrücklichste Ermunterung
und entschiedene Förderung verdient. Noch läßt
sich nicht bestimmen, wie viel von ihren Fähig¬
keiten noch entwicklungsfähig ist und worin sie
vielleicht die Grenzon, die ihrer Veranlagung ge¬
zogen sind, schon erreicht hat. Jedenfalls wird man
ihr als einem vielversprechenden Talent in ihrem
ferneren Wirken mit Anteil und Vergnügen folgen.
Von den übrigen Darstellern in der „Liebelei“ trat
wieder besonders Fräulein Braun mit ihrer vor¬
trefflichen Leistung als Mizi Schlager hervor. —
Der „Troubadour“ von Hans Müller be¬
rührt als ein Lustspiel mit noch nicht abgenütztem
Hauptmotiv nicht übel Aus einem litorari¬
schen Wettbewerb sind zwei Arbeiten über das
Weib preisgekrönt hervorgegangen. In der einen
wird die Frau als Ursache aller Übel verdammt, in
der anderen wird in lyrischen Gedichten begeistert
ihr und der Liebe Lob gesungen. Die Gattin eines
Schiedsrichters in dieser Angelegenheit, die Frau
des Professors Hausmann, ist empört über die
Anerkennung, die die erste Arbeit fand. Gewiß hat
das ein bissiger, alter, immer erfolglos gebliebener
Nichtkenner des weiblichen Geschlechtes geschrieben!
Wie interessant muß dagegen der Dichter der
anderen Arbeit, der „Troubadour“, sein! Die bei¬
den „Gekrönten“ kommen. und — siehe da: der
Frauenhasser ist ein höchst liebenswerter und höchst
liebeserfahrener, schon längst gern gesehener Ver¬
ehrer der schönen Frau, während sich am „Trou¬
badour“ das Sprüchlein des Dichters erfüllt: „Die
Nachtigall ist nicht zum Sehen, nur zum Hören,
Sie kennen lernen, wird im Genuß dich stören.“
Die „Nachtigall“ hat nämlich eine Frau und neun
Kinder und dichtet nur aus Hunger; aber nicht
aus Hunger nach Liebe, sondern aus einem pro¬
faneren Nahrungsbedürfnis heraus. Schade, daß
der Verfasser der frauenfeindlichen Arbeit, der
eine sympathischen, praktischen
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6 Ausschnitt aus:
E vom30 4. 190/ GRAEER TAGBLA‘E
Theater und Kunst.
(Theater am Franzensplatz.) Auch die zweite
Leistung des Fräuleins Guttmann, ihre
Wiedergabe der Christine in Artur Schnitzlers
Schauspiel „Liebelei“, war eine stärte Tatent¬
probe. Das zart melancholische, hingebungsvolle,
etwas träumerische Wesen des Mädchens wurde
mahr als bloß andeutungsweise zur Geltung ge¬
bracht. Auch das stumme Spiel der Darstellerin
beanspruchte stellenweise Aufmerksamkeit, so z. B.
an der Stelle, da sie am Klavier den Geliebten mit
traurig=liebevollem, sorgendem Blick beo# #et. In
den späteren Auftritten traten freilich an ängel „
hervor. So klingt z. B. lautes Weinen bei Fräulein
Guttmann nicht sehr echt und naturwahr. Es teilt
sich dabei dem Sprechen nicht jenes Zittern der
Stimme, jene Atemlosigkeit mit, die für einen
unter Tränen geäußerten Affekt charakteristisch ist.
Zudem brachte auch diesmal die Darstellerin wieder
einige Stellen, die starken seelischen Ausdruck ver¬
langen, auffallend nüchtern. Die Christine darf
z. B. ihrem Fritz nicht einfach sachlich berichten, daß
sie ein Bild besitzt, das ein von ihrem Geliebten
verlassenes Mädchen darstellt. Die Angst vor einem
ähnlichen Schicksal muß ihrer Mitteilung eine
tiefere Bedeutung geben. Auch an anderen Stellen
hätte es sich deutlicher zeigen müssen, wie alles
Fühlen und Denken bei Christine eine Richtung
hat, wie sie mit ihrem ganzen Wesen im Geliebten
aufgeht. Jedenfalls darf man aber auch nach dieser
noch lange nicht ausgereiften Leistung das Urteil
fällen, daß wir es hier mit einer Anfängerin zu
tun haben (die Dame stand gestern das zweitemal
auf der Bühne), die nachdrücklichste Ermunterung
und entschiedene Förderung verdient. Noch läßt
sich nicht bestimmen, wie viel von ihren Fähig¬
keiten noch entwicklungsfähig ist und worin sie
vielleicht die Grenzon, die ihrer Veranlagung ge¬
zogen sind, schon erreicht hat. Jedenfalls wird man
ihr als einem vielversprechenden Talent in ihrem
ferneren Wirken mit Anteil und Vergnügen folgen.
Von den übrigen Darstellern in der „Liebelei“ trat
wieder besonders Fräulein Braun mit ihrer vor¬
trefflichen Leistung als Mizi Schlager hervor. —
Der „Troubadour“ von Hans Müller be¬
rührt als ein Lustspiel mit noch nicht abgenütztem
Hauptmotiv nicht übel Aus einem litorari¬
schen Wettbewerb sind zwei Arbeiten über das
Weib preisgekrönt hervorgegangen. In der einen
wird die Frau als Ursache aller Übel verdammt, in
der anderen wird in lyrischen Gedichten begeistert
ihr und der Liebe Lob gesungen. Die Gattin eines
Schiedsrichters in dieser Angelegenheit, die Frau
des Professors Hausmann, ist empört über die
Anerkennung, die die erste Arbeit fand. Gewiß hat
das ein bissiger, alter, immer erfolglos gebliebener
Nichtkenner des weiblichen Geschlechtes geschrieben!
Wie interessant muß dagegen der Dichter der
anderen Arbeit, der „Troubadour“, sein! Die bei¬
den „Gekrönten“ kommen. und — siehe da: der
Frauenhasser ist ein höchst liebenswerter und höchst
liebeserfahrener, schon längst gern gesehener Ver¬
ehrer der schönen Frau, während sich am „Trou¬
badour“ das Sprüchlein des Dichters erfüllt: „Die
Nachtigall ist nicht zum Sehen, nur zum Hören,
Sie kennen lernen, wird im Genuß dich stören.“
Die „Nachtigall“ hat nämlich eine Frau und neun
Kinder und dichtet nur aus Hunger; aber nicht
aus Hunger nach Liebe, sondern aus einem pro¬
faneren Nahrungsbedürfnis heraus. Schade, daß
der Verfasser der frauenfeindlichen Arbeit, der
eine sympathischen, praktischen