II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1000

Tebele
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„ODSENTEK
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burg, Toronto.
Ogetlenengaba ohne Gewahr.
Ausschnitt aus Berliner Local Anzeiger
Lonn. 1911
vom:
l. N. In der Komischen Oper brachte
gestern (Freitag) Direktor Gregor kurz vor seinem
Scheiden aus Berlin noch eine Novität heraus,
die Oper „Liebelei“ von Franz Neumann,
von der wenigstens der zweite Akt auf das Pre¬
mierenpublikum eine starke Wirkung ausübte.
Der erste und dritte machten offenbar weniger
Eindruck, wenn es ihnen auch an lebhaftem Bei¬
fall nicht fehlte. Vor dem Richterstuhl der Zeit
aber wird das ganze Werk schwerlich bestehen.
denn es ist ein im Grunde verfehltes Experi¬
ment. Franz Neumann, seines Zeichens Kapell¬
meister in Frankfurt a. M., hat sich nicht einen
für ihn passenden Text gedichtet oder dichten
lassen, sondern, wie es neuerdings Mode zu
werden scheint, ein vorhandenes Drama ge¬
nommen und im wesentlichen so, wie es war,
nur mit einigen Kürzungen, in Musik gesetzt.
Das ist schon in manchen anderen Fällen vom
Uebel gewesen, ist es in diesem aber ganz be¬
sonders. Nicht das ist das Schlimmste, daß ein¬
zelne Wendungen des Dialoas der Vertonung
widersprechen, sondern daß die Reize des Dramas
in der Ope verloren gehen. Das Schauspiel von
Arthur Schnitzler enthält an sich so viel Musik,
daß keine neue hinzugetan zu werden braucht,
und es enthält eine Fülle von Poesie, der nur
ein Schnitzler kongenialer Tondichter hätte ge¬
recht werden können. Herr Neumann aber ist
Kapellmeister, der nichts anderes bringt als mo¬
derne Kapellmeistermusik. Natürlich versteht
er
sich auf das Instrumentieren, aber
das ist
nach dem Eindruck, den ich ge¬
wonnen habe, der einzige Vorzug. Eigenes
hat der Komponist gar nicht zu bieten.
Es
sind nicht direkt Reminiszenzen an
bestimmte Vorbilder, die stören, sondern man
hat das unbestimmte Gefühl, daß einem die ganze
Musik schon bekannt ist. In den wenigen Mo¬
menten, in denen die Heiterkeit zu ihrem Rechte
kommt, möchie man allerdings glauben, daß Herr
Neumann doch Talent hat, da findet man zum
mindesten feste Konturen, ja sogar ein paar
witzige Einfälle, aber der Neumannsche Ernst ist
trostlos. Ver allem fehlt dem Komponisten der
geläuterte Geschmack, der Maßhalten lehrt. Der
Dichter stellt Tragik und Komik einander gegen¬
über, Theodor und Mizi repräsentieren diese,
Fritz und Christine jene. Darin folgt ihm der
Komponist, aber er verteilt die Kontraste nicht so
gut, von Anfang an ist die Musik zu schwer und
düster. Schnitzler findet die rechten Worte für
die einfache Geschichte, für das einfache Milieu,
in dem sie sich abspielt, Neumann bietet, wenn
Christine traurig ist, einen Apparat auf, als ob
es gelte, den Untergang von Völkern oder die
Götterdämmerung zu schildern. Wenn der zweite
Akt trotzdem, wie erwähnt, eine starke Wirkung
ausübte, so erklärt sich dies leicht daraus, daß er
mit einem Liebesduett von Puccinischer Senti¬
mentalität schließt. Der Sentimentalität ergibt
sich der Deutsche nun einmal gern, wo immer sie
ihm begegnet. — Die Aufführung des Werres
war vortrefflich, und der Komponist, der wieder¬
holt mit den ausübenden Künstlern an der Rampe
erscheinen konnte, hatte wohl recht, wenn er durch
Gesten den Mitwirkenden, auch dem Orchester
seinen Dank aussprach. Die musikalische Leitung
lag in den Händen des bewährten Dirigenten
von Reznicek, die Regie führte der als Regisseur
oft gerühmte Direktor Gregor. Das heitere Paar
wurde durch Frau Bachrich und Herrn Wissiak
ebenso gut verkörpert wie das ernste durch Frl.
Labia und Herrn Nadolovitch, und den Vater
Christinens gab Herr Zador in Gesang und Spiel
mit treffender Charakteristik, während die kleine¬
ren Rollen bei Frau Seebold und Herrn Armster
wohl aufgehoben waren.