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Tebelei
box 12/1
Telephon 12.801.
SOSENVER
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewahr.!
Ausschnitt aus: Neue Badis#e Landes Zeitur
Mannheim
S
Feuilleton.
Berliner Theater.
Die vertonte „Liebelei.“ — Pariser Possenartikel.
Franz Neumann, der Frankfurter Kapellmeister, hat
Schnitzlers „Liebelei“ komponiert und in der Komischen
Oper einen starken Erfolg gehabt.
Eine reine künstlerische Freude kann dieses Werk. trotz
musikalischer Arbeitsqualität, nicht machen. Der Stoff, text¬
lich fast wörtlich übernommen, und die Musik gehen nich
zusammen. In Schnitzlers liebem Wiener Stück schwebe
Musik: Donauwalzer, Rhhrhmus der Deutschmeistermärsche;
Werklton im Frühling beim Heurigen am Kahlenberg, weh¬
banges Sehnsuchtslied in der Dämmerung, und zum Aus¬
gang verwehter zerbrochener Klang einer armen Seele.
Ich denke mir, ein Komponist von feinem inneren Ge¬
hör müßte sich diese verborgene Musik herauslauschen, sie
halten und zum Klingen bringen, und da würde denn so
etwas werden, wie eine holdmelancholische Idylle, zart und
traurig, mit dem Tod im Hintergrund, und darüber doch
leuchtend das unvergängliche Lächeln einer wunderbaren
Stadt.
Davon merkt man hier nichts. Neumann denkt nur
an sich, wie er seine dramatisch=pathetischen Triebe musi¬
kalisch sich abreagieren kann, wie er Weltuntergangsstim¬
mungen, Jüngsten Tags=Furioso in Orchesterdämonien aus¬
toben kann. Es ist, als ob einer aus einem lieblichen
Schwindschen Bild, etwa dem Morgen mit dem Mägdlein
im rührenden Hemed am Fenster, ein Riesenfresko machen
wollte.
Am deutlichsten, zugleich aber auch am peinlichsten spürt
man dies im ersten Akt der von Schnitzler so bestrickend
gemischt ist, in seiner Plauoeratmosphäre, der heiteren Zärt¬
lichkeiten, dem gaukelnden Leichtsinn und lauernder Lebens¬
engst und drohendem Unheil in der Luft.
Der Komponist aber entfesselt gleich alle Elemente, er
reißt die tragischen Schleusen auf, und zu komischem Wider¬
spruch wird es, wenn die natürlich=prosaischen Umgangs¬
worte Schnitzlerschei##lltagsmenschen — es ist so übsch, daß
er die beiden Freunde im Personenverzeichnis einfach als
„junge Leute“ bezeichnet —- zu Noten gesungen werden, deren
Gewaltsaufgebot etwa den Leidenschaftsgewittern einer nor¬
dischen Heerfahrt gemäß wäre.
Zwischendurch besinnt sich Neumann und möchte doch ein¬
mal dem Klima geben, was des Klimas ist. Drum spielt
#er den vergnüglichen Liebesleuten, dem Hern Theodor und
der Frl. Mizzi einen Walzer auf und legt für das senti¬
mentalische Paar Fritz und Christine ein inniges Volks¬
liel — All' mein Gedanken, die ich han, die sind bei Dir
der schwermütigen Christin' in den Mund
n
Während aber in Schnitzlers Dichtung durch die fein
und sicher abgewogene Gefühlsdosierung das Jauchzende und
das Betrübte tief menschlich zusammenklingt, steht in dieser
Musik Unvereinbares fremd nebeneinander. Und der erste
Akt ging ziemlich lau vorüber.
Nun hatte Neumann aber mit der Darstellung Glück.
Seine Christine war Marie Labia, die mit Schnitzlers
Idyll gar nichts gemein hat und mit ihrer italienisch=tragi¬
schen Maske, tiefverhängt und von den Furien gezeichnet,
als süßes Mädel im Wiener Vorstadtkleidel arg verwunschen
aussah. Um so besser paßte die Linie ihrer Darstellung
zu der Musik und ihren heroischen Ambitionen.
Und im zweiten Akt, als sie fühlt, daß sie den Geliebten
zum letzten Mal sieht, und im letzten, als sie erfährt, daß
er wegen einer fremden Frau im Duell gefallen, und zu¬
sammenbrechend das Leben wegwirft, da gestaltete die große
Künstlerin, jenseits des bürgerlichen Klimas der Wiener
Komödie, zu aufwühlenden, packenden, vom Milieu losge¬
lösten, naturhaften Gefühls= und Affektsituationen.
Schnitzerisch war allein Desider Zador als Vater Chri¬
stinens, der alte Musikus, menschlich gütevoll, resigniert und
stillheiter dabei in seinem Schubert vergnügt, und mit einem
offnen Herzen für das junge Blut und all sein Wunsch
und Weh'. Diese Gestalt ward schlicht und echt durch den
Darsteller aus der Welt des Dichters herübergerettet und
machte Freude. Freilich verschärfte sich das Widerspruchs¬
volle des Ganzen nun wieder durch die Zusammenstellung
dieses Vaters mit dieser Tochter.
Merkwürdige Wirkungen ergaben sich so. Manchmal
Einzeleindrücke, die isoliert, für sich genommen, fortreißens#
konnten; im zweiten Akt vor allem, der ungezählte Hervor¬
rufe weckte. Aber keine Gesamterfüllung, keine dramatisch
volle Auslösung stellte sich ein.
Man gab sich für einen Augenblick hin, der nächste
verwischte alles, und der Nachgeschmack, der noch einmal
alles Zwiespältige, Schiefe in die Erinnerung brachte, ver¬
darb alles.
has
„
Tebelei
box 12/1
Telephon 12.801.
SOSENVER
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewahr.!
Ausschnitt aus: Neue Badis#e Landes Zeitur
Mannheim
S
Feuilleton.
Berliner Theater.
Die vertonte „Liebelei.“ — Pariser Possenartikel.
Franz Neumann, der Frankfurter Kapellmeister, hat
Schnitzlers „Liebelei“ komponiert und in der Komischen
Oper einen starken Erfolg gehabt.
Eine reine künstlerische Freude kann dieses Werk. trotz
musikalischer Arbeitsqualität, nicht machen. Der Stoff, text¬
lich fast wörtlich übernommen, und die Musik gehen nich
zusammen. In Schnitzlers liebem Wiener Stück schwebe
Musik: Donauwalzer, Rhhrhmus der Deutschmeistermärsche;
Werklton im Frühling beim Heurigen am Kahlenberg, weh¬
banges Sehnsuchtslied in der Dämmerung, und zum Aus¬
gang verwehter zerbrochener Klang einer armen Seele.
Ich denke mir, ein Komponist von feinem inneren Ge¬
hör müßte sich diese verborgene Musik herauslauschen, sie
halten und zum Klingen bringen, und da würde denn so
etwas werden, wie eine holdmelancholische Idylle, zart und
traurig, mit dem Tod im Hintergrund, und darüber doch
leuchtend das unvergängliche Lächeln einer wunderbaren
Stadt.
Davon merkt man hier nichts. Neumann denkt nur
an sich, wie er seine dramatisch=pathetischen Triebe musi¬
kalisch sich abreagieren kann, wie er Weltuntergangsstim¬
mungen, Jüngsten Tags=Furioso in Orchesterdämonien aus¬
toben kann. Es ist, als ob einer aus einem lieblichen
Schwindschen Bild, etwa dem Morgen mit dem Mägdlein
im rührenden Hemed am Fenster, ein Riesenfresko machen
wollte.
Am deutlichsten, zugleich aber auch am peinlichsten spürt
man dies im ersten Akt der von Schnitzler so bestrickend
gemischt ist, in seiner Plauoeratmosphäre, der heiteren Zärt¬
lichkeiten, dem gaukelnden Leichtsinn und lauernder Lebens¬
engst und drohendem Unheil in der Luft.
Der Komponist aber entfesselt gleich alle Elemente, er
reißt die tragischen Schleusen auf, und zu komischem Wider¬
spruch wird es, wenn die natürlich=prosaischen Umgangs¬
worte Schnitzlerschei##lltagsmenschen — es ist so übsch, daß
er die beiden Freunde im Personenverzeichnis einfach als
„junge Leute“ bezeichnet —- zu Noten gesungen werden, deren
Gewaltsaufgebot etwa den Leidenschaftsgewittern einer nor¬
dischen Heerfahrt gemäß wäre.
Zwischendurch besinnt sich Neumann und möchte doch ein¬
mal dem Klima geben, was des Klimas ist. Drum spielt
#er den vergnüglichen Liebesleuten, dem Hern Theodor und
der Frl. Mizzi einen Walzer auf und legt für das senti¬
mentalische Paar Fritz und Christine ein inniges Volks¬
liel — All' mein Gedanken, die ich han, die sind bei Dir
der schwermütigen Christin' in den Mund
n
Während aber in Schnitzlers Dichtung durch die fein
und sicher abgewogene Gefühlsdosierung das Jauchzende und
das Betrübte tief menschlich zusammenklingt, steht in dieser
Musik Unvereinbares fremd nebeneinander. Und der erste
Akt ging ziemlich lau vorüber.
Nun hatte Neumann aber mit der Darstellung Glück.
Seine Christine war Marie Labia, die mit Schnitzlers
Idyll gar nichts gemein hat und mit ihrer italienisch=tragi¬
schen Maske, tiefverhängt und von den Furien gezeichnet,
als süßes Mädel im Wiener Vorstadtkleidel arg verwunschen
aussah. Um so besser paßte die Linie ihrer Darstellung
zu der Musik und ihren heroischen Ambitionen.
Und im zweiten Akt, als sie fühlt, daß sie den Geliebten
zum letzten Mal sieht, und im letzten, als sie erfährt, daß
er wegen einer fremden Frau im Duell gefallen, und zu¬
sammenbrechend das Leben wegwirft, da gestaltete die große
Künstlerin, jenseits des bürgerlichen Klimas der Wiener
Komödie, zu aufwühlenden, packenden, vom Milieu losge¬
lösten, naturhaften Gefühls= und Affektsituationen.
Schnitzerisch war allein Desider Zador als Vater Chri¬
stinens, der alte Musikus, menschlich gütevoll, resigniert und
stillheiter dabei in seinem Schubert vergnügt, und mit einem
offnen Herzen für das junge Blut und all sein Wunsch
und Weh'. Diese Gestalt ward schlicht und echt durch den
Darsteller aus der Welt des Dichters herübergerettet und
machte Freude. Freilich verschärfte sich das Widerspruchs¬
volle des Ganzen nun wieder durch die Zusammenstellung
dieses Vaters mit dieser Tochter.
Merkwürdige Wirkungen ergaben sich so. Manchmal
Einzeleindrücke, die isoliert, für sich genommen, fortreißens#
konnten; im zweiten Akt vor allem, der ungezählte Hervor¬
rufe weckte. Aber keine Gesamterfüllung, keine dramatisch
volle Auslösung stellte sich ein.
Man gab sich für einen Augenblick hin, der nächste
verwischte alles, und der Nachgeschmack, der noch einmal
alles Zwiespältige, Schiefe in die Erinnerung brachte, ver¬
darb alles.
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