5. Liebelei
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K. H. In der Komischen Oper erzielte die erste Auf¬
führung der neuen Oper Liebelei, nach A. Schnitzlers
gleichnamigem Drama komponiert von Franz Nelmann
am Freitag von seiten des zahlreich erschienenen Publikums
einen großen und glänzenden Erfolg, der schon nach dem
zweiten Akte einen zwölfmaligen Hervorruf veranlaßte und sich
beim Schluß der Oper noch steigerte. Das Sujet dürfte zwar
als ziemlich bekannt angenommen werden, doch wollen wir
kurz rekapitulieren. Ein junger Wiener, Fritz Lobheimer,
unterhält ein ernstes Liebesverhältnis mit einer ver¬
heirateten Frau. Sein
Freund Theodor Kaiser er¬
kennt die Gefahren und unausbleiblichen Folgen der Ent¬
deckung und versucht, Fritz zur Aufgabe des Verhältnisses zu
überreden. Als bestes Mittel dazu dünkt ihm, seinem Freund
eine Freundin seiner Geliebten — beide einfache Bürgers¬
mädchen — zuzuführen. Fritz fängt auch bald Feuer, auf
Seite Christinens aber — eben jener Freundin — entsteht eine
wahre, wachsende Liebe. Sie ahnt Geheimnisse, die sie von
ihrem Geliebten trennen, deren Aufklärung er indessen schroff
ablehnt, und so gibt sie sich traurig und resigniert ihrem Liebes¬
glück hin. Der Ehemann hat unterdessen Kenntnis von den
Beziehungen Fritzens zu seiner Frau erhalten, stellt ihn unter
Ueberreichung, der Briefe an seine Frau zur Rede und verlangt
Satisfaktion, die ihm von Seite Fritzens zugesagt wird,
—
der sich von Christine in einer langen Szene ver¬
abschiedet unter dem Vorwande einer Reise zu seinen
Eltern. Das Duell findet statt, und Fritz wird
erschossen. Mittlerweile hat Christine ihrem Vater ihre Liebe
zu Fritz gestanden; der alte Mann, der den Tod Fritzens schon
erfahren hat, sucht hülflos und händeringend seiner Tochter
ihre Leidenschaft auszureden, aber erst Theodor und seine
Freundin haben die Kraft, ihr das Schreckliche mitzuteilen.
Mehr, als der Tod selbst, ergreift sie die Verzweiflung in dem
Gedanken, daß ihr Geliebter, für den sie ihr Leben hingegeben
hätte, für eine andere starb. Sie stürzt davon, und der alte
Vater bricht mit der Ahnung zusammen: sie kommt nicht
wieder. Man sieht, das Stück hat große dramatische Wirkung
und wäre an sich für eine Vertonung nicht ungeeignet. In
unserem Falle wirkt aber die glatte=Benutzung des Prosatextes
von seiten des Komponisten für unsere bisherige Opernanschauung
ziemlich befremdlich und streift manchmal ans unfreiwillig
Komische. Es mag das eine Sache der bis jetzt geltenden
Uebung sein; ja bei einiger Reflexion käme man ganz leicht
zu der Ansicht, daß es einheitlicher wirken muß, wenn eben
alles gesungen wird (die Oper an sich dabei als feststehendes
Kunstwerk betrachtet), als wenn die Abwechslung zwischen Dialog
und Musik z. B. in den Auberschen Spielopern, ja selbst in
der Zauberflöte, zu Unzulänglichkeiten und komischen Eindrücken
Veranlassung gibt und geben muß. Aber mußte denn der an
sich so reizende Dialog Schnitzlers beibehalten werden? Die
Gefahr liegt doch ziemlich nahe, daß eben diese entzückende
Diktion durch die Musik verlieren muß, die Musik aber dabei
nichts gewinnt, sondern als aufgepfropftes Reis einer
an sich schon künstlerisch fertigen Sache erscheinen muß.
Und nun zur Musik. Der jugendliche Komponist zeigt großes
Talent für das leichte, liebenswürdige Genre, und deshalb sind
die Szenen im ersten Akte mit dem bewegt fließenden an¬
genehm klingenden Orchester als vorzügliche Leistung auf dem
Gebiete der komischen Oper — der Oper unserer Zukunft, wie
sie schon Richard Wagner bezeichnete — anzuerkennen. Auch die
Einleitung zum zweiten Akt und die gemütvolle Charakterisierung
des alten Weiring zeigen den Komponisten auf dem richtigen
Weg, der freilich verlassen wird, sobald es sich um seelische
Vorgänge ernsterer Art handelt. Hier hat sich Neumann die
neuitalienischen Komponisten, vor allem Puccini zum Muster
genommen, und er scheut nicht vor der Phrasenhaftigkeit,
Hohlheit und Gewöhnlichkeit zurück, die uns das Anhören jener
Werke der Italiener auf die Dauer so unleidlich machen. Ein
Anlehnen an diese Art von Kunstgattung kann zu nichts Gutem
in der Kunst führen; ihre süßliche Sentimentalität, in den ersten
Augenblicken bestechend, wird langweilig in den steten Wieder¬
holungen, die Phrasen klingen abgeschmackt und unwahr. Möge
ein guter Genius unseren talentvollen Kunstjünger vor weiteren
Versuchungen bewahren, möge ihm vor allem mehr Herbheit und
Männlichkeit zu teil werden! Frau Maria Labia war,
soweit es ihr italienisches Wesen vermochte, eine sehr gute
Darstellerin der Hauptrolle und bot auch gesanglich im ganzen
eine gute Leistung, ebenso Fräulein Susanne Bachrich und
Frau Seebold, sowie die Herren Zador und Armster.
Wenig Vergnügen bereitete uns Herr Nadolovitch als
Fritz Lobheimer; seine mangelhafte deutsche Aussprache ist schon
ein großes Hindernis, aber auch gesanglich könnte man wirklich
mehr erwarten. Der Beifall war, wie gesagt, trotz alledem
g enthusiastisch.
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K. H. In der Komischen Oper erzielte die erste Auf¬
führung der neuen Oper Liebelei, nach A. Schnitzlers
gleichnamigem Drama komponiert von Franz Nelmann
am Freitag von seiten des zahlreich erschienenen Publikums
einen großen und glänzenden Erfolg, der schon nach dem
zweiten Akte einen zwölfmaligen Hervorruf veranlaßte und sich
beim Schluß der Oper noch steigerte. Das Sujet dürfte zwar
als ziemlich bekannt angenommen werden, doch wollen wir
kurz rekapitulieren. Ein junger Wiener, Fritz Lobheimer,
unterhält ein ernstes Liebesverhältnis mit einer ver¬
heirateten Frau. Sein
Freund Theodor Kaiser er¬
kennt die Gefahren und unausbleiblichen Folgen der Ent¬
deckung und versucht, Fritz zur Aufgabe des Verhältnisses zu
überreden. Als bestes Mittel dazu dünkt ihm, seinem Freund
eine Freundin seiner Geliebten — beide einfache Bürgers¬
mädchen — zuzuführen. Fritz fängt auch bald Feuer, auf
Seite Christinens aber — eben jener Freundin — entsteht eine
wahre, wachsende Liebe. Sie ahnt Geheimnisse, die sie von
ihrem Geliebten trennen, deren Aufklärung er indessen schroff
ablehnt, und so gibt sie sich traurig und resigniert ihrem Liebes¬
glück hin. Der Ehemann hat unterdessen Kenntnis von den
Beziehungen Fritzens zu seiner Frau erhalten, stellt ihn unter
Ueberreichung, der Briefe an seine Frau zur Rede und verlangt
Satisfaktion, die ihm von Seite Fritzens zugesagt wird,
—
der sich von Christine in einer langen Szene ver¬
abschiedet unter dem Vorwande einer Reise zu seinen
Eltern. Das Duell findet statt, und Fritz wird
erschossen. Mittlerweile hat Christine ihrem Vater ihre Liebe
zu Fritz gestanden; der alte Mann, der den Tod Fritzens schon
erfahren hat, sucht hülflos und händeringend seiner Tochter
ihre Leidenschaft auszureden, aber erst Theodor und seine
Freundin haben die Kraft, ihr das Schreckliche mitzuteilen.
Mehr, als der Tod selbst, ergreift sie die Verzweiflung in dem
Gedanken, daß ihr Geliebter, für den sie ihr Leben hingegeben
hätte, für eine andere starb. Sie stürzt davon, und der alte
Vater bricht mit der Ahnung zusammen: sie kommt nicht
wieder. Man sieht, das Stück hat große dramatische Wirkung
und wäre an sich für eine Vertonung nicht ungeeignet. In
unserem Falle wirkt aber die glatte=Benutzung des Prosatextes
von seiten des Komponisten für unsere bisherige Opernanschauung
ziemlich befremdlich und streift manchmal ans unfreiwillig
Komische. Es mag das eine Sache der bis jetzt geltenden
Uebung sein; ja bei einiger Reflexion käme man ganz leicht
zu der Ansicht, daß es einheitlicher wirken muß, wenn eben
alles gesungen wird (die Oper an sich dabei als feststehendes
Kunstwerk betrachtet), als wenn die Abwechslung zwischen Dialog
und Musik z. B. in den Auberschen Spielopern, ja selbst in
der Zauberflöte, zu Unzulänglichkeiten und komischen Eindrücken
Veranlassung gibt und geben muß. Aber mußte denn der an
sich so reizende Dialog Schnitzlers beibehalten werden? Die
Gefahr liegt doch ziemlich nahe, daß eben diese entzückende
Diktion durch die Musik verlieren muß, die Musik aber dabei
nichts gewinnt, sondern als aufgepfropftes Reis einer
an sich schon künstlerisch fertigen Sache erscheinen muß.
Und nun zur Musik. Der jugendliche Komponist zeigt großes
Talent für das leichte, liebenswürdige Genre, und deshalb sind
die Szenen im ersten Akte mit dem bewegt fließenden an¬
genehm klingenden Orchester als vorzügliche Leistung auf dem
Gebiete der komischen Oper — der Oper unserer Zukunft, wie
sie schon Richard Wagner bezeichnete — anzuerkennen. Auch die
Einleitung zum zweiten Akt und die gemütvolle Charakterisierung
des alten Weiring zeigen den Komponisten auf dem richtigen
Weg, der freilich verlassen wird, sobald es sich um seelische
Vorgänge ernsterer Art handelt. Hier hat sich Neumann die
neuitalienischen Komponisten, vor allem Puccini zum Muster
genommen, und er scheut nicht vor der Phrasenhaftigkeit,
Hohlheit und Gewöhnlichkeit zurück, die uns das Anhören jener
Werke der Italiener auf die Dauer so unleidlich machen. Ein
Anlehnen an diese Art von Kunstgattung kann zu nichts Gutem
in der Kunst führen; ihre süßliche Sentimentalität, in den ersten
Augenblicken bestechend, wird langweilig in den steten Wieder¬
holungen, die Phrasen klingen abgeschmackt und unwahr. Möge
ein guter Genius unseren talentvollen Kunstjünger vor weiteren
Versuchungen bewahren, möge ihm vor allem mehr Herbheit und
Männlichkeit zu teil werden! Frau Maria Labia war,
soweit es ihr italienisches Wesen vermochte, eine sehr gute
Darstellerin der Hauptrolle und bot auch gesanglich im ganzen
eine gute Leistung, ebenso Fräulein Susanne Bachrich und
Frau Seebold, sowie die Herren Zador und Armster.
Wenig Vergnügen bereitete uns Herr Nadolovitch als
Fritz Lobheimer; seine mangelhafte deutsche Aussprache ist schon
ein großes Hindernis, aber auch gesanglich könnte man wirklich
mehr erwarten. Der Beifall war, wie gesagt, trotz alledem
g enthusiastisch.