II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1048

Liebele
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STaus rre
Franz Neumann des Schnitzlerschen
Heir
Stückes bemächtigt. Indessen: seine Musik deckt sich
in den meisten Fallen keineswegs mit dem poetischen
Stoffe und den Einzelheiten der szenischen Vorgänge,
obwohl sie letzteren mit pedantischer Peinlichkeit
folgt, sie im Orchester andeutet, hervorhebt, ja mit
bahren Balkenstrichen unterstreicht, auf daß der
nichts verpasse. Zwischen Dichtung und
Hörer ja
Musik herrscht eine bedenkliche Asymmetrie, und ferner
kommt die Meinung einem grauslichen Irrtum gleich,
man dürfe einen Prosatext so ganz ohne weiteres
„durchkomponieren“. C. Fr. Zöllner komponierte ein¬
mal die Speiselarte — gewiß ein hübscher Lieder¬
tafelscherz. Herr Neumann komponiert (schnell im
Schauspieldialog vorüberhuschende) Sätze, in denen¬
vom Pfropfenzieher und Zigarrenkisten, von Konver¬
sationslexikon und Landwehrübung die Rede ist. An
ästhetischem Ueberempfinden leidet der Tonsetzer also
kaum. Seine Musik, die sehr geschickt und klangvoll
*
instrumentiert ist, ist inhaltlich unpersönlicher Art,
Kapellmeistermusik; von außen in ihren Themen an¬
geflogen, der Stimmung nach an= und nachempfunden.
Demgemäß herrscht auch eine skrupellose Verwirrung
der Stile; Altes und Neues geht hier eine musika¬
lische Kreuzung ein. Schnitzlers feines Stück ruht
auf Stimmung und Dialog. Beiden steht die Neu¬
mannsche Musik arg im Wege. Um nur einiges an¬
zuführen: die niedliche Souperszene läßt Neumann in
einem Walzer gewöhnlichster Art kulminieren; das
Orchestervorspiel des dritten Aktes könnte als Trauer¬
nusik einem Helden gelten, möglich aber dem
Laffen Fritz. Und sollte es n der Tragik eines
Mädchenschicksals reden, so nimmt es sich ganz un¬
geschlacht und fehl am Orte aus. Der Komponist läßt
die Sänger unausgesetzt sich des Sprechgesangs be¬
dienen und schafft hierdurch nicht allein ziemlich be¬
deutende Schwierigkeiten, sondern auch gähnende
Monotonie. In den letzten beiden Akten kommt es
zu einigen lyrischen Ansätzen, aber nirgends zu
Vollendung, obwohl Neumann, anscheinend der echte
Routinier, nirgends in Verlegenheit ob des Fort¬
gangs gerät, und sich aller nur möglichen Mittel be¬
dient, mögen sie nun mehr oder minder gut sein.
Es war in der laufenden Saison nun schon die dritte
Opernniete. Eine Reihe trefflicher Künstler war ver¬
urteilt, sie mit ziehen zu helfen. Fräul. Marx stellte
die so sympathische Gestalt der Christine aufs er¬
greifendste dar. Es war, trotz Neumann, aber dank
Schnitzler, kein Falsch an diesem Mädchen, die auf
Treu und Glauben hin sich einem Lumpen hinab und
an innerer Reinheit nichts verlor. Den natürlichen
Höhenunkt erreichte Mizzi Marx im dritten Akte. wo
der Gesang verstummt und die Heldin endlich
Schnitzlers Worte sprechen darf. Auf dem ge¬
gebenen Gegenvol stand die Mizi Schlager des Fräu¬
leins Fladnitzer: ein lebenslustiges, gutmutiges
Wesen, leichtsiunig genug und, eine geborene Grisette,
nur des Heute, nie des Morgen gedenkend. Auch im1
passiven Spiel des ersten Aktes leistete die Dame Be¬
trachtliches. Mit Vorgenannten ergänzten sich die
Herren Schroth und Klinghammer zu den
zwei Liebespaaren. Ersterer gab dem Fritz den
lyrischen Anstrich, der zum Herzensbrechergewerbe
gehört, spielte flott und natürlich und gewann
Christinens Mädchenherz und wohl gar manches im
Zuschauerraume dazu mit seinen hohen Tönen. Als

guter Freund Theodor assistierte Herr Kling¬
hammer, diesmal ganz vortrefflich. Herr
Lüppertz charakterisierte den beleidigten Ehemann
energisch, Herr Kase fand als Vater Christinens zu
Herzen gehende Töne und Fräul. Urbaczek war
eine gutmütige Ratschkathi. Herrn Kapellmeister
Pollaks fleißiges Studium ward durch die sehr
gelungene Vorstellung belohnt. Indessen schien mir
der Dialog zwischen Bühne und Orchester insofern
nicht völlig künstlerisch abgestimmt, als Egon Pollak
doch zuweilen instrumental zu stark auftragen ließ
und dadurch die unleidlichen musikalischen Posen in
noch grelleres Licht rückte, die der Autor so oft und
dann stets ohne alle künstlerische Motivierung einzu¬
nehmen beliebt. Herr Dr. Loewenfeld stellte die
zwei Interieurs mit gutem Geschmacke für das Ganze
wie das Einzelne. Der Geiger Weiring mag im
Theater der Wiener Josefstadt wohl am sechsten
Pulte gesessen haben, also erlaubte sein Etat dem
Töchterlein schwerlich den Luxus durchbrochener
Seidenstrümpfe und Lakschuhe. Hoffentlich läßt die
löbliche Regie die hübsche Christine die Fußbekleidung
alsbald wechseln.
Das Sprachrohr der Presse hatte des Komponisten
Ankunft und Anwesenheit gemeldet. Also durfte er
auch vor der Rampe erscheinen mit unseren vortreff¬
lichen einheimischen Künstlern. Eigentlich hätte
Arthur Schnitzler statt seiner vortreten sollen.
Denn er allein ist diesenfalls der Dichter und Sieger,
dder den Erfolg zum andern Male davontrug. Es
war ein Scheinerfolg. Denn das Werk bedeutet kaum
meh als eine Liebelei mit der Oper selbst.
Eugen Segnitz.