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Liebelei
e e en ene ehe
#. Snum anme amme
Arthur Schnitzler: „Liebelei“.
Staatliches Schiller=Theater.
Christine, das naiv=gutgläubige Mädel aus dem Volke, das sich
in einen etwas dekadenten Jüngling verliebt, so aufrichtig verliebt,
daß sie, als eben dieser junge Mann im Duell um eine andere Frau
fällt, in der Einfalt ihres Herzens ihm in den Tod nachfolgen will, —
nein, diese Christine hat wohl nie dichterische Aktualität besessen.
Sie lebt in einer Sphäre, die hart ans Märchen grenzt, heute noch
viel mehr als vor dreißig Jahren, da Schnitzlers „Liebelei“ zum
erstenmal gespielt worden ist. Dieser Schnitzler=Abend im staat¬
lichen Schiller=Theater war darum mehr ein Abend der Reminiszen¬
zen, mit seinen Schwächen, aber auch mit seinen Reizen.
Letzten Endes ist bei Schnitzler nicht der Vorgang das Primäre,
wesentlich sind vielmehr die Zwischentöne, die atmosphärischen Schattie¬
rungen. Diese „Liebelei", die in der Unberührtheit ihrer dichterischen
Diktion nun wie ein altes Volkslied klingt. besitzt die ganze Zart¬
heit, die ganze Farbenfülle des alten Wien, das wir nur noch aus
Büchern kennen. Es hat sich mancherlei in diesen dreißig Jahren
ereignet, wir haben viel brutalere Schicksale erlebt, darum können
wir Christinens Tragik kaum noch begreifen. Mit leiser Andacht
blicken wir nun auf diese Menschen, die so merkwürdige Erregungen
und so merkwürdige Leidenschaften besitzen.
Aber auch die Feinheiten der Schnitzlerschen Werke haben sich er¬
halten, sie sind lebendig geblieben als dichterische Spiegelung eines
historisch gewordenen Zeitabschnitts. Hier setzte Jürgen Fehling,
der Spielleiter des Abends, ein, von hier aus entwickelte er das
Milieu der neunziger Jahre. Fehling gibt weniger den Ablauf eines
Schicksals, als dessen Ausstrahlungen auf die Umwelt; er drängt die
drei Akte nicht zusammen, er schaltet gern Pausen ein, er variiert ein
Thema, zu dem uns heute die innere Beziehung fehlt. Wundervoll
ist die gedämpfte Heiterkeit des ersten Aktes, wundervoll trifft er auch
den tragischen Schatten, den der zweite Akt vorauswirft. Der dritte
Akt schwächt die Wirkung ab, weil er zu breit zu überladen ist,
obwohl die Christine der Lucie Mannheim hier ihre stärksten
Momente hat. Ihre äußere Gestalt deckt sich nicht mit der Vor¬
stellung vom „Wiener süßen Mädel“, es fehlt ihr die schwebende
Leichtigkeit der Wiener Atmosphäre, sie spielt con von Beginn an
zu stärk betont die tragische Rolle Aber an Ende. da hat sie die
Schwermut des enttäuschten Mädels, da ist sie das ewige Kind mit
dem ewigen & iderherzen.
Gut abschattiert werden um sie die Menschen zweier Gesellschafts¬
schichten bewegt. Mizzi Schlager, Modistin, die „fesche Wienerin“ ist
Maria Paudler ein immer heiteres Mädel, das nichts von Ernst
und Tragik wisten will. Den umworbenen Duellanten spielt Richard
170
L
L
indliche. u.
och Verfügungel, nort dr
genenen
Duschinsky, oft noch unsicher im Tonfall, aber mit den Zeichen
eines starken Talents für junge Liebhaber; sein Freund ist Heinrich
Schnitzler, des Dichters Sohn, ein liebenswerter Kerl, der mit
der Wiener Erde verwachsen ist. Jacob Tiedtke, als Christinens
Vater, ist echt menschlich im Ausdruck des Leids, #i Mensch voll Güte
und Verstehen.
Auftakt des Abends waren Schnitzlers „Weihnachtsein¬
käufe“ aus dem Anatol=Zyklus. Ein szenischer Dialog mit seinen
Reflexionen über Liebe und Leben, ein dialektisches Schmuckstück, das
von Lina Lossen und Erwin Faber sehr diskret, sehr einfühlsam
gespielt wurde.
Bur.
X Rektoratsübernahme an der Berliner Universität. Cin
Präludium von Bach leitete die Feier in der überfüllten neuen Aula
der Universität ein. Rektor Holl, heute zum letztenmal angetan
mit den Insignien der Rektorenwürde, ergrif das Wort zu einer
längeren Rede, in der er über das abgelaufene Studienjahr Bericht
erstattete. Er gedachte besonders des erst vor einigen Tagen ver¬
storbenen Professors Dr. Hugo Preuß. Dann hielt der neue Rektor
der Berliner Universität, Geheimrat Professor Dr. Josef Pompeckj
seine Antrittsrede über das Thema „Umwelt, Anpassung, Beharrung
im Lichte erdgeschichtlicher Ueberlieferung“. Für den Gang der Ent¬
wickelung ist ihm das allein Entscheidende die geologische Geschichte
des Lebens. Die Momente der Anpassung und Beharrung bestimmen
den Weg, der aus dem Antrieb durch Aenderung der Umwelt ein¬
geleitet wird. Der Mensch unterliegt diesen Gesetzen, er folgt den
Einflüssen der Umwelt. Auch im Menschen ist Beharrung ausgedrückt:
das konservative Prinzip. Für das Schicksal des Menschen kann aber
nur aus dem Zusammenwirken von Anpassung und Beharrung das
für die menschliche Gemeinschaft Nutzbringende hervorgebracht werden.
X Berliner Vorträge. Otto Bernstein rezitiert in seinem Kleist¬
Abend am 20 Oktober, um 8 Uhr, im Meistersaal folgendes Pro¬
gramm: Das Erdbeben in Chili. — Die heilige Cäcilie oder die Gewalt
der Musik, eine Legende. — Anekdoten. — Der Vortragsabend von Edith
Herrnstadt=Oettingen findet am Dienstag, 27. Oktober, abends
5 Uhr, im Meistersaal mit Werken von Altenberg, Björnson, Bibel,
Ball, Dehmel, v. Molo, Hamel, v. Unruh statt. — Mary Schneider
gibt am 28. Oktober, um 8 Uhr, im Klindworth=Scharwenka¬
Saal einen Vortragsabend „Rhythmen der Gegenwart“; ein¬
leitend spricht sie über „Das Wort in unserer Zeit“. — Im
Hörsaal der staatlichen Kunstbibliothek, Prinz=Albrecht=Straße 7a,
Hof, finden zehn Vorträge über die Keramik aller Zeiten und Völker vom
19. Oktober an, jeden Montag abend um 8 Uhr, statt. — An dem ersten
Berliner Autorenabend des Volkskraftbundes am 21. Ok¬
tober, um 8 Uhr, in der Aula, Georget traße 30, wird Käthe
Hyan aus den „Erlebnissen eines Berliner Kindes“ vor¬
tregen und dazu neue reizende Volkslieder zur Laute singen.
& Berliner Theaterchronik. Erika Gläßner spielt die weibliche
Haut rolle in Verneuils Lustspiel „Kopf oder Adler“ das als
nächste Erstaufführung im Komödienhaus vorbereitet wird.
al
Liebelei
e e en ene ehe
#. Snum anme amme
Arthur Schnitzler: „Liebelei“.
Staatliches Schiller=Theater.
Christine, das naiv=gutgläubige Mädel aus dem Volke, das sich
in einen etwas dekadenten Jüngling verliebt, so aufrichtig verliebt,
daß sie, als eben dieser junge Mann im Duell um eine andere Frau
fällt, in der Einfalt ihres Herzens ihm in den Tod nachfolgen will, —
nein, diese Christine hat wohl nie dichterische Aktualität besessen.
Sie lebt in einer Sphäre, die hart ans Märchen grenzt, heute noch
viel mehr als vor dreißig Jahren, da Schnitzlers „Liebelei“ zum
erstenmal gespielt worden ist. Dieser Schnitzler=Abend im staat¬
lichen Schiller=Theater war darum mehr ein Abend der Reminiszen¬
zen, mit seinen Schwächen, aber auch mit seinen Reizen.
Letzten Endes ist bei Schnitzler nicht der Vorgang das Primäre,
wesentlich sind vielmehr die Zwischentöne, die atmosphärischen Schattie¬
rungen. Diese „Liebelei", die in der Unberührtheit ihrer dichterischen
Diktion nun wie ein altes Volkslied klingt. besitzt die ganze Zart¬
heit, die ganze Farbenfülle des alten Wien, das wir nur noch aus
Büchern kennen. Es hat sich mancherlei in diesen dreißig Jahren
ereignet, wir haben viel brutalere Schicksale erlebt, darum können
wir Christinens Tragik kaum noch begreifen. Mit leiser Andacht
blicken wir nun auf diese Menschen, die so merkwürdige Erregungen
und so merkwürdige Leidenschaften besitzen.
Aber auch die Feinheiten der Schnitzlerschen Werke haben sich er¬
halten, sie sind lebendig geblieben als dichterische Spiegelung eines
historisch gewordenen Zeitabschnitts. Hier setzte Jürgen Fehling,
der Spielleiter des Abends, ein, von hier aus entwickelte er das
Milieu der neunziger Jahre. Fehling gibt weniger den Ablauf eines
Schicksals, als dessen Ausstrahlungen auf die Umwelt; er drängt die
drei Akte nicht zusammen, er schaltet gern Pausen ein, er variiert ein
Thema, zu dem uns heute die innere Beziehung fehlt. Wundervoll
ist die gedämpfte Heiterkeit des ersten Aktes, wundervoll trifft er auch
den tragischen Schatten, den der zweite Akt vorauswirft. Der dritte
Akt schwächt die Wirkung ab, weil er zu breit zu überladen ist,
obwohl die Christine der Lucie Mannheim hier ihre stärksten
Momente hat. Ihre äußere Gestalt deckt sich nicht mit der Vor¬
stellung vom „Wiener süßen Mädel“, es fehlt ihr die schwebende
Leichtigkeit der Wiener Atmosphäre, sie spielt con von Beginn an
zu stärk betont die tragische Rolle Aber an Ende. da hat sie die
Schwermut des enttäuschten Mädels, da ist sie das ewige Kind mit
dem ewigen & iderherzen.
Gut abschattiert werden um sie die Menschen zweier Gesellschafts¬
schichten bewegt. Mizzi Schlager, Modistin, die „fesche Wienerin“ ist
Maria Paudler ein immer heiteres Mädel, das nichts von Ernst
und Tragik wisten will. Den umworbenen Duellanten spielt Richard
170
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indliche. u.
och Verfügungel, nort dr
genenen
Duschinsky, oft noch unsicher im Tonfall, aber mit den Zeichen
eines starken Talents für junge Liebhaber; sein Freund ist Heinrich
Schnitzler, des Dichters Sohn, ein liebenswerter Kerl, der mit
der Wiener Erde verwachsen ist. Jacob Tiedtke, als Christinens
Vater, ist echt menschlich im Ausdruck des Leids, #i Mensch voll Güte
und Verstehen.
Auftakt des Abends waren Schnitzlers „Weihnachtsein¬
käufe“ aus dem Anatol=Zyklus. Ein szenischer Dialog mit seinen
Reflexionen über Liebe und Leben, ein dialektisches Schmuckstück, das
von Lina Lossen und Erwin Faber sehr diskret, sehr einfühlsam
gespielt wurde.
Bur.
X Rektoratsübernahme an der Berliner Universität. Cin
Präludium von Bach leitete die Feier in der überfüllten neuen Aula
der Universität ein. Rektor Holl, heute zum letztenmal angetan
mit den Insignien der Rektorenwürde, ergrif das Wort zu einer
längeren Rede, in der er über das abgelaufene Studienjahr Bericht
erstattete. Er gedachte besonders des erst vor einigen Tagen ver¬
storbenen Professors Dr. Hugo Preuß. Dann hielt der neue Rektor
der Berliner Universität, Geheimrat Professor Dr. Josef Pompeckj
seine Antrittsrede über das Thema „Umwelt, Anpassung, Beharrung
im Lichte erdgeschichtlicher Ueberlieferung“. Für den Gang der Ent¬
wickelung ist ihm das allein Entscheidende die geologische Geschichte
des Lebens. Die Momente der Anpassung und Beharrung bestimmen
den Weg, der aus dem Antrieb durch Aenderung der Umwelt ein¬
geleitet wird. Der Mensch unterliegt diesen Gesetzen, er folgt den
Einflüssen der Umwelt. Auch im Menschen ist Beharrung ausgedrückt:
das konservative Prinzip. Für das Schicksal des Menschen kann aber
nur aus dem Zusammenwirken von Anpassung und Beharrung das
für die menschliche Gemeinschaft Nutzbringende hervorgebracht werden.
X Berliner Vorträge. Otto Bernstein rezitiert in seinem Kleist¬
Abend am 20 Oktober, um 8 Uhr, im Meistersaal folgendes Pro¬
gramm: Das Erdbeben in Chili. — Die heilige Cäcilie oder die Gewalt
der Musik, eine Legende. — Anekdoten. — Der Vortragsabend von Edith
Herrnstadt=Oettingen findet am Dienstag, 27. Oktober, abends
5 Uhr, im Meistersaal mit Werken von Altenberg, Björnson, Bibel,
Ball, Dehmel, v. Molo, Hamel, v. Unruh statt. — Mary Schneider
gibt am 28. Oktober, um 8 Uhr, im Klindworth=Scharwenka¬
Saal einen Vortragsabend „Rhythmen der Gegenwart“; ein¬
leitend spricht sie über „Das Wort in unserer Zeit“. — Im
Hörsaal der staatlichen Kunstbibliothek, Prinz=Albrecht=Straße 7a,
Hof, finden zehn Vorträge über die Keramik aller Zeiten und Völker vom
19. Oktober an, jeden Montag abend um 8 Uhr, statt. — An dem ersten
Berliner Autorenabend des Volkskraftbundes am 21. Ok¬
tober, um 8 Uhr, in der Aula, Georget traße 30, wird Käthe
Hyan aus den „Erlebnissen eines Berliner Kindes“ vor¬
tregen und dazu neue reizende Volkslieder zur Laute singen.
& Berliner Theaterchronik. Erika Gläßner spielt die weibliche
Haut rolle in Verneuils Lustspiel „Kopf oder Adler“ das als
nächste Erstaufführung im Komödienhaus vorbereitet wird.
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