II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1594


Aus der Theaterwelt.%
(Von der gestrigen Burgtheater=Rovität. — „Die fremde
[Frau“ und die Generalprohe der Tränen. — Wie Alexander Bisson
szum Tragiker geworden sein mag. — Von Tränen, auf der Bühne ge¬
weint. — Frau Kallina als Jacqueline. — Rosa Retty, die beste
Weinerin der deutschen Bühne. — Ein Weinerfolg der Frau Hartmann.
Sonnentbal und die Oesterreichisch=ungarische Bank.
Von den
Tränendrüsen der Herren Treßler, Römpler, Thimig, Kainz
und Hoftat Schlenther.)
„Eine so gerührte Generalprobe wie die von Bissons „Die
framde Frau“ hat es bei uns im Burgtheater schon
lanige nicht gegeben!“ rief ein alter Schauspieler der Hofbühne aus, als
man wieder einmal bei der gewohnten Tafelrunde beisammen saß. „Das
Ha us war förmlich unter Wasser gesetzt. Dem volkstümlichen Zug des
Dr amas entsprechend, hatte man auch die Galerien geöffnet. Vom Juchbe
un d vom Pariett aus hörte man das Aufschluchzen; es machte sich
höchst effektvoll. Kein Wunder, denn den Chorus der Weinenden führte
ni emand anderer als Adolf v. Sonnenthal, der einen Ecksitz der
zu zeiten Parkettreihe einnahm!“
„Ja wohl!“ bestätigte eine Dame des Buratheaters, „er hat mir
sc hon nach dem ersten Akt erklärt — das ist nämlich das Vorspiel, in
em der Staatsanwalt Fleuriot seiner Frau, die zum kranken Söhnchen
n ull, die Türe weist — daß er sein erstes Taschentuch aufgebraucht habe.
„Aber tagszuvor,“ fuhr der Schauspieler fort, „war die Geschichte
soch interessanter. Da waren wir alle von den Proben so müde, daß
jeder seine Rolle fast nur markierte und bloß bei gewissen Stellen hervor¬
brach. Trotzdem hörten wir plötzlich Schluchztöne. Wir schauen ins
Partett — es lag im Halbdunkel da — und erkennen unsere Direktorin,
die Frau Hofrätin Schlenther, mit zusammengeknülltem Taschentuch vor
den Augen.“
Das Gespräch wendet sich dem Charakter des Bissonschen Boule¬
vardstückes zu, das jeden literarischen Ehrgeizes bar, ganz ungeniert nur
nach Effeit sucht, ihn aber auch erreicht. Und man wunderte sich nicht
wenig, daß ein Schwanldichter wie Bisson sich so virtuos auf das
Rührinstrument verstehe.
„Das ist gar nicht so zu verwundern“ — sagte der alte Burg¬
schauspieler — „Schwank und Drama, wie nahe aneinander liegen sie!
Wielleicht hat Bisson aus der „Fremden Frau' ursprünglich ein Vaude¬
bille machen wollen, o wie mir ja auch Artur Schnitzler einmal
exzahlt hat, wie merkwürdig seine „Liebelei“ entstanden ist er
#u seinem Freunde, dem Kritiker Felix Salten, spazieren und erzählt
ihm vom „süßen Mädel“ und ihrem Freund, vom Vater Musitus 2c und
während des Erzählens — Schnitzler weiß selbst nicht wie — wird die
Geschichte immer ernster, bis ihn Salten plötzlich unterbricht und sagt:
„Jg, um Gotteswillen, das ist ja kein Schwant, das ist das ausgesprochene
Wiener Drama!“ Und als ich kürzlich im Volistheater Saltens „Auf¬
erstehung“ sah, habe ich mir gedacht, da mag so ungefähr die heitere
Gründidee von „Liebeler mitspielen.“
Schnell war aber das Gespräch wieder auf die Burgtheatemovität
zurückgeleitet.
„Im zweiten Akt, wenn Jaqueline (Frau Kallina) ihren ge¬
liebten Laroque tötet (das ist Herr Zesla), weil er eine Erpressung an
ihrem geschiedenen Gatten verüiben will, wird diesmal auch wirklich auf
offener Szeue geschossen werden, um die Realistik vollends zur Geltung
kommen zu lassen,“ erzählte der Burgschauspieler weiter. „Frau Kallina
wird schießen und aus ihrem Revolver wird Feuer blitzen.
„Ja ist denn das etwas so Besonderes bei euch im Burgtheater?“
fragte einer der Zuhörer.
„Jawohl!“ antwortete der Burgschauspieler. „Seit Hübners Zeiten
ist es bei uns als strenges Gebot eingehalten worden, Schüsse auf der
Bühne zu vermeiden. Bei Attentaten, Duellen 2c., die sich auf offener
Szene abspielen, wird immer hinter der Bühne geschossen. Und zwar
seit der Zeit, da Herr Lewinsky einmal als Meineidbauer in der nächt¬
lichen Szene am Wildbach seinen Sohn Franz (Herr Hübner) mit
dem Gewehrschuß die Hand versengte. Bei uns wurde nämlich immer
mit Kuhhaarpfropfen geschossen. Der Hahn brachte die Dingerchen zur
Explosion, es gab einen grellen Aufschein, Rauch und eine respektable
Detonation. Als aber damals der Rauch die Hand des Darstellers
versengte, wurde Auftrag gegeben, von nun an hätten alle Darsteller
gegebenenfalls nur mit leeren, respektive mit stummen Gewehren und
Revolvern zu schießen, während rückwärts die Requisiteure den
wirklich tnallenden Schuß abgaben. Man hat es auch in Bissons
Stück so halten wollen. Aber es mußte schließlich doch zum
wirklichen Schißen auf der Bühne zurückgegriffen werden. Denn die in
der verdeckten Kulisse abgegebenen Schüsse klangen, als kämen sie aus
einem benachbarten Hause, während sich doch die ganze Szene in einem
kleinem Hotelzimmer abspielt, das vom Schall des Schusses vollends
erfüllt sein sollte. Der Frau Kallina war es nicht gerade angenehm,
mit eigener Hand feuern zu müssen; aber schließlich nahm sie zu den
vielen Emotionen dieser Rolle auch noch diese Aufregung auf sich.“
Bank. Aller
„Ich habe auch gehört,“ bemerite eine Naie des Volkstbeaters,
echten Empfi
„daß Frau Kallina von ihrer Rolle geradezu erschüttert und bei den
Man
Proben aus dem Weinen fast nicht herausgekommen ist.“
nicht als S
„Stimmt!“ erwiderte der Burgschauspieler. „Das ist eben das
aus weiterre
Unerhörte an dieser verflixten, hohlen Boulevardkomödie, daß wir
oben auf der Bühne fast gerade so unverschämt heulen, wie die, die
„Das
spieler, der
unten sitzen. Ich bin ein alter Hase und habe in bezug auf das Weinen
zwischen den
eine Erfahrung gemacht, die man sich übrigens leicht erklären kann.
mir nichts d
nämlich: Schauspieler und Schauspielerinnen, die selbst wieder von
die absolut n
Bühnenmenschen stammen, denen also das Komödiespielen im Blute
im „Dumm
liegt, haben gewöhnlich so viel Zurückbaltung, daß ihnen die Tiäne
bloß in der Stimme zittert die Wangen aber immer trocken bleiben.
hösen, eigenn
Da haben wir gleich als Exempel die Retty, die doch eine der
buchs gerühr
Eltern das
besten „Weinerinnen“ der deutichen Bühne ist! Sie kann, diese kleine
Römple
Person, durch ihr Schluchzen alte Männer wie Kinder heulen machen
man braucht sich nur an „Klein Dorrit“ zu erinnern — aber kaum
keit ist, muß
wenn als
flennen die Leute, lauft sie davon mit heiteren Augen, die so blank sind
seiner ärztlich
wie die früher erwähnten gefahrlosen stummen Revolver, die nicht
einmal mit Kuhhaar geladen sind. Das nennt man von Eltern ererbtes
wiederzukom
Theaterblut.“
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„Aber Frau Kallina ist doch auch ein echtes und rechtes Theater¬
fin
9
kind!“ warf die Naive dazwischen.
K
„Trotzdem aber,“ fuhr der Burgschauspieler fort, „konnte sich sich
in der Gerichtsszene beim Wiederseben mit ihrem Sohne nicht aufrecht
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halten, so oft sie die Szene auch spielte. Ja, noch mehr, wenn sie die
K
Gerichtsverhandlung hinter sich hatte, setzte sie sich immer in der ersten
g
Kulisse auf einen Holzsessel nieder, um für sich, ganz in der Stille, zur
Beruhigung sozusagen, ein anständiges Pensum als Draufgabe noch
sh
nach zweinen.“
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„Das macht,“ meinte ein grauhaariger Regisseur, „weil in
Bissons Drama die Liebe zu einem Kind in Frage kommt.“
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„Sie können recht haben!“ bekräftigte der alte Burgschauspieler.
lieb
„Das habe ich so recht eklatant bei unserer Kollegin Lotte Witt
zweit
gesehen. Als Ludwig Fulda seinerzeit bei uns sein Lustspiel „Die
auf tro
Zwillingsichwester“ einstudierte, da war die Witt bei den Proben und
naß geseuc
während der Premiere eine der ruhigsten. Schließlich hat es sich ja um
S
D.- Mnsuunss ur-r
Kainz der
Anlaß. Neulich bei einer gewöhnlichen Reprise des Stückes sehe ich sie
besitzen. Wot
nach dem dritten Akt auf der Bübne mit ganz verweinten Augen. Ich
Und n
glaubte schon, es sei etwas vorgefallen, und erkundige mich. Was höre
Weinen —
ich? Die Witt sei immer so aufgeregt, wenn sie in dem Fuldaschen
junge Dame
Lustspiel sich für ihre eigene Schwester ausgeben und dem lieben Kind
tats' auch.
gegenüber, das sehnend die Arme nach Mamachen ausstreckt, sich ver¬
leugnen und die Tante spielen muß! Woher diese Wandlung? Woher
die Tränen im Lustspiel? Frau Witt hat mittlerweile gebeiratet und
genießt Mutterglück, und da rührt sie das Kind und sie kann Mutter¬
liebe nie spielen, ohne davon bewegt zu werden — sie, die als Sprosse
riner alten Theatersamilie schon in der Wiege Bühnenluft geatmet hat.
waß sie als „Anna Karenina“ immer wie ein Kind schluchet, wenn ihr
der Gatte verbietet, ihren Buben zu sehen, brauche ich nicht
erst zu sagen. Sie wird es auch noch bei der 50. Aufführung dieser
Komödie tun.“
S
„Ich habe, erzählt der alte Regisseur, „wenn ich in früberen
E
Jahren den Musikus Miller gespielt habe, immer gescnet, daß meine
wirtliche Rührung mein Spiel und die Wirkung beeinträchtigen könnte.“
„Das ist falsch!“ entgegnete der Burgschauspieler. „Ich beneide
den Schauspieler und besonders jede Kollegin, die leicht weinen kann.
Von wirklichen Tränen, auf der Bühne geweint, geht ein Fluidum aus.
das sich den Zuschauern mitteilt, eine wunderbare geheime Kraft, die
mächtig wirkt. Ich werde nie vergessen, wie unsere Frau Hartmann #
den Erfolg der „Schmetterlingsschlacht“ entschieden hat — mit ein paar
heißen Tränen. Wie sie da im Schlußakt mit ihren Töchtern vor Herrn
Wintelmann erscheint und ausruft: „Ich hab' zu viel betteln und
herunterschlucken müssen, um meine Kinder soweit zu bringen im Leben!
Wissen Sie denn, Herr Winkelmann, was ein Pfund Fleisch kostet? Und
wissen Sie, was ein Pfund Margarinbutter kostet? Und sehen Sie, Herr
Winkelmann, Sie zahlen fürs Dutzend Fächer bloß 6 Mark“... Und wie
dann die Hartmann zu der Stelle gekommen ist, wo sie sagt, sie würde
trotzdem nicht mit Herrn Winkelmann tauschen, da sie ihre Kinder habe,
während Wintelmanns einziger Sohn von ihm fort will; und wie sie
dann ausruft, sie würde gerne noch einmal alles Elend und alle Bettelei
und alles Rausgeworfenwerden mitmachen, wenn ihr Gott zuriefe:
„Machs noch einmal durch für deine Kinder!“ — wie sie da auf¬
schluchzte und ihr das heiße Salzwasier über die Schminke berunter¬
strömie, da wai's, als ginge eine Revolution durchs Partett, ein Auf¬
stand des Erbaimens.. Und zum Schlusse jubelte man dieser Frau
Hariniga=Hergentheim zu — für ihre heißen Tränen. Sudermann
lüßte ihr die Hand und unser Sonnenthal sprach ein schönes Wort,
das eigentlich in das Kapitel gehört, von dem heute an unserer Runde
gesprochen wird, Er sagte nämlich: „Tränen, die dem Auge des Schau¬
spielers entrollen, haben Wirtlichkeitswert — sowie die Geldnoten der