5.
box 13/3
Liebelei
n eene
Frau Rosar als Strumpfwirkersgattin war die
Darstellerin der Christine verbunden sind, fort; sie
dritte vollendete Weiblichkeit aus der Vorstadt;
ist vielleicht nicht mehr ganz aus Artur Schnitzlers
„Liebelei.“ — „Der tapfere Cassian.“
ausgezeichnet ihre Schärfe, die behutsamst einge¬
Süßer=Mädel=Generation; sie ist gar nicht mehr
Von Artur Schnitzler.
wickelt ist in zuckersüßer Freundlichkeit und un¬
sentimental, ihr Profil und ihr Gemüt sind schon
Neuinszenierung im Theater in der Josefstadt.
überwindlicher Sucht zur Kuppelei.
härter, als damals diese Heros aus der Wiener
Sozusagen im wesentlichen vom Genius loci er¬
Vorstadt waren, aber solch eine flammende Leiden¬
Prachtvoll auch Hugo Thimig als alter
illt, zieht im Josefstädter Theater Schnitzlers
schaft, eine so wilde, reine Empörung des Gefühls,
Weyring; es liegt natürlich nahe, in ihm mehr den
ohelied von der Christine und der Mitzi vor¬
ein solches Aufbäumen wider den Verrat ihres
alten Miller zu sehen, aber wie nahe sind sich denn
ber. Man spielt im Kostüm und Interieur, in dem
besten, tiefsten Gefühls — das hat noch keine
auch die beiden tiefen Vaterherzen; man sieht da,
sie „Sezession“, damals letzter Zeitausdruck
Christine so erschreckend, so hinreißend, so wirklich
daß es in der Herzensgeographie ja doch keine
ar. Das gibt eine historische Feststellung, die
gewaltig gelebt — nein — gelitten, mit Herz¬
Grenzen gibt uno daß die Farben des Dialekts eine
den Einwand hinsichtlich „Überlebtheit“, „Unzeit¬
blut verströmt. Höhepunkt: die mit einer Empfin¬
rein theatralische Außerlichkeit sind. Herz, Herz und
emäßheit“ entkräftet. Selbstverständlich sind alle
dungsgröße, einem Naturlaut einer todwunden
wieder Herz gibt aber dieser alte Herr. Und nichts
iese Menschen heute nicht mehr da! Und die jungen
Kreatur hinausgeschrienen Worte: „Und wann
ist erschütternder als der Augenblick, da die Ein¬
eute des Stückes, der Theodor, der Fritz, die
kommt denn der nächste Liebhaber?“
hristine und die Mitzi, schon gar nicht mehr! Eher
Wer es noch nicht weiß, hier erschaut, vernimmt samkeit in seine Stube bricht, denn Christine wird
## wirklich nicht mehr wiederkommen.
och die Alten, die ganz aus dem Kleinbürgertum
er es: Paula Wessely ist keine Schauspielerin; sie
kommen, wie etwa der alte Weyring und die Frau
Eine schwere Aufgabe hat Hans Thimig
ist das große Frauenherz des deutschen Theaters
Pinder — sie sind eben auch damals nicht Über¬
übernommen. Es beweist nur seine ungeheure schau¬
der Gegenwart.
angsmenschen gewesen, die durch ihre Psyche und
spielerische Vielseitigkeit, wenn er den Liebhaber
Aber auch eine so naturnahe, wahrhaftig
Physis Gefahren ausgesetzt waren.
in wienerischem Moll, den Fritz, in schöner ver¬
wienerische Schlager=Mitzi hat — selbst das Wiener
haltener Empfindung glaubhaft zu machen verstand.
Ausgezeichnet also die Erkenntnis des Regisseurs,
Theater — noch nicht hervorgebracht, wie wir sie
So nach flüchtigen Urteilen und nach alten Gewohn¬
Schnitzler als Dichter seiner Zeit zu gestalten, und
jetzt in Frau Czepa entzückt, verwundert und im
heitseindrücken ist auch des Dichters Sohn, Heinrich
ls solcher erscheint er in seinem stärksten, unmittel¬
Innersten als das dem Wesen der Wessely
[Schnitzler, nicht der richtige Theodor. Und doch
arsten und tiefsten Stück heute noch ganz stark,
komplementäre Wienertum erleben; dieses anmutige,
für unsere Zeit heute der Richtige, denn der Partner
anz unmittelbar und erkenntnistief.
wirklich „süße“ Mädel, diese angeborne Grazie und
der Czepa=Mitzi ist kein Geck, kein Dummkopf, kein
Liebenswürdigkeit, in der alle Musik dieses Bodens
Außerordentlich erfüllt vom Genius loci war auch
Lebejüngling, sondern auch ein kluger, überlegener
ruht, kommt bei Frau Czepa in einem eigenen
ie Tärstenung.
und kultivierter junger Mann aus gutem Hause.
Wienerisch, mit einem Lebenssinn, der eben leicht
In wundervoller Ausgeglichenheit zieht diese
Herr Hübner als Herr macht gute Figur ohne
und flatternd ist, durch eine Klugheit, die auch eine
Tragödie kleiner Leute vorüber; kleiner Leute, unter
die bewußte Dämonie, die jene nicht vergessen, die
Berechtigung hat, zum Ausdruck. Geht Paula
denen eine große Heldin lebt — unerkannt,
je Mitterwurzer in der Rolle sahen; es wäre auch
Wessely mit allem was „Liebelei“ ist, erschütternd
hnungslos, bis ihre Stunde anbricht. Diese
ienerische Heldin ist nun Paula Wessely. Sie zu Gericht, so ist Frau Czepa die alles versöhnende, zu vermeiden, daß es sich der beleidigte Gatte im
Hause des Liebhabers bequem macht; nach den
setzt die Reihe der tiefen Eindrücke, die mit der alles verstehende Schwäche allen Fleisches.
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
WIENEK ZRITUNe
vom:
2 3 FEB. 1933
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Liebelei
n eene
Frau Rosar als Strumpfwirkersgattin war die
Darstellerin der Christine verbunden sind, fort; sie
dritte vollendete Weiblichkeit aus der Vorstadt;
ist vielleicht nicht mehr ganz aus Artur Schnitzlers
„Liebelei.“ — „Der tapfere Cassian.“
ausgezeichnet ihre Schärfe, die behutsamst einge¬
Süßer=Mädel=Generation; sie ist gar nicht mehr
Von Artur Schnitzler.
wickelt ist in zuckersüßer Freundlichkeit und un¬
sentimental, ihr Profil und ihr Gemüt sind schon
Neuinszenierung im Theater in der Josefstadt.
überwindlicher Sucht zur Kuppelei.
härter, als damals diese Heros aus der Wiener
Sozusagen im wesentlichen vom Genius loci er¬
Vorstadt waren, aber solch eine flammende Leiden¬
Prachtvoll auch Hugo Thimig als alter
illt, zieht im Josefstädter Theater Schnitzlers
schaft, eine so wilde, reine Empörung des Gefühls,
Weyring; es liegt natürlich nahe, in ihm mehr den
ohelied von der Christine und der Mitzi vor¬
ein solches Aufbäumen wider den Verrat ihres
alten Miller zu sehen, aber wie nahe sind sich denn
ber. Man spielt im Kostüm und Interieur, in dem
besten, tiefsten Gefühls — das hat noch keine
auch die beiden tiefen Vaterherzen; man sieht da,
sie „Sezession“, damals letzter Zeitausdruck
Christine so erschreckend, so hinreißend, so wirklich
daß es in der Herzensgeographie ja doch keine
ar. Das gibt eine historische Feststellung, die
gewaltig gelebt — nein — gelitten, mit Herz¬
Grenzen gibt uno daß die Farben des Dialekts eine
den Einwand hinsichtlich „Überlebtheit“, „Unzeit¬
blut verströmt. Höhepunkt: die mit einer Empfin¬
rein theatralische Außerlichkeit sind. Herz, Herz und
emäßheit“ entkräftet. Selbstverständlich sind alle
dungsgröße, einem Naturlaut einer todwunden
wieder Herz gibt aber dieser alte Herr. Und nichts
iese Menschen heute nicht mehr da! Und die jungen
Kreatur hinausgeschrienen Worte: „Und wann
ist erschütternder als der Augenblick, da die Ein¬
eute des Stückes, der Theodor, der Fritz, die
kommt denn der nächste Liebhaber?“
hristine und die Mitzi, schon gar nicht mehr! Eher
Wer es noch nicht weiß, hier erschaut, vernimmt samkeit in seine Stube bricht, denn Christine wird
## wirklich nicht mehr wiederkommen.
och die Alten, die ganz aus dem Kleinbürgertum
er es: Paula Wessely ist keine Schauspielerin; sie
kommen, wie etwa der alte Weyring und die Frau
Eine schwere Aufgabe hat Hans Thimig
ist das große Frauenherz des deutschen Theaters
Pinder — sie sind eben auch damals nicht Über¬
übernommen. Es beweist nur seine ungeheure schau¬
der Gegenwart.
angsmenschen gewesen, die durch ihre Psyche und
spielerische Vielseitigkeit, wenn er den Liebhaber
Aber auch eine so naturnahe, wahrhaftig
Physis Gefahren ausgesetzt waren.
in wienerischem Moll, den Fritz, in schöner ver¬
wienerische Schlager=Mitzi hat — selbst das Wiener
haltener Empfindung glaubhaft zu machen verstand.
Ausgezeichnet also die Erkenntnis des Regisseurs,
Theater — noch nicht hervorgebracht, wie wir sie
So nach flüchtigen Urteilen und nach alten Gewohn¬
Schnitzler als Dichter seiner Zeit zu gestalten, und
jetzt in Frau Czepa entzückt, verwundert und im
heitseindrücken ist auch des Dichters Sohn, Heinrich
ls solcher erscheint er in seinem stärksten, unmittel¬
Innersten als das dem Wesen der Wessely
[Schnitzler, nicht der richtige Theodor. Und doch
arsten und tiefsten Stück heute noch ganz stark,
komplementäre Wienertum erleben; dieses anmutige,
für unsere Zeit heute der Richtige, denn der Partner
anz unmittelbar und erkenntnistief.
wirklich „süße“ Mädel, diese angeborne Grazie und
der Czepa=Mitzi ist kein Geck, kein Dummkopf, kein
Liebenswürdigkeit, in der alle Musik dieses Bodens
Außerordentlich erfüllt vom Genius loci war auch
Lebejüngling, sondern auch ein kluger, überlegener
ruht, kommt bei Frau Czepa in einem eigenen
ie Tärstenung.
und kultivierter junger Mann aus gutem Hause.
Wienerisch, mit einem Lebenssinn, der eben leicht
In wundervoller Ausgeglichenheit zieht diese
Herr Hübner als Herr macht gute Figur ohne
und flatternd ist, durch eine Klugheit, die auch eine
Tragödie kleiner Leute vorüber; kleiner Leute, unter
die bewußte Dämonie, die jene nicht vergessen, die
Berechtigung hat, zum Ausdruck. Geht Paula
denen eine große Heldin lebt — unerkannt,
je Mitterwurzer in der Rolle sahen; es wäre auch
Wessely mit allem was „Liebelei“ ist, erschütternd
hnungslos, bis ihre Stunde anbricht. Diese
ienerische Heldin ist nun Paula Wessely. Sie zu Gericht, so ist Frau Czepa die alles versöhnende, zu vermeiden, daß es sich der beleidigte Gatte im
Hause des Liebhabers bequem macht; nach den
setzt die Reihe der tiefen Eindrücke, die mit der alles verstehende Schwäche allen Fleisches.
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
WIENEK ZRITUNe
vom:
2 3 FEB. 1933